Tragische Gewalt, wankende Gewaltlosigkeit
Exploration einer pazifistischen Haltung in Kriegszeiten mit Emmanuel Levinas und Simone Weil
Schlagwörter:
Pazifismus, Haltung, Verwundbarkeit, Emmanuel Levinas, Simone WeilKey words:
Pacifism, Attitude, Vulnerability, Emmanuel Levinas, Simone WeilAbstract
Pazifismus ist kein Prinzip, sondern eine Haltung der egalitären Ansprechbarkeit gegenüber jeder:jedem Einzelnen. Im Dialog mit Emmanuel Levinas und Simone Weil, deren Ansätze von der Erfahrung des Krieges geprägt sind, entwickele ich hier eine pazifistische Haltung, die diese besondere Ansprechbarkeit ethisch an die Weigerung jedes Menschen knüpft, Gewalt zu erleiden. Der Andere bei Levinas und das Unpersönliche bei Weil lassen sich als Widerständigkeit des Einzelnen aufgreifen, die in der grundlegenden menschlichen Verwundbarkeit wurzelt. In dieser Verwundbarkeit und der entsprechenden Widerständigkeit hat eine pazifistische Haltung ihre Quelle. Sie äußert sich in der Sensibilität gegenüber den Ansprüchen der Betroffenen und in der Verantwortung für jede:n Einzelnen, was in Kriegszeiten vor allem Fluchthilfe, humanitäre Unterstützung und medizinische Versorgung verlangt. Diese Nähe des Anderen kann aber auch zur gewaltsamen Unterstützung verpflichten. Wenn ein anderer Mensch angegriffen wird, dann bin ich zum einseitigen Beistand für diesen Menschen verpflichtet – ohne dass aber die Ansprüche der:des Angreifenden, nicht verletzt zu werden, ungehört bleiben dürfen. In der politisch notwendigen Gegengewalt zeigt sich die pazifistische Haltung noch in Zerrissenheit, wankender Gewissheit und dem ethischen Unbehagen angesichts dessen, was die eigene Tat anrichtet. Aus einer pazifistischen Haltung heraus ist Gegengewalt so zwar politisch notwendig, bleibt aber ethisch unsicher. Dies zeigt, dass es Pazifist:innen nicht um Prinzipien oder Überzeugungen gehen kann. Denn im Angesicht der Gewalt, die ein anderer Mensch ertragen muss, werden eigene Ansprüche von den Ansprüchen dieses Menschen überlagert. Diese pazifistische Haltung leitet abschließend auf zeitgenössische Positionen von Judith Butler 28 Tragische Gewalt, wankende Gewaltlosigkeit und Adriana Cavarero über, die die ethischen Maximen von Levinas und Weil politisch kontextualisieren können. Pazifismus wäre damit eine Haltung, die dem Ethischen im Politischen Geltung verschafft, dabei aber selbst politisch ermöglicht werden muss. So richtet sich die pazifistische Haltung übergreifend gegen einen militärisch-industriellen Apparat und einen militaristischen Geist, die uns zwingen, uns gegenüber individuellen Ansprüchen zu verschließen und unbezwingbare, eindeutige Position zu beziehen. Pazifismus fordert damit eine grundlegende gesellschaftliche Transformation.
Pacifism is not a principle, but an attitude of egalitarian responsiveness to every individual person. Engaging in dialogue with Emmanuel Levinas and Simone Weil, whose approaches are both shaped through the experience of war, I explore a pacifist attitude that highlights the responsiveness to each human being's refusal to suffer violence. The Other in Levinas and the Impersonal in Weil are interpreted as a fundamental resistance of every human being against violence. This resistance is rooted in human vulnerability. This vulnerability and the corresponding resistance against violence are understood as the sources of a pacifist attitude. Pacifism is expressed in a sensitivity to the demands of those involved in war and in the responsibility for every individual, which demands of us, above all, escape aid for refugees and humanitarian and medical support. However, this attitude might also oblige us to provide violent support. If another person is attacked, I might be obliged to support this person exclusively and to fight against the attacking person – yet, without being allowed to ignore the claims of the attacker not to be hurt herself. Even in the midst of a politically necessary counterviolence, pacifism shows itself in a wavering certainty and the ethical unease about the harm my support will do. Accordingly, counterviolence might be politically necessary, but remains ethically ambiguous. Thus, pacifists cannot be concerned about principles or convictions, because facing the violence that another is threatened to suffer, one's own claims are outdone by the claims of this other. The explored pacifist attitude then leads to contemporary pacifist positions of Judith Butler and Adriana Cavarero, who might help to politically contextualise the ethical dictums of Levinas and Weil. Following Butler and Cavarero, pacifism is understood as an attitude that expresses the ethical within the political realm, but which has to be politically enabled itself. Hence, pacifism is also directed against a military-industrial complex and a militaristic spirit in general that force us to close off against claims of the other person and to take unconquerable and unambiguous positions in war times. Pacifism, hence, calls for a fundamental social transformation.
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