Konkurrenz, sittliche Pathologien und Marktsozialismus.
Ein Kommentar zu Kuchs Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus
Schlagwörter:
Verhaltenökonomie, Wettbewerb, Konkurrenz, Autoritarismus, StatusverlustKey words:
Behavioural economics, competition, rivalry, authoritarianism, loss of statusAbstract
Im sechsten Kapitel seiner Studie, Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, untersucht Hannes Kuch sittliche Pathologien der kapitalistischen Gesellschaft. Er argumentiert, dass solche Pathologien entstehen, wenn Lernerfahrungen im Markt zu Einstellungen führen, die negative Auswirkungen auf andere soziale Sphären haben und den demokratischen Ethos untergraben. In diesem Kommentar gehe ich auf zwei Aspekte seiner These ein. Erstens untersuche ich ihre empirischen Grundlagen in der Verhaltensökonomie; zweitens die neue Analyse des Autoritarismus, den sie vorschlägt. Kuchs Diagnose der sittlichen Pathologien des Kapitalismus stützt sich zum Teil auf verhaltensökonomische Studien zu den moralischen Konsequenzen von Marktbeziehungen. Diese Studien zeigen, dass Marktbeziehungen langfristig zur Erosion moralischer Handlungsmotive führen können. Dieser Tendenz kann aber entgegengewirkt werden, wenn Marktbeziehungen in rechtsstaatliche Institutionen und eine vertrauensbildende Kultur eingebettet sind. Die verhaltensökonomischen Studien, die Kuch diskutiert, beziehen sich jedoch auf Entscheidungen, in denen Subjekte zwischen Geld und moralischem Handeln wählen müssen oder Geld verteilen müssen, und nicht um Marktbeziehungen, in denen Konkurrenz und Wettbewerb eine Rolle spielen. Ich argumentiere, dass solche Konkurrenzsituationen besonders zersetzend für moralische Beziehungen sein können, weil sie Subjekte gegeneinander ausspielen. Die Frage ist, ob es möglich ist, auch gegen diese Erosion moralischer Motive wirksame Gegenmittel zu finden. Kuchs Analyse des Autoritarismus besagt, dass Menschen im Kapitalismus lernen, dass das Recht des Stärkeren ein legitimes Handlungsprinzip ist, und dass die Normalisierung solcher Prinzipien im Umgang mit schwächeren Gruppen eine wesentliche Rolle in der Erklärung des neuen Autoritarismus spielt. Das ist plausibel. Insbesondere glaube ich, dass eine neoliberale Version des meritokratischen Gedankens dieser Entwicklung zu Grunde liegt. Subjekte sehen sich als Gewinner oder Verlierer ständiger Statuswettbewerbe, und wenn sie auf der Verliererseite stehen, kompensieren sie den drohenden Statusverlust mit der Unterdrückung schwächerer. Die Frage ist, ob eine weniger radikale Reaktion dieser Art auch im Marktsozialismus drohen könnte, weil dieser ja noch transparenter als der Kapitalismus den Subjekten zeigt, wieviel Wert ihr je eigener gesellschaftlicher Beitrag hat. Kann der Marktsozialismus einer solchen Entwicklung entgegenwirken?
In the sixth chapter of his study, Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, Hannes Kuch examines moral pathologies of capitalist society. He argues that such pathologies arise when learning experiences in the market lead to attitudes that have negative effects on other social spheres and undermine the democratic ethos. In this comment, I address two aspects of his thesis: its empirical foundations in behavioural economics, and the new analysis of authoritarianism that it proposes. Kuch’s diagnosis of the moral pathologies of capitalism is based in part on studies in behavioural economics about the moral consequences of market relations. These studies show that market relations can lead to the erosion of moral motives for action in the long term. This tendency can be counteracted if market relations are embedded in constitutional institutions and a trust-building culture. However, the studies that Kuch discusses relate to decisions in which subjects have to choose between money and moral action or have to distribute money, and not to market relations in which competition and rivalry play a role. I argue that such competitive situations can be particularly erosive to moral relations because they pit subjects against each other. The question is whether it is possible to find effective antidotes to this erosion of moral motives. Kuch’s analysis of authoritarianism suggests that people in capitalism learn that the right of the strongest is a legitimate principle of action, and that the normalization of such principles in dealing with weaker groups plays an essential role in explaining the new authoritarianism. This is plausible. In particular, I believe that a neoliberal version of the meritocratic idea underlies this development. Subjects see themselves as winners or losers in constant status competitions, and if they are on the losing side, they compensate for the impending loss of status by oppressing weaker groups. The question is whether a less radical reaction of this kind could also threaten market socialism, because it shows subjects even more transparently than capitalism how much value their own social contribution has. Can market socialism counteract such a development?
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