Kapitaleigentum, Ausbeutung und Marktethos – Kommentar zu Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus von Hannes Kuch

Capital Ownership, Exploitation, and Morality in the Market – A commentary on Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus by Hannes Kuch

Zusammenfassung: In Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus argumentiert Hannes Kuch für die gerechtigkeits- und sittlichkeitstheoretischen Stärken des liberalen Sozialismus. Kuch verteidigt diese Alternative zum Kapitalismus insbesondere gegen die Eigentumsdemokratie, die aus seiner Sicht anfälliger für das Aufkommen von Ausbeutung und die Herausbildung gerechtigkeitsadverser Dispositionen unter ihren TeilnerhmerInnen ist. Allerdings sind aus liberaler Perspektive die Einbußen, die mit der grundlegenden Einschränkung von Kapitaleigentum und Vertragsfreiheit einhergehen, nicht zu unterschätzen.

Schlagwörter: Sozialismus, Eigentumsdemokratie, Lohnarbeit, Kapital, Genossenschaften

Abstract: In Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, Hannes Kuch argues for the strengths of liberal socialism in terms of its account of social justice and the emergence of a common morality. Kuch defends this alternative to capitalism in particular against the conception of a property-owning democracy, which he deems to be more susceptible to the emergence of exploitation and the development of justice-adverse dispositions among its participants. However, from a liberal perspective, the losses associated with the fundamental restriction of capital ownership and freedom of contract may be underestimated in his argument.

Keywords: Socialism, Property-owning democracy, wage labor, capital, cooperatives

Die Defizite der kapitalistischen Marktordnung

Im siebten und achten Kapitel von Wirtschaft, Demokratie, Sozialismus, die gemeinsam den vierten und abschließenden Teil der Abhandlung bilden, erörtert Hannes Kuch verschiedene Alternativen zum Kapitalismus. Den normativen Hintergrund dieser Erörterung bilden Kuchs vorausgehende Überlegungen, die unterschiedliche Defizite der kapitalistischen Marktordnung aufzeigen. So ist der kapitalistische Markt zumindest anfällig für das Aufkommen sozialer Ungleichheit und ökonomischer Ausbeutung. Unter Rückgriff auf ein Hegelsches Verständnis von Sittlichkeit argumentiert Kuch außerdem, dass der Marktmechanismus gerechtigkeitsadverse Dispositionen unter seinen TeilnerhmerInnen fördert. Auf der Grundlage dieser Diagnose stellt Kuch sich der Frage, wie Gesellschaften unter Berücksichtigung dieser marktinhärenten Defizite ökonomische Kooperation organisieren sollten. Kuch selbst argumentiert letztlich für einen liberalen Sozialismus, in dem unter Beibehaltung individueller Grundfreiheiten kapitalistische Unternehmen durch genossenschaftlich organisierte Betriebe abgelöst werden. Die problematischen Folgen des ungezügelten Wettbewerbsmechanismus werden im Wesentlichen für Arbeits- und Kapitalmärkte durch die Begrenzung des Privateigentums an Produktionsmitteln eingehegt. Diese Modifikation von für den Kapitalismus konstitutiven Institutionen ist Kuchs Argumentation nach geeignet, sowohl strukturelle Mechanismen der Ausbeutung einzugrenzen als auch die Herausbildung eines Ethos demokratischer Gerechtigkeit zu befördern. Kuchs Analyse ist besonders erhellend, weil sie diese verschiedenen Dimensionen moralischer Anforderungen an die Organisation ökonomischer Kooperation beleuchtet, und dabei gleichzeitig die spezifischen Bedingungen konkreter Institutionen und Organisationsformen im Blick behält.

