Alethische und Narrative Modelle von Verschwörungstheorien
Schlagworte:
Verschwörungstheorien, Verschwörungserzählungen, narrative Modelle, Generalismus, PartikularismusKey words:
conspiracy theories, conspiracy narratives, narrative models, generalism, particularismAbstract
Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, dialektischen Raum für eine bisher mindestens zu wenig diskutierte Theorieoption hinsichtlich des Nachdenkens über Verschwörungstheorien zu schaffen. Die bestehende Literatur geht fast ausschließlich davon aus, dass Verschwörungstheorien Erklärungen sind. Die typische mentale Einstellung gegenüber den Inhalten von Verschwörungstheorien ist demnach die der Überzeugung – eine Einstellung also, die durch ihre repräsentationale und propositionale Struktur gekennzeichnet ist und folglich als wahr oder falsch, gut oder schlecht gerechtfertigt bewertet werden kann. Ich nenne Modelle, die dieser Annahme folgen, alethische Modelle. Alethische Modelle können Verschwörungstheorien nicht als distinkte Klasse begreifen, ohne sie als epistemisch defizitär zu kennzeichnen. Die bestehende Literatur befindet sich deshalb in einer misslichen Pattsituation: Sie muss entweder Verschwörungstheorien als Klasse Irrationalität (oder andere epistemische Defizite) unterstellen (Generalismus). Oder sie muss verneinen, dass Verschwörungstheorien eine distinkte Klasse mentaler Einstellungen darstellen. Verschwörungstheorien sind dann lediglich eine weitere Form von Theorie, Theorien über Verschwörungen, und sollten einzeln auf ihre etwaigen Mängel oder Tugenden geprüft werden (Partikularismus). Dagegen motiviert dieser Aufsatz das Forschungsprogramm der narrativen Modelle. Laut narrativen Modellen sind Verschwörungstheorien in erster Linie Geschichten – also strukturierte Fiktionen. Die für sie relevanten mentalen Einstellungen sind demnach auch Einstellungen der Fiktionalität – Spiele (make-believe) und Imagination. Fiktionen und fiktionale Einstellungen wiederum sind nicht den Normen der Vernunft unterworfen. Sie sind weder rational noch irrational. Narrative Modelle können deshalb Verschwörungstheorien als distinkte Klasse fassen, ohne sie über defizitäre Merkmale herauszugreifen. Darüber hinaus erklären sie bestimmte Merkmale des verschwörungstheoretischen Diskurses besonders gut und sie bieten neue Perspektive auf die Popularität von Verschwörungstheorien und die Interventionsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.
The aim of this paper is to create dialectical space for a hitherto underdiscussed option in the philosophy of conspiracy theories. The extant literature on the topic almost exclusively assumes that conspiracy theories are a type of explanation. The typical mental attitude towards explanations is belief, a representational attitude that can be assessed as true, false, warranted or unwarranted. I call models based on this assumption alethic models. Alethic models can’t pick out conspiracy theories as a distinct class of mental attitudes without latching onto their negative epistemic properties. The extant literature therefore finds itself in an unfortunate situation. It either has to presume that conspiracy theories are epistemically defective in general (generalism). Or it has to deny that conspiracy theories are a distinct class of mental attitudes. Conspiracy theories are then nothing more than theories, theories about conspiracies, and should be assessed on a case-by-case basis (particularism). Instead, this paper motivates the research program of narrative models. According to narrative models, conspiracy theories are first and foremost stories – structured fictions. And their relevant mental attitudes are the attitudes of fiction – make-believe and imagination. Fictions are not subjects to epistemic norms. They are neither rational nor irrational. Narrative models can therefore pick out conspiracy theories as a distinct class of mental attitudes without labelling them as defective in general. In addition, they are able to explain certain features of conspiracy discourse particularly well, and they offer new perspectives on the popularity of conspiracy theories and the means of intervention we have at our disposal
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