Demokratischer Fortschritt und kollektive Bildung. Hannes Kuch zwischen pragmatischem Hegelianismus und realer Utopie

Can making norms for ourselves and real-utopian imaginings go terribly wrong?

Zusammenfassung: Der Begriff der (kollektiven Selbst-)Bildung ist genauso zentral wie schwierig, nicht nur im pragmatischen Hegelianismus, sondern auch in Hannes Kuchs Wirtschaft, Demokratie, Liberaler Sozialismus (2023). Einerseits scheint eine kollektive Selbsttransformation demokratisch; andererseits kann eine solche freie und kollektive Veränderung der eigenen Werte zu einem als rechtmäßig empfundenen Unrechtssystem führen, und so in einer Dystopie enden. In diesem Beitrag analysiere und kritisiere ich Kuchs Argumentation vor dem Hintergrund philosophischer Debatten zum kollektiven, demokratischen Fortschritt und einer ‚realen Utopie.‘

Schlagwörter: Bildung, Demokratie, Arbeitswelt, Pragmatismus, Leiden, Idealtheorie

Abstract: The collective formation of a people or group is a central, yet difficult concept both for pragmatic Hegelians and in Hannes Kuchs’ book, Wirtschaft, Demokratie, Liberaler Sozialismus (2023). On the one hand, there is something deeply democratic about the idea that a society transforms itself with individuals constantly discussing, defining and re-defining what counts as good for them. On the other hand, critics have rightly worried that such an approach is relativist and implies that any system can count as just, as long as it fits shared beliefs. In this article I analyze and criticize Kuch’s argument the background of philosophical debates on collective, democratic progress and 'real utopia.'

Keywords: Formation, democracy, work, pragmatism, suffering, ideal theory

Hannes Kuch führt gegen Jürgen Habermas und Axel Honneth ins Feld, dass ein moralisch-gutes und demokratisches Handeln und Denken eine alltägliche, konkrete und ökonomische Bildung erfordert, die in der Marktwirtschaft nicht einfach als gegeben angenommen werden kann.

Kuchs Buch Wirtschaft, Demokratie, Liberaler Sozialismus (2023) steht so im Diskussionszusammenhang der jüngeren Frankfurter Schule und er formuliert, wie mir scheint, einen wichtigen Einwand. Um sein Buch richtig einzuordnen, ist es jedoch zielführender nicht in diesen engeren Kontext einzusteigen, sondern sein Argument im größeren Zusammenhang verschiedener Debatten der Philosophie zu analysieren.

Kuchs Argumentation zur ökonomisch-demokratischen Bildung nimmt auf viele Problemkomplexe und Positionen Bezug. Dies beginnt bereits mit der Aristotelischen/Hegelianischen Annahme, dass tugendhaftes Handeln Gewohnheit bzw. ein Erleben im Alltag erfordert – statt reiner Kantischer Vernunftprinzipien. Zentral für das Verständnis seines Buches und besonders interessant sind meines Erachtens jedoch Kuchs Beitrage zu den folgenden Problemkomplexen rund ums Thema Bildung. Zunächst ist da das geschichtsphilosophische Dilemma des (demokratischen) Fortschritts zu betrachten, das für Kuch sehr wichtig ist. Die Bildung der Menschen in ihrem ökonomischen Alltag zielt darauf ab, Menschen demokratiefähiger und damit wiederum die demokratische Praxis besser zu machen. Das Problem ist folgendes: Wenn die Ziele des Fortschritts vorgegeben sind, scheint er nicht demokratisch zu sein; aber wenn Menschen kollektiv Ziele und Prozesse entwickeln (und die Gesellschaft sie noch nicht ideal dazu ausbildet) dann ist nicht klar, warum Fortschritt und nicht Rückschritt oder zumindest ein relativistisch unbewertbares soziales Ergebnis zu erwarten ist. Der zweite Problemkomplex dreht sich rund um ‚reale Utopien‘ und Idealtheorien und die Rolle von Bildung darin. Kuch führt seine Theorie als ‚reale Utopie‘ ein und stellt enge Verbindungen zur Idealtheorie von Rawls her. Beide Theoriearten versuchen eine andere Gesellschaftsordnung auszumalen, die ‚gangbar‘, also möglich und ‚wünschenswert‘ ist und die zur Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft dient. Hier ist nun die Frage, wieviel Realismus eine solche Theorie benötigt, um ihre von Kuch und anderen unterstrichene kritische Funktion erfüllen zu können. Zum Beispiel kann man mit Charles Mills (2005) fragen, ob Kuchs Theorie systematisch von realen Unterdrückungszusammenhängen abstrahiert und daher ihr eigenes Ziel verfehlen muss, das ja darin besteht, die Bedingungen einer ‚gangbaren‘ Bildung theoretisch zu erfassen.