Bevor Kuch sein eigenes Plädoyer für einen liberalen Sozialismus formuliert, befasst er sich mit dem wirkmächtigen Ideal der Property-Owning Democracy, die für eine Reihe neuerer Ansätze der Gerechtigkeitstheorie einen institutionellen Rahmen formuliert, der die Vereinbarkeit von Kapitaleigentum mit den Rawlsschen Gerechtigkeitsprinzipien gewährleistet. Ich ignoriere im Weiteren die Überlegungen, ob und welche Form der Eigentumsdemokratie sich mit Blick auf die Ralwsschen Gerechtigkeitsprinzipien untermauern lässt, und ob nicht auch Alternativen zu diesen Prinzipien denkbar wären. Vielmehr wende ich mich der von Hannes Kuch vertretenen These zu, dass der Liberale Sozialismus der Eigentumsdemokratie hinsichtlich der Vermeidung von Ausbeutung überlegen ist. Der zunächst abstrakt anmutende Vergleich dieser beiden Systementwürfe ist unmittelbar dem Einwand ausgesetzt, dass die diskutierten Alternativen derart grundlegende Differenzen zu bestehenden Institutionen aufweisen, dass Urteile über ihre Auswirkungen auf Gleichheit, Stabilität, Produktivität, Solidarität oder Partizipation kaum zu treffen sind. Kuch zeigt jedoch, dass die Überlegungen zur Wünschbarkeit und Gangbarkeit von Alternativen zum Kapitalismus weder von Wirklichkeitsfremdheit noch von einem Selbstverständnis der Expertokratie geprägt sein müssen.

Die Alternative der Eigentumsdemokratie

Rawls (2001) argumentiert in Justice as Fariness, dass der kapitalistische Wohlfahrtsstaat aufgrund der Erzeugung – oder zumindest der Duldung – enormer Vermögensungleichheiten nicht in der Lage ist, den fairen Wert der politischen Freiheit zu realisieren, sowie Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.1 Die Alternative der Eigentumsdemokratie korrigiert die Defizite des kapitalistischen Wohlfahrtsstaats über die veränderte Struktur der Umverteilung, die sich nun nicht mehr nur über Transferzahlungen vollzieht: “the institutions of property-owning democracy work to disperse the ownership of wealth and capital [...] by ensuring the widespread ownership of productive assets and human capital.”2 Meade (1964, 40), auf den die Terminologie der Property-Owning Democracy zurückgeht, unterstellt in seiner knappen Darlegung eine grundsätzlich marktförmig organisierte Wirtschaft, die aber über maßgebliche Vermögensumverteilungen jede Bürgerin mit einer stetigen Quelle von Kapitaleinkommen ausstattet, so dass seiner Einschätzung nach Lohnarbeit, insbesondere ‚unangenehme‘ Arbeit, eine Frage der persönlichen Entscheidung würde: “unpleasant work that had to be done would have to be very highly paid to attract to it those whose tastes led them to wish to supplement considerably their incomes from property.”

Die Ausweitung der Perspektive von der Umverteilung von Einkommen hin zu einer Unterstützung der Bildung von Vermögen stellt zweifellos einen wichtigen Aspekt in der Behandlung sozialer Ungleichheiten dar. Die Prüfung von Meades Prognose der Vermeidbarkeit bestimmter Formen der Lohnarbeit erfordert allerdings beachtliche Vorstellungskraft, da kaum zu eruieren ist, mit welchen breit gestreuten Vermögenseinkommen in einer solchen Gesellschaft zu rechnen wäre. Denn sowohl die Höhe der Kapitalrendite als auch deren relative Kaufkraft ist durch die relative Position von ArbeitnehmerInnen in der Gesellschaft bestimmt. Wenn Kapitaldividenden und Preisniveaus in gegenwärtigen Gesellschaften von der Ausbeutung von Arbeitskraft abhängen, dann ist nicht unmittelbar ersichtlich, von welchem realen Einkommen aus Kapitalerträgen in einer Eigentumsdemokratie auszugehen wäre. Daher ist – wie auch Kuch argumentiert – vermutlich nicht anzunehmen, dass ein Großteil der BürgerInnen in einer Eigentumsdemokratie ohne Lohnarbeit ihr Auskommen sichern könnten. Jedoch ist zumindest zuzugestehen, dass die Verbesserung der relativen Verhandlungsposition von ArbeitnehmerInnen einen wesentlichen Unterschied für die Beschaffenheit kapitalistischer Kooperationsverhältnisse bedeuten würde. Dies deckt sich mit der Vorstellung oder Hoffnung von Alan Thomas (2017), dass es sich bei einer solchen Gesellschaft um eine Republik von Gleichen handeln würde.

