Unterstützte Selbstbestimmung
Zum Recht Gebärender auf eine Begleitperson
Schlagworte:
Patientenautonomie, Geburtshilfe, Einwilligungsfähigkeit, Entscheidungsassistenz, relationale AutonomieKey words:
Patient autonomy, obstetrics, capacity to consent, decision-making assistance, relational autonomyAbstract
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie mussten zahlreiche Frauen weltweit die Geburt ihres Kindes ohne die Unterstützung einer Vertrauensperson bewältigen. Ziel dieses Beitrages ist zu zeigen, dass die Anwesenheit solch einer Begleitperson unter der Geburt sich aus dem Recht jeder Gebärenden auf Selbstbestimmung ableiten lässt. Mit Verweis auf die internationale Forschung zur Gewalt in der Geburtshilfe wird erstens gezeigt, dass die Patientinnenautonomie sub partu bisher häufig nicht zufriedenstellend gewährleistet ist. Der Beitrag erläutert, inwiefern sich Geburt und Geburtshilfe von anderen medizinischen Gebieten unterscheiden und warum einer Begleitperson eigener Wahl eine essentielle Rolle im Geburtsprozess zukommt. Es wird dafür argumentiert, dass der prinzipielle Rechtsanspruch auf Selbstbestimmung im medizinischen Kontext infolge der häufig eingeschränkten Entscheidungsfähigkeit von Gebärenden nicht immer wahrgenommen werden kann. Der psychophysische Ausnahmezustand der Gebärenden kann ihre Autonomiefähigkeit beeinträchtigen und sie vulnerabel für Menschenrechtsverletzungen wie Gewalt, Zwang und Manipulation machen. Deshalb plädiert der Beitrag für eine beziehungsgestützte Umsetzung der Selbstbestimmung und schlägt auf Grundlage der Theorie der relationalen Autonomie ein Modell der Entscheidungsassistenz durch eine Vertrauensperson eigener Wahl vor. Die Etablierung einer assistierten Selbstbestimmung in der Geburtshilfe könnte helfen, die Kommunikation zwischen Gebärenden und Geburtshelfer*innen zu verbessern, die Geburtshelfer*innen zu entlasten, Interventionen gegen den Willen der Frau zu reduzieren und damit eine Prävention gegen Gewalterfahrungen darstellen.
At the beginning of the COVID-19 pandemic, numerous women worldwide had to cope with the birth of their child without the support of a confidant. The aim of this paper is to show that the presence of an attendant during childbirth can be derived from the right of every person giving birth to self-determination. With reference to international research on violence in obstetrics, it shows that patient autonomy sub partu is often not satisfactorily guaranteed. The paper explains how childbirth and obstetrics differ from other medical fields and explains why an attendant of one‘s own choice plays an essential role in the birth process. Fourthly, it is argued that the basic legal right to self-determination in the medical context cannot always be exercised due to the often limited decision-making capacity of the parturient. The exceptional physical and mental condition of women giving birth can impair their autonomy and make them vulnerable to human rights violations such as violence, coercion and manipulation. The paper therefore pleads for a relationship-based implementation of self-determination and therefore proposes a model of assisted decision-making by a confidant of one‘s own choice based on the theory of relational autonomy. The establishment of assisted self-determination in obstetrics could help to improve communication between the person giving birth and obstetricians, reduce interventions against the will of the woman and thus represent a prevention against experiences of violence.
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