Inversion der Aufklärung
Kants Begriff der Unmündigkeit als sozialphilosophische Kritik
Schlagworte:
Aufklärung, Kant, Sozialphilosophie, Unmündigkeit, UrteilskraftKey words:
Enlightenment, Kant, Social Philosophy, Immaturity, JudgmentAbstract
Mit seinem Begriff der Aufklärung konterkariert Kant das Verständnis seiner Zeitgenossen. An die Stelle der Auffindung und Verbreitung wahrer Erkenntnisse sowie des Ausmerzens von Irrtümern und Vorurteilen setzt er den Fortschritt des selbständigen Vermögensgebrauchs der Menschen. Der Beitrag zeigt, dass Kant seinen Begriff der Unmündigkeit zwar aus dem Vorurteilsdiskurs der Aufklärung entwickelt, aber dabei eine Inversion ihrer Herrschaftsmetaphorik vornimmt. Die nur übertragen verstandene innere Herrschaft der Vorurteile der aufklärerischen Tradition kehrt Kant zur ganz tatsächlichen Herrschaftsbeziehung von Vormundschaft und Unmündigkeit um, und somit einen epistemischen Diskurs in einen sozialen. Diese Sozialphilosophie ist systematisch in Kants Anthropologie zu verorten, die sich nicht in erster Linie mit der praktischen Vernunft auseinandersetzt, sondern mit den faktischen Beziehungen von Menschen und dem Einfluss ihres Vermögensgebrauchs aufeinander. Die Unmündigkeit als ontogenetische conditio humana hält hierbei die systematische Erkenntnis bereit, dass Beherrschbarkeit ganz zentral mit der Temporalität des menschlichen Lebens zusammenhängt.
Kant’s concept of Enlightenment contradicts the understanding of his contemporaries. Instead of the discovery and dissemination of true knowledge and the elimination of errors and prejudices, he emphasizes the progress of human beings through the independent use of their faculties. The article shows that although Kant develops his concept of immaturity from the Enlightenment discourse of prejudice, he inverts its metaphor of domination. Kant reverts the Enlightenment tradition’s figurative internal rule of prejudice into the actual relationship of tutelage and immaturity, and thus turns an epistemic discourse into a social one. This social philosophy can be systematically located in Kant’s anthropology, which is not primarily concerned with practical reason, but with the factual relations between people and the influence of the use of their faculties on one another. Immaturity as an ontogenetic human condition provides the systematic insight that domination is centrally linked to the temporality of human life.
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