Diese Hoffnung ergibt sich aus der spezifischen Form der Umverteilung, die in einer Eigentumsdemokratie vollzogen würde. So besteht für Rawls ein entscheidender Vorzug der Eigentumsdemokratie darin, dass sie ihre BürgerInnen nicht nur mit der Gewährung von Transferleistungen vor Armut bewahrt, sondern auch der Konzentration von Kapital Grenzen setzt, “not by the redistribution of income [...], but rather by ensuring the widespread ownership of productive assets and human capital [...].” Die explizite Betonung der Bedeutung von “Humankapital”, also von wirtschaftlich bedeutsamen Fähigkeiten, Kenntnissen und Dispositionen, ist durchaus vereinbar mit einem auf Chancengleichheit bedachten Wohlfahrtsstaatskapitalismus, der etwa durch sozialstaatliche Maßnahmen der Stratifikation des Bildungssystems entgegenwirken würde. Die Eigentumsdemokratie formuliert jedoch darüber hinaus, grundlegende Korrekturen der Verteilung “produktiver Vermögen”.

Im Vergleich der Alternativen zum Kapitalismus sind die an dieser Stelle vorgesehenen Eingriffe in Eigentums- und Marktverhältnisse wesentlich. Gerade hier scheint jedoch der lose verwendete Kapitalbegriff weitere Differenzierungen zu erfordern, die etwa bei Mead oder Rawls nicht abgedeckt sind. Rawls scheint von einer in der politischen Ökonomie sehr basalen Vorstellung von Kapital als konkreten Produktionsmitteln im Sinne von Lagerhallen, Maschinen, Rohstoffen, etc. auszugehen. Diese vereinfachte Gegenüberstellung von Kapital und Arbeit unterläuft aber die Komplexität kapitalistischer Vermittlungsprozesse. Bereits Joseph Schumpeter (1934) etwa legt in der Theorie der Wirtschaftlichen Entwicklung dar, dass ‚Kapital‘ nicht mit ‚Produktionsmitteln‘ gleichzusetzen ist, sondern vielmehr einen komplexen Prozess innerhalb der marktförmigen Organisation ökonomischer Kooperation darstellt. Auch für Marx ist Kapital Wert in Bewegung, oder „processierender Werth, processierendes Geld und als solches Kapital“ (MEGA II/6, 173). Kapital besteht demzufolge nicht in Produktionsmitteln selbst, sondern in Finanzmitteln, die innerhalb eines Investitionskreislaufes Erträge generieren. Die von Rawls getroffene Unterscheidung zwischen den bloßen Transferzahlungen im Wohlfahrtsstaatskapitalismus und der Umverteilung von Kapital in der Eigentumsdemokratie scheint demnach nicht hinreichend differenziert, um die Bedeutung gegenwärtiger Vermögensformen im kapitalistischen Wirtschaftsprozess zu fassen. Wie unterscheidet sich die Dividende aus einem umverteilten nur bedingt veräußerlichen Unternehmensanteil von und einem Anspruch auf Sozialleistungen? Handelt es sich nicht in beiden Fällen um soziale Ansprüche? Die Rawlssche Bestimmung von Kapital als Verfügung über Produktionsmittel – in Form von direktem Unternehmenseigentum oder abgeleiteten Ansprüchen in Form von Aktien – übergeht insbesondere die Bedeutung von Finanzmärkten in gegenwärtigen Wirtschaftsordnungen. Zumindest müssten deren ökonomische Funktion sowie ihre gerechtigkeitsrelevanten Implikationen gesondert in den Blick genommen werden. Um die Eigentumsdemokratie als Alternative zum Kapitalismus ernstzunehmen, ist zu erörtern, ob und wie die Funktionsweise von Geldmarktinstrumenten, Derivaten und strukturierten Finanzprodukten, von Futures, Hedges, Optionen, und Swaps außerhalb der bestehenden Marktordnung abzubilden sind. Wenn diese institutionellen Einrichtungen beibehalten würden, ist zu eruieren, welche gerechtigkeitsrelevante Bedeutung ihnen zukäme. Wenn sie modifiziert oder eingeschränkt würden, ist zu überlegen, ob sich problematische Leerstellen ergeben könnten. So ist der moderne Kapitalismus nicht nur durch den Gegensatz von Arbeit einerseits und Land, Rohstoffen, und Produktionsstätten andererseits geprägt, sondern von sozialen Geltungsverhältnissen: von der Verfügung über Forderungen, Konzessionen, Lizenzen, Patente, Markenzeichen, Informationen, etc. Die Auseinandersetzung mit Alternativen zum Kapitalismus oder dessen Korrekturen sollte sich insofern nicht allein mit der Gegenüberstellung von abhängigen Beschäftigten und EigentümerInnen von Produktionsmitteln begnügen, sondern – wie etwa die Tradition des ökonomischen Institutionalismus zeigt – auch mit der komplexen Struktur der Rechts- und Geltungsverhältnisse, in die der unmittelbare kapitalistische Produktionsprozess eingebettet ist. Dieses Desiderat zeigt eine zusätzliche Dimension der Debatte um Alternativen zum gegenwärtigen Kapitalismus auf.

Gerechtigkeitstheoretische Probleme der Eigentums- demokratie

In seiner Gegenüberstellung von Eigentumsdemokratie und liberalem Sozialismus stellt Kuch entsprechend der vorherrschenden Debatte das Problem des Widerspruchs von Kapital und Arbeit ins Zentrum, wie er auch der Eigentumsdemokratie auf Formationsebene eingeschrieben ist. Kuch rekonstruiert die Argumente, und Optionen, mit denen die Eigentumsdemokratie Korrekturen an Defiziten des Wohlfahrtskapitalismus vornimmt, und kommt letztlich zu dem Schluss, dass selbst diese von weitreichenden Eingriffen in die Verfügung über Kapital geprägte Systemalternative letztlich nicht den von ihm vorgelegten Anforderungen entspricht. Seine zentrale These ist, dass der Fortbestand von Ausbeutung auch noch in einer Eigentumsdemokratie zu erwarten wäre. Ein Großteil der wirtschaftlichen Produktion würde aufgrund von Skalenvorteilen nach wie vor in großen Unternehmen stattfinden, die miteinander am Markt konkurrieren. Die Produktion in diesen Unternehmen würde wiederum in Lohnarbeit stattfinden, deren Bedingungen aufgrund des bestehenden Wettbewerbsdrucks zwischen Unternehmen gegenüber dem Wohlfahrtskapitalismus unverändert wären. Das Kapital würde also nach wie vor ArbeiterInnen ausbeuten, auch wenn diese in einer Eigentumsdemokratie gleichzeitig auch KapitaleigentümerInnen wären. Das zu erwartende Fortbestehen von Konkurrenz und Ausbeutung ist für Kuch nicht vereinbar mit dem von ihm anvisierten Ethos demokratischer Gerechtigkeit. Diese spezifische Idealvorstellung lässt sich Kuch zufolge nicht realisieren, wenn wirtschaftliche Kooperation im Wettbewerb von in Privateigentum befindlichen Unternehmen – und damit über die Opposition von Kapital und Arbeit – organisiert ist, innerhalb dessen Ausbeutung nicht verlässlich zu regulieren ist. Aus dieser Beobachtung zieht Kuch die Schlussfolgerung, dass nur im Rahmen eines Systems geteilten Unternehmenseigentums, etwa in Form von Genossenschaften, dem ausbeuterischen Gegensatz von Kapital und Arbeit zu begegnen ist.

Die Eigentumsdemokratie unterscheidet sich demnach maßgeblich von dem von Kuch verteidigten liberalen Sozialismus, insofern sie Privateigentum an Produktionsmitteln – bzw. Kapital – zulässt und außerdem der Freiheit auf Lohnarbeit in kapitalistischen Unternehmen keine Beschränkungen auferlegt. Anstelle einer grundlegenden Veränderung der Kooperationsbedingungen soll die Umverteilung von Kapitalressourcen sicherstellen, dass die Freiheit zur Lohnarbeit nicht in die von Marx beschriebene Wendung mündet, dass die Arbeiterin – aufgrund des Mangels an eigenen Kapitalressourcen – gezwungen ist, ihre “eigene Haut zu Markte zu tragen.” Obwohl es in der Eigentumsdemokratie privateigentümlich verfasste Unternehmen gibt, ist die regelmäßige Umverteilung darauf ausgelegt, der Konzentration von Kapitalressourcen entgegenzuwirken, sowie die Wirtschaftssubjekte möglichst breit zu KapitaleigentümerInnen zu machen.

Insbesondere hinsichtlich der Begrenzung oder Verhinderung von Ausbeutung muss sich die Eigentumsdemokratie mit dem liberalen Sozialismus vergleichen lassen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere ein Machtungleichgewicht von Kapital und Arbeit zu berücksichtigen, das auch dann fortbesteht, wenn die ökonomischen ArbeitnehmerInnen selbst gleichzeitig KapitaleigentümerInnen sind. Abhängig Beschäftigte innerhalb der Eigentumsdemokratie sind zwar selbst mit Kapitalvermögen ausgestattet, aber nicht zwingend MiteigentümerInnen der Betriebe, in denen sie tätig sind; Kuch argumentiert, dass in dieser Konstellation Unternehmen nach wie vor über erhebliche Marktmacht gegenüber ihren ArbeitnehmerInnen verfügen, die sie aufgrund des Konkurrenzdrucks ausbeuterisch einsetzen müssten.

Obwohl die von Kuch vorgebrachten Argumente zu den Auswirkungen von Märkten innerhalb der Eigentumsdemokratie plausibel sind, könnten doch verschiedene Erwägungen dagegen sprechen, diese Auswirkungen als entscheidendes Argument für den liberalen Sozialismus vorzubringen. Zwar ist zuzugestehen, dass die Beibehaltung kapitalistischer Unternehmen Akteure mit beachtlicher Marktmacht im ökonomischen Kooperationsprozess zulässt. Durch die Diversifikation der Anteile an kapitalistischen Unternehmen, die kennzeichnend für die Eigentumsdemokratie ist, bliebe allerdings zu erwarten, dass es mehr bürgerliche Kontrolle der Betriebspraxen kapitalistischer Unternehmen gäbe. Denn die hier angestrebte weitreichende Umverteilung von Kapitalbeständen sieht die regelmäßige Übertragung von Unternehmensanteilen an die BürgerInnen vor. In der Folge würden Unternehmen nicht durch eine überschaubare Gruppe weniger AnteilseignerInnen gelenkt, sondern eine breite gesellschaftliche Beteiligung würde zumindest indirekt unternehmerische Zielsetzungen und Entscheidungen mitbestimmen. So bliebe zu hoffen, dass diese breiter gestreute Beteiligung zu mehr Transparenz und zu einer geringeren Akzeptanz ausbeuterischer Unternehmenspraxen führen würde. Kuch hält diese Hoffnung für nur begrenzt tragfähig. Seiner Ansicht nach sorgen die Strukturbedingungen der Konkurrenz auch unter einer veränderten Verteilung von Kapitalressourcen für einen enormen Druck auf Betriebe, ihre Beschäftigten auszubeuten. Diese Ausbeutungstendenz müsste im Marktsozialismus nicht extern unterbunden werden, da die Beschäftigten als EigentümerInnen der Betriebe die Produktionsbedingungen bestimmen. Hier lässt sich allerdings einwenden, dass die Tragfähigkeit der Selbstbestimmung – auch durch die Belegschaft – wiederum von betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhinge, solange unterschiedliche Betriebe im Wettbewerb miteinander stünden.

Eine schwerwiegendere Erwägung, die sich gegen den liberalen Sozialismus vorbringen lässt, scheint allerdings in der zweifachen Bedeutung der innerhalb der Eigentumsdemokratie vergleichsweise starken Betonung der Autonomie ökonomischer Subjekte zu bestehen. Zum einen bedeutet die durch die signifikante Umverteilung gestärkte Position von Wirtschaftssubjekten, dass sie deutlich weniger anfällig für Ausbeutung sind, insofern sie als VerhandlungsparterInnen mit eigenem Kapitalvermögen auftreten. In der Bestimmung von Ausbeutung als Ausnutzung der Verletzbarkeit einer Person zum eigenen Vorteil ist die Vulnerabilität des ausgebeuteten Subjekts als begriffliche Vorbedingung der Realisierung von Ausbeutung zu begreifen.3 In der Debatte um die moralische Einordnung des Marktes stehen meist dessen indirekte Wohlfahrtswirkungen als Informations- und Anreizsystem im Zentrum. Gerade in der vorliegenden Debatte scheint womöglich aber die normative Bedeutung von für den Markt konstitutiven Privilegien bedeutsam, etwa der Vertragsfreiheit. So ist die vielzitierte Butcher-Passage aus Adam Smiths (1937) Wealth of Nations nicht als Plädoyer für einen indirekt wohlfahrtsförderlichen rigorosen Marktegoismus zu verstehen, wie er von Mandeville bis Friedman in der Begründung eigenständiger Wettbewerbsnormen eingefordert wird. Smith betont vielmehr den Unterschied zwischen der Position des Wirtschaftssubjekts als selbständiger Kooperationspartner in einer wechselseitig überlegten Übereinkunft – wie etwa einem Kaufvertrag – und seinem Auftreten als abhängiger Bittsteller. Bereits Smith (1937, 14) betont, dass sich in den Marktsystemen, die das Ende der feudalen Gesellschaft einläuten, eine Form der sozialen Kooperation findet, in der die Einzelne – zumindest unter geeigneten Voraussetzungen – nicht mehr die Gunst ihres Kooperationspartners, auf den sie angewiesen ist, erwerben muss, sondern im Tausch an dessen Eigeninteresse appellieren kann. Die hieraus erwachsende Form der Selbstbestimmung, die sich in der Marktkooperation herauskristallisiert, ist aus liberaler Perspektive zuerst deshalb von Wert, weil sich hierin die Autonomie eines Subjekts manifestiert, das anderen auf Augenhöhe begegnen kann. Kuch stellt selbst fest, dass mit der Abschaffung kapitalistischer Unternehmen die Möglichkeit bestimmter Formen der Lohnarbeit ausgeschlossen ist, dass also Wirtschaftssubjekten spezifische Privilegien kapitalistischer Kooperation als abhängige Beschäftigte oder eigenständige UnternehmerInnen genommen werden, wenn auch zur Vermeidung von Ausbeutung und zur Eindämmung gerechtigkeitsadverser Dispositionen.4 Im Vergleich dieser Alternativen zum Kapitalismus sollte die normative Bedeutung dieses Verlusts an Optionen nicht unterschätzt werden. Gleichzeitig scheint der von Kuch anvisierte liberale Sozialismus wiederum andere Formen der Abhängigkeit zu verstärken. So wirkt sich die Eingrenzung der Vertragsfreiheit im liberalen Sozialismus nicht nur als Schutzmechanismus gegenüber dem wirtschaftlichen Subjekt aus, sondern auch als Reduktion seiner wirtschaftlichen Optionen. Dies ist deshalb relevant für die Auseinandersetzung, insofern auch die Abhängigkeit vom genossenschaftlichen Betrieb Ausbeutungspotentiale in sich birgt. So sind die Beteiligten der Genossenschaften durch Einlagen und Mitgliedschaft stärker an die Genossenschaft gebunden als es für ökonomisch stabil situierte Beschäftigte in einer Eigentumsdemokratie zu erwarten wäre.

Kuch hält dem entgegen, dass genossenschaftliche Unternehmen gegenüber kapitalistischen Unternehmen nicht nur hinsichtlich der Vermeidung von Ausbeutung überlegen sind, sondern auch hinsichtlich der Ausbildung der ethischen Grundhaltung, mit der ökonomische Kooperation begriffen wird. In diesem Sinne beschreibt bereits John St. Mill (1848) Genossenschaften als “school of the social sympathies”. Kuch formuliert damit ein normatives Desiderat, das auch noch für eine weitgehend egalitäre Gesellschaft wie die Eigentumsdemokratie kritische Anforderungen formuliert. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein solches sittliches Ideal in angemessener Form durch den Ausschluss bestimmter Kooperationsformen befördert wird, wenn diese – wie etwa die Lohnarbeit – nicht per se moralisch verwerflich sind, sondern nur unter kontingenten Rahmenbedingungen in Probleme wie Ausbeutung und Armut münden. Zugestanden, in gegenwärtigen Markverhältnissen muss ein Großteil der abhängig Beschäftigten diesen Verweis auf die Bedeutung der Freiheit als Hohn empfinden. Aber in der Eigentumsdemokratie beträten die Wirtschaftssubjekte den Markt nicht mittellos; sie wären also nicht im Marxschen Sinne doppelt frei. Könnte sich unter solchen Bedingungen die gemeinschaftliche Form der unternehmerischen Kooperation nicht auch gegen die kapitalistische Unternehmensform durchsetzen? Zumindest scheinen die Übergänge zwischen den angeführten ökonomischen Utopien fließender als es die Gegenüberstellung vermuten lässt. Eine Eigentumsdemokratie, die sich etwa dem Wert genossenschaftlicher Unternehmensformen und demokratischer Mitbestimmung verpflichten würde, könnte zwar Privateigentum an Kapital zulassen, aber gleichzeitig alternative Kooperationsformen institutionell begünstigen. Umgekehrt könnte ein liberaler Sozialismus in überschaubaren Kontexten einvernehmliche Lohnarbeitsverhältnisse zulassen, sofern diese vor dem Hintergrund eines vergleichsweise flachen Machtgefälles stattfinden. Der Unterschied zwischen einer Position wie der Eigentumsdemokratie und Kuchs liberalem Sozialismus scheint primär in voneinander abweichenden Intuitionen über die angemessenste Form der Vermeidung von Ausbeutung zu bestehen. So setzt die Eigentumsdemokratie zuerst auf die Autonomiebedingungen einzelner Wirtschaftssubjekte, die womöglich gerade dann vor Ausbeutung gefeit sind, wenn sie aufgrund ihrer geringen ökonomischen – und sozialen – Vulnerabilität anderen Subjekten und auch Unternehmen eher als Gleiche begegnen könnten. Auch wenn die Debatte um diese beiden Alternativen zum Kapitalismus eher als graduelle Abwägung denn als binäre Opposition zu verstehen ist, und auch wenn Kuchs Analyse die Überlegenheit des liberalen Sozialismus angesichts seines normativen Preises nicht eindeutig nachweisen kann, erhellt seine Analyse gleichwohl die Verfasstheit der Ideale, anhand derer wir vorstellbare Systeme wirtschaftlicher Kooperation prüfen sollten, und es gelingt ihm, dies anhand praktischer und anschaulicher institutioneller Arrangements zu zeigen.

Literatur


  1. Siehe hierzu etwa O’Neill (2012, 77-78).↩︎

  2. Rawls (2001, 139). Dabei ist zunächst offen, in welcher Form Zugang zu Kapitalressourcen hergestellt wird. Möglich wäre dies etwa durch eine Begrenzung der Vererbbarkeit von Kapitalvermögen, die stattdessen umverteilt werden könnten. Gleichzeitig müsste sichergestellt werden, dass diese umverteilten Kapitalvermögen – etwa in Form von Unternehmens- oder Fondsbeteiligungen als Kapitalvermögen den EmpfängerInnen erhalten blieben. Neuhäuser (2021, 560) begreift den etwa von Roemer vorgeschlagenen Couponsozialismus nicht als Implementierung der Eigentumsdemokratie, insofern in einem solchen System aufgrund der Begrenztheit an Verfügungsrechten über Unternehmensanteile – etwa eingeschränkter Veräußerungsansprüche – überhaupt kein Eigentum an Kapital im Vollsinne bestehe.↩︎

  3. Ein ähnliches Ausbeutungsverständnis als Instrumentalisierung der Vulnerabilität einer anderen Person zum eigenen Vorteil verteidigt etwa Vrousalis (2023).↩︎

  4. Siehe hierzu auch Taylor (2014).↩︎