Solidarität in der Krise
Für ein Verständnis politischer Solidarität in Corona-Zeiten im Anschluss an H. Arendt
Schlagworte:
Solidarität, Covid-19, Exklusion, politische Solidarität, Hannah ArendtKey words:
solidarity, Covid-19, exclusion, political solidarity, Hannah ArendtAbstract
Solidarität ist einer der zentralen normativen Begriffe in Zeiten der Corona-Pandemie. Vor dem Hintergrund der philosophischen Debatte um Solidarität wird eine Heuristik entlang der Unterscheidung einer sozial-, politisch-philosophischen und ethischen Perspektive vorgeschlagen. Anhand dieser Heuristik wird der gegenwärtige gesellschaftliche Diskurs um Solidarität in der Pandemie rekonstruiert, analysiert und kritisiert. Solidarität, so die These, wird in Corona-Zeiten auf ihre soziale Dimension enggeführt, was einerseits zur Mobilisierung von Gemeinschaften und der Eindämmung der Pandemie führt, andererseits aber auch zu (nationalen) Schließungen und Exklusionen nach innen und außen. Indem Politik als evidenzbasierte und alternativlose Technik etabliert wird, vollzieht sich eine fortschreitende Entpolitisierung, durch die soziale Ungleichheit sowohl lokal als auch global oft unhinterfragt reproduziert wird. Demgegenüber diskutiert der Beitrag mit Rückgriff auf Arendts Begriff des Politischen ein alternatives Verständnis von Solidarität in Zeiten der Pandemie. Dieses baut auf sozialer Relationalität auf und kritisiert eine mechanistische Logik des Politischen. Mit Arendt werden die Pluralität, das kritische Denken und der Neuanfang als zentrale Elemente des Politischen angesichts von Krisen betont. Dadurch wird das Konzept der Solidarität um eine politische Dimension erweitert und ein produktiver Umgang mit den gegenwärtigen Schließungen und Exklusionen in der Corona-Pandemie vorgeschlagen. Schließlich können die durch die Pandemie offenkundiger gewordenen Krisen des Kapitalismus und Liberalismus reflektiert und das Politische als ein offen-diskursiver Raum jenseits eng gefasster Grenzen neu gedacht werden.
In times of the Covid-19 pandemic, solidarity is one of the central normative concepts. Against the background of the current philosophical debate on solidarity, a heuristic along the distinction of a social-, political-philosophical and ethical perspective is proposed. Based on this heuristic, the current social discourse on solidarity in the pandemic will be reconstructed, analyzed and criticized. Solidarity, so the argument in this paper, is narrowed down to its social dimension. On the one hand, this leads to the mobilization of communities and the containment of the pandemic. On the other hand, however, it also leads to (national) closures and numerous exclusions. By establishing politics as an evidence-based technology, an increasing depoliticization is taking place, which often reproduces social inequality unquestioned, both locally and globally. In contrast, the article discusses solidarity in times of the pandemic based on an alternative understanding with reference to Arendt’s concept of the political. This notion is based on social relativity and criticizes a mechanistic logic of the political. Following Arendt, plurality, critical thinking and new beginnings are emphasized as central elements of the political in times of crises. Thus, a political dimension is added to the concept of solidarity and proposes a productive approach to the current closures and exclusions in the Covid-19 pandemic. Finally, the crises of capitalism and liberalism, which were made more obvious by the pandemic, can be reflected upon and the political can be rethought as an open-discursive space beyond narrowly defined borders.
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Copyright (c) 2020 Michael Reder, Karolin-Sophie Stüber
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