1. Kuchs Grundgedanke zum Problem der Bildung

Der Grundgedanke von Kuch kann in folgende Behauptungen zerlegt werden:

  1. Demokratisches und gerechtes Handeln der Bürger ist gut und ein anzustrebendes Ideal (das derzeit noch nicht erreicht ist).

  2. Menschen haben keinen natürlichen Gerechtigkeitssinn, der ausreichen würde, um das Ideal eines demokratischen Miteinanders zu realisieren.

  3. Konkreter Gerechtigkeitssinn, sowie gerechtes und demokratisches Handeln basiert auf Bildung im Sinne der Formierung von Handlungs- und Denkgewohnheiten im Alltag.

  4. Eine solche konkrete, alltägliche Bildung oder Formierung der Individuen muss (auch) im ökonomischen Bereich stattfinden, denn die meisten Menschen verbringen einen Großteil ihres Lebens in der Arbeitswelt.

  5. Die Arbeitswelt in der derzeitigen Marktwirtschaft reicht nicht aus für diese Art von Bildung.

  6. Es bedarf daher einer Umstrukturierung der Arbeitswelt, um die demokratische Werteerziehung zu gewährleisten, die für eine wirklich funktionierende Demokratie nötig ist.

2. Kuch und die Bildung/Fortschrittsproblematik im pragmatistischen Hegelianismus

Zentral für Kuchs Bildungsverständnis ist das Fortschrittsproblem, das er anhand des „Paradox demokratischer Bildung“ einführt (Kuch 2023, 150): Das Paradox besteht darin, dass (demokratische) Bildung eine Art Führung oder „Philosophenkönig*in“ voraussetzt, die die Bildungsziele formuliert und lehrt; andererseits sollte (demokratische) Bildung ja demokratisch sein, also vom Volk selbst ausgehen. Aber das ist im Grunde nur ein kleiner Teil des Problems der demokratischen Bildung, das ich als Autoritätsproblem bezeichnen würde oder als Problem vorgegebener Ziele. (Wer darf bestimmen, was gut ist und wie Individuen gebildet werden sollen? Wer oder was gibt die Ziele eines demokratischen Bildungsprozesses vor?). Kuch lehnt die Vorstellung einer Philosophenkönig*in ab, genauso wie die Idee eines angeborenen Gerechtigkeitssinns (Kuch 2023, 163). Stattdessen betont er mit Hegel: „der Gerechtigkeitssinn muss durch die richtige Art von Institutionen hervorgebracht werden“ (Kuch 2023, 163).

Ein solcher Ansatz vermeidet das Autoritätsproblem, bringt aber andere Probleme mit sich. Kuch zitiert in diesem Zusammenhang Forsts Kritik an Hegels Bildungskonzept: Für Forst kommt die Idee, dass sich Menschen „durch die Errichtung sich perfektionierender Institutionen selbst vervollkommnen«, einem „autopoietischen Kunststück“ gleich, das wahrscheinlich in einer Dystopie endet (Forst 2011, 211). Forst erwähnt hier zwei Teilprobleme: Das erste Problem nenne ich ganz unphilosophisch das Huhn-Ei-Problem (Was kommt zuerst: die Individuen, die Institutionen nach ihren Werten errichten, oder die Institutionen, die Individuen in ihrer Wertentwicklung formen?). Das zweite und wichtigste Problem besteht in der Möglichkeit der Dystopie und bezeichnet das Problem der Richtung, in die die Bildung geht (Wie kann bei einem freien, autonomen oder autopoietischen Prozess der kollektiven Selbsttransformation gesichert werden, dass dieser Prozess in eine ethisch gute Richtung läuft?).

