Gerechtigkeit und Moralismus
Treffen die Einwände des politischen Realismus gegenüber Rawls zu?
Schlagworte:
Moralismus, Politischer Realismus, John Rawls, Gerechtigkeit, KonfliktKey words:
Moralism, Political Realism, John Rawls, Justice, ConflictAbstract
Der neue politische Realismus erkennt in John Rawls einen Erzfeind. In jüngeren Debatten scheint oft evident zu sein, dass gerade Eine Theorie der Gerechtigkeit exemplarisch für einen Moralismus sei, der die politische Wirklichkeit verzerre. Doch die Sache ist kompliziert. In diesem Aufsatz blicke ich zurück auf sein Frühwerk im Lichte dieser Kritik. Dabei geht es mir um vier Einwände: dass Rawls’ Idealtheorie (i) kein Ratgeber für das politische Handeln und ideologisch verblendet sei; (ii) Macht und ihre Legitimierbarkeit nicht überzeugend konzipiere; (iii) die Bedeutung politischer Konflikte und Uneinigkeit über den Inhalt der Gerechtigkeit unterschätze; und (iv) verkenne, dass eine wahrlich politische Theorie auf die Geschichte eingehen müsse. Wie stichhaltig sind diese Vorwürfe und was fördern sie zutage? Der Aufsatz zeigt, dass selbst Rawls’ erstes Hauptwerk nicht so einfach eines Moralismus überführt werden kann, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Damit meine ich nicht, dass die Einwände allesamt keinen Biss hätten. Doch werden die Rechtfertigungslasten der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie nicht immer gebührend berücksichtigt; und manche Konterpunkte sind gerade bei wichtigen philosophischen Weggabelungen nicht ausreichend mit argumentativer Substanz untermauert. Wer einen Anti-Moralismus verficht, wofür es gute Gründe gibt, sollte weiterhin das konstruktive Gespräch auch mit dem frühen Rawls suchen und auf die internen Spannungen sowie realistischen Konzessionen seines Egalitarismus achten.
The new political realism sees John Rawls as an archenemy. In recent debates, it often seems to be evident that especially A Theory of Justice is exemplary for a moralism that distorts political life as we know it. Yet the matter is convoluted. In this essay, I look back at his early work through the lens of this critique, which I break down into four objections: that Rawls’s ideal theory (i) is not a guide to political action and blinded by ideology; (ii) cannot convincingly conceptualize power and its legitimation; (iii) underestimates the significance of political conflicts and disagreement about the content of justice; and (iv) fails to recognize that a truly political theory requires historical reflection. How valid are these charges, and what do they bring to light? The essay shows that even Rawls’s first major work cannot be as easily convicted of moralism as it appears at first blush. By this, I do not mean that the objections all lack cogency. But the justificatory burdens of Rawls’s theory of justice are not always duly considered; and some counterpoints, especially at important philosophical forks in the path, are not sufficiently backed up with argumentative substance. Those who advocate an anti-moralism, for which there are good reasons, should continue to seek a constructive conversation with the early Rawls and pay heed to the tensions within and realistic concessions of his egalitarianism.
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