Zwei Begriffe der Wissenschaftsfreiheit
Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik
Schlagworte:
Wissenschaftsfreiheit, Gesellschaftskritik, Identitätspolitik, Hochschulpolitik, Epistemologie, Wissenschaftstheorie, Standpunkt-TheorieKey words:
academic freedom, social critique, identity politics, higher education policy, epistemology, , philosophy of science, standpoint-theoryAbstract
Wissenschaftsfreiheit wird vorherrschend als Freiheit der Wissenschaft von politischer Einmischung verstanden. Der Artikel kritisiert dieses negative Verständnis von Wissenschaftsfreiheit anhand einer Analyse seines prominentesten Vertreters, dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, das damit eine Politisierung einseitig den Vertreter*innen gesellschaftskritischer Ansätze zuschreibt, während es die eigene Position als ‚rein wissenschaftlich‘ und politisch neutral dargestellt. Demgegenüber schlägt der Artikel ein kritisches Verständnis von Wissenschaftsfreiheit vor, das seine Politizität reflektiert. Ausgehend von der Analyse, dass starre Macht- und Privilegienstrukturen das zentrale Hindernis für die gemeinsame Arbeit an wissenschaftlicher Objektivität sind, geht es beim kritischen Begriff der Wissenschaftsfreiheit um die Reflexion und Transformation des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik. Dabei steht die Diversifizierung von Zugangschancen und Standpunkten innerhalb der Wissenschaft im Mittelpunkt – also die Neuverteilung von Macht und Privilegien. Der Artikel entwickelt dieses Verständnis aus einer Diskussion des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik in zwei philosophischen Begründungsmöglichkeiten der Wissenschaftsfreiheit und aus einer Rekonstruktion der kritischen politischen Theorie, insbesondere der foucaultschen Machttheorie und der feministischen Standpunkttheorie. Er zeigt auf dieser Grundlage, dass drei verschiedene Arten der Diversifizierung der Wissenschaft – intern, extern-institutionell und extern-aktivistisch –, die vom vor dem Hintergrund des negativen Begriffs als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit verstanden werden, tatsächlich zu ihrer Verbesserung beitragen.
Academic freedom is predominantly understood as the freedom of academia from political interference. The article criticizes this negative concept of academic freedom by analyzing its most prominent representative, the Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (Network for Academic Freedom), which thereby one-sidedly attributes politicization to the representatives of socio-critical approaches while presenting its own position as ‘purely scientific’ and politically neutral. In contrast, the article proposes a critical concept of academic freedom that reflects its politicity. Based on the analysis that rigid structures of power and privilege are the central obstacle to collaborative work on academic objectivity, the critical notion of academic freedom is about reflecting on and transforming the relationship between academia and politics. It focuses on the diversification of access opportunities and standpoints within academia – that is, the redistribution of power and privilege. The article develops this concept from a discussion of the relationship between academia and politics in two philosophical justifications of academic freedom and from a reconstruction of critical political theory, particularly Foucauldian power theory and feminist standpoint theory. On this basis, it shows that three different ways of diversifying academia – internal, external-institutional, and external-activist –, which are understood by the negative concept as limiting academic freedom, actually contribute to its improvement.
Downloads
Zitationsvorschlag
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Copyright (c) 2023 Karsten Schubert
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.