Wie versucht Kuch das Autoritäts-, Huhn/Ei- und Richtungsproblem zu lösen? Der Grundgedanke ist folgender: Weder das Ziel des Bildungsprozesses noch die Standards einer Bewertung der Bildungsergebnisse werden vorausgesetzt (Lösung des Autoritätsproblems). Bezüglich der Zirkularität bzw. Ei-Huhn Frage ist klar, dass Kuch tatsächlich ein ‚autopoitisches‘, also selbsterzeugendes System beschreibt, in dem zirkulär Institutionen den Gerechtigkeitssinn ausbilden und Individuen Institutionen errichten, die sie zu gerechteren Individuen erziehen.1 Das Huhn-Ei-Problem wird aber dadurch umgangen, dass Institutionen und Individuen von einem primitiven Status x ausgehend sich gegenseitig verändern und ständig kritisch hinterfragen. Wie Kuch schreibt, muss Bildung konsistent als „reflexive[r] Prozess der kollektiven Selbsttransformation“ (Kuch 2023, 150) verstanden werden. Es besteht ein „Wechselspiel zwischen der zum Teil unbewussten For-
mierung in der historischen Zeit und den reflexiven Veränderungen dieses
Formierungsprozesses in der Gegenwart.“ Bildung ist ein Prozess, der „nachträgliche Distanznahme und Durcharbeitung, die Aneignung und Revision“ der sozialen „Einrichtungen im Lauf eines historischen Lernprozesses potenziell verbessert“ (Kuch 2023, 154).2

Das letzte und schwierigste Problem ist das der (wünschenswerten und guten) Richtung der Bildungsentwicklung. Die Institutionen setzen Bildungsziele und gebildete Individuen voraus, und diese wiederum bedürfen der Institutionen, um sich zu bilden. Wenn man Individuen und Institutionen so mit Hegel als interdependent versteht, dann scheint es wirklich ein Wunder oder „Kunststück“, dass so etwas nicht nur entstehen kann und sondern auch noch ‚positiv‘ verläuft und nicht in der „Dystopie“ endet, insbesondere in dem Desaster eines als gerecht empfundenen Unrechtssystems. Wie kann man vermeiden, dass ein so gelesener Hegel nicht letztendlich jegliches System gutheißt, in dem Individuen die von ihnen geformten Institutionen als legitim empfinden und diese Institutionen und Werte die Individuen wiederum als gut darstellen? Eine solche Beschreibung kann im Prinzip auf ein Mafiasystem oder den Nationalsozialismus passen; oder zumindest auf jegliches System, in dem Werte, Institutionen und individuelle Handlungen zusammengehen, ob wir diese nun von außen betrachtet positiv bewerten oder nicht. Ja, der Ansatz scheint sogar der Möglichkeit einer Bewertung von außen generell zu widersprechen, was den viel geäußerten Vorwurf des Relativismus nach sich zieht (siehe Thompson 2018).

Wie versucht Kuch das Dystopie-Problem zu umgehen? Eine erste, einfache Antwort ist, dass es ihm zufolge der Prozess Institutionen „potenziell verbessert,“ diese also verbessern kann, aber nicht muss. Kuch beschreibt die Bildungsbewegung als eine Spirale, in der bestimmte historische Institutionen kritische Bildung sowie Diskurse und Analysen ermöglichen, aufgrund derer die Institutionen dann wieder verändert und idealerweise verbessert werden. Die Möglichkeit der sprichwörtlichen ‚downward spiral‘ wird hierbei nicht angesprochen.

Dies ist aber nur ein Teil seiner Antwort. Es lohnt sich das Dystopie-Problem im Rahmen des pragmatischen Hegelianismus zu betrachten, aus dem ja der Gedanke eines „reflexiven Prozess der kollektiven Selbsttransformation“ stammt. (Diesen Gedanken kann man im Grunde bei Honneth oder Robert Pippin, Terry Pinkard, John McDowell finden und Kuch schreibt dieses Verständnis explizit „zeitgenössischen Hegel-Interpret[en]“ zu (Kuch 2023, 154)). Grob in Einklang mit dieser Tradition stehend ist für Kuch klar, dass Menschen nicht nur sich selbst und ihre Gewohnheiten verändern und dass sie dadurch gerechter und demokratie-fähiger werden können. Auch das Gerechtigkeitsstreben als Ziel und die Bedeutung des Wortes Gerechtigkeit entstehen historisch und selbst-transformativ im Prozess der menschlichen kollektiven Entwicklung. Diese Position ist so weit in sich stimmig und konsequent.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass es doch nicht ganz klar ist, wie Kuch nun die von Forst befürchtete autopoietische Dystopie vermeiden will – ohne seinem eigenen Ansatz zu widersprechen. Das Problem ist, dass Kuch implizit sehr wohl an der Idee festzuhalten scheint, dass die Ziele des zu entwickelnden Gerechtigkeitssinns klar vorgegeben sind: Was Menschen lernen als gerecht zu empfinden, sind demokratische Ideale wie Solidarität, Offenheit für andere Meinungen, Eingehen auf Bedürfnisse anderer, Wertschätzung und gegenseitige Anerkennung. Die Selbsttransformation ist also nicht komplett frei und selbstbestimmt, sondern soll auf klar vorgezeichneten Bahnen verlaufen. Sein Bildungsverständnis scheint also eher in einem Appell zur Anpassung an extern vorgegebene Standards zu bestehen als in einem Bekenntnis zur freien kollektiven Selbstbestimmung.

