Stumme Schreie
Epistemisches Unrecht und institutionalisierte Gewalt
Schlagworte:
epistemisches Unrecht, epistemische Gewalt, institutionalisierte Gewalt, hermeneutisches Unrecht, GewaltKey words:
epistemic injustice, epistemic violence, institutionalized violence, hermeneutical injustice, violenceAbstract
Trotz der wiederholten Kritik an ihm scheint Johan Galtungs Begriff der „strukturellen Gewalt“ durch die Verbindung von sozialwissenschaftlicher Analyse und normativer Kritik komplexer sozialer Strukturen wie gemacht zu sein für die Analyse epistemischen Unrechts. Während andere Autor:innen deutlich klarer definierte und abgegrenzte Begriffe der strukturellen oder „institutionalisierten“ Gewalt vorgeschlagen haben, fehlt hier meist eine Diskussion der entsprechenden Phänomene, die den Begriff des „epistemischen Unrechts“ einbezieht. In diesem Aufsatz will ich unter Einbeziehung jüngerer Arbeiten zum Begriff der Gewalt zum einen zeigen, dass die bisweilen zu findende Rede von „epistemischer Gewalt“ sich unter Rückgriff auf einen engen Gewaltbegriff klarer bestimmen lässt: als seelische Gewalt, die durch direktes Zeugnisunrecht ausgeübt wird. Zum anderen möchte ich zeigen, dass der Begriff epistemischen Unrechts ein meist fehlender, aber notwendiger Bestandteil einer Analyse jener sozialen Strukturen ist, die als „institutionalisierte Gewalt“ bezeichnet werden müssen. Denn strukturelles „silencing“, „testimonial smothering“ und hermeneutisches Unrecht von bzw. gegen Opfer von Gewalt sind in den meisten Fällen ein essentieller Bestandteil institutionalisierter Gewalt.
Although Johan Galtung’s concept of “structural violence” has been repeatedly criticized, it seems to be perfect for an analysis of epistemic injustice in that it binds together social analysis and normative critique of complex social structures. While other authors have proposed distinctively narrower concepts of structural or “institutionalized” violence, these have usually failed to discuss the problem of “epistemic injustice” vis-a-vis institutionalized violence. Drawing on recent work on the concept of violence, I attempt to show, first, that the notion of “epistemic violence” can be clarified on the grounds of a narrow concept of violence: as psychological violence by means of acts of overt testimonial injustice. Second, and more importantly, the concept of epistemic injustice is shown to be a missing but necessary tool in the analysis of structures that should be labeled “institutionalized violence”: because structural silencing, testimonial smothering and hermeneutical injustice of victims of violence are often a key aspect of institutionalized violence.
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