Ein solcher Ansatz widerspricht keineswegs der Tradition pragmatisch-hegelianischer Denkweisen – auch wenn Kuch in einem zentralen Punkt von dieser Tradition abweicht. Für die meisten Denker des pragmatischen Hegelianismus ist, angelehnt an Hegel, die Selbsttransformation nur rückblickend zu betrachten. Man kann also nur im Nachhinein den kollektiven Bildungsprozess nachvollziehen und sagen, dass er unseren heutigen Standards zu Folge gut war. Das zeigt sich in Robert Brandoms berühmter Behauptung, dass der „Gang der Vernunft durch die Geschichte“ nur die Geschichten bezeichnet, die wir uns über uns selbst gerne erzählen (Brandom 2009, 91). Kuch spricht im Gegensatz dazu von einer noch zu erwartenden oder zu erhoffenden zukünftigen Entwicklung.

Und dennoch ist ein implizit zweideutiges Verständnis von Bildung und Fortschritt sehr wohl Teil des pragmatisch-hegelianischen Programms. Die Sache ist die: Jegliche kollektive Bildung und jegliche neuen, kollektiven Werte sind gut für diejenigen, die diese Werte mitentwickelt haben und/oder teilen. Natürlich könnten die Diskursteilnehmer sich irren oder ihre Werte neu überdenken, aber grundsätzlich sind kollektive Werte, per definition Werte die eine Mehrheit gutheißt. Zu sagen, dass eine kollektive Weiterentwicklung von Werten eine gute oder positive Entwicklung ist für diejenigen, die daran teilhaben, ist also fast tautologisch. Aber, und hier kommt das große „Aber“, pragmatische Hegelianer wollen meist nicht nur diese minimale tautologische Aussage machen. Sie nehmen implizit an, dass das Ergebnis der historisch erreichten Bildung nicht einzig und allein aus Sicht der so Gebildeten gut ist. Stattdessen suggerieren Interpreten wie Pippin und Pinkard zumindest implizit, dass die moderne Gesellschaft tatsächlich und objektiv besser ist als frühere bzw. andere Gesellschaften und größere Legitimation verdient. Pippin schreibt zum Beispiel: “Ethical institutions which base their claim to authority on a claim about being legislated by the nature of man, the will of God, or the accidents of history are thus not objectively rational” (Pippin 2008, 259). Institutionen, die über angebliche natürliche Gegebenheiten oder göttliche Fügung legitimiert werden, sind nicht rational. Institutionen sind nur dann „objektiv rational“, wenn sie sich selbst begründen und legitimieren; solche Institutionen basieren auf einem „appeal to reasons, justifications and norms“ (Pippin 2008, 112). Also kurz gesagt: Wenn man gute Gründe für Institutionen anführen und diese verteidigen muss, dann ist zu erwarten, dass das Ergebnis, also die erreichten Institutionen, besser ist, als, wenn keine rationale Rechtfertigung eingefordert wird. Daher ist anzunehmen, dass die (westlichen) moderne Institutionen nicht nur aus unserer heutigen Sicht, sondern objektiv und damit auch transhistorisch besser sind als andere. Diese Annahme mag schlüssig erscheinen. Aber sie ist nur kohärent, wenn zusätzlich drei Hintergrundannahmen gemacht werden: 1. dass keine andere, nicht-westlich-moderne Gesellschaft vor, neben oder nach der Aufklärung jemals Gründe für ihre Werte anführte (und andere Werte und Institutionen nicht genauso gut oder besser begründbar sind als moderne), 2. dass bei der Rechtfertigung in der Moderne alle beteiligt waren/sind – bzw. wenn alle beteiligt wären, keine ganz anderen Institutionen oder Werte sich durchsetzen würden; und 3., dass man nicht auch moralisch schlechte Werte gut begründen kann. Die erste Hintergrundannahme ist widerlegt (Allen, 2016) und kolonial überheblich. Der empirische Anteil der zweiten Annahme ist historisch de facto nicht korrekt (es haben nicht alle Nord-Amerikaner bzw. Menschen der Welt teilgenommen an der Rechtfertigung der geltenden Werte und Institutionen); der Rest ist rein spekulativ. Und auch die dritte Annahme ist logisch fragwürdig. Wenn man den historischen Ansatz ernst nimmt, verändern sich die Standards, anhand derer Gründe als gut oder schlecht gelten, über die Geschichte hinweg. In verschiedenen Gesellschaften gelten verschiedene Standards, die festlegen, ob etwas als ein guter Grund gilt oder nicht. Das impliziert den von Michael Thompson und anderen monierten Relativismus.3

Kuch führt , im Gegensatz zu den jüngsten Arbeiten von Pippin, keine logisch vorgegebenen Bewertungskriterien ins Feld, anhand derer man den Gang der kollektiven Selbst-Transformation bewerten und so den Relativismus vermeiden könnte. Ganz im Gegenteil, Kuch betont häufig, dass der ‚Gerechtigkeitssinn‘ sich über die Geschichte hinweg verändert – und somit die Bedeutung von Begriffen wie ‚gerecht‘ und ‚demokratisch‘. Und so stellt sich doch verstärkt die Frage, inwiefern Kuch die Gefahr der Dystopie eines autopoietischen Systems wirklich überwundern hat. Anders gesagt: Wie kann man so sicher sein, dass die ‚Bildung‘ nicht letztendlich ein Selbstläufer wird, indem sich ein Kollektiv in ein als gerecht empfundenes Unrechtssystem verrennt? Zudem ist natürlich Folgendes klar: Es ist widersprüchlich, einerseits anzunehmen, dass es keine externen Bewertungsstandards gibt und alles nur nach dem jeweiligen historischen Wertesystem beurteilt werden kann, und gleichzeitig zu suggerieren, dass die europäischen, liberalen Werte und Institutionen gut im transhistorischen Sinne seien. Inwiefern ist hier das „Paradox demokratischer Bildung“ überwunden und das Problem der gleichzeitigen Notwendigkeit und Unmöglichkeit vorgegebener Bildungsziele gelöst?

3. Kuch und ‚reale Utopien‘/Idealtheorien – über konsistentes, utopisches Denken und reale Oppression

Kuch ordnet seine Theorie im Kontext „realer Utopien“ (Kuch 2023, 15) ein, also Theorien, die sich explizit gegen das Utopieverbot der frühen Frankfurter Schule wenden, und versuchen eine mögliche und bessere Gesellschaft zu imaginieren. Wie Kuch schreibt: reale Utopien müssen „praktisch verwirklichbar sein, doch handelt es sich immer noch um Utopien in einem spezifischen Sinn: Sie setzen einen Bruch mit der bestehenden Wirtschaftsordnung voraus.“ (Kuch 2023, 17).

Dieser ‚real-utopische‘ Ansatz ermöglicht es Kuch, Rawls‘ Idealtheorie mit Denkern und Themen der Frankfurter Schule zusammenzubringen. Denn auch Rawls Idealtheorie beantwortet folgende Frage, die Kuch zitiert: „Wie wäre eine gerechte demokratische Gesellschaft unter einigermaßen günstigen, aber immerhin möglichen historischen Bedingungen beschaffen – also unter Bedingungen, die von den Gesetzen und Tendenzen der sozialen Welt zugelassen werden?“ (Rawls 2003: §1.4, Kuch 2023,67). Kuch will in diesem Sinne eine Theorie entwickeln die bei Rawls ‚realistische Utopie‘ heißt, die er jedoch meist mit Wright (2010) als ‚reale Utopie‘ bezeichnet. Eine solche Theorie soll eine Gesellschaftsstruktur vorschlagen, die sowohl „gangbar“ als auch „wünschenswert“ ist (Kuch, 2023, 16). Es geht Kuch also darum, mit Rawls, Hegel und anderen eine Gesellschaftsstruktur vorzuschlagen, die zum einen „zumindest grundsätzlich machbar“ und an die gegenwärtigen gesellschaftliche Realität anschließt. Zum anderen soll die Gesellschaftsordnung utopisch sein, also eine bessere Gesellschaft, wie Kuch sie sich ausmalt ohne sich von der Umsetzbarkeit, also den „Stand der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse“ einschränken zu lassen (Kuch 2023,16).

Wie viele Idealtheoretiker, arbeitet Kuch einerseits mit Idealen, also wünschenswerten Zielen der gesellschaftlichen Entwicklung, und andererseits mit Idealisierungen, also positiv-vereinfachten Darstellungen sozialer Prozesse. An welchen Idealen orientiert sich Kuchs Verständnis einer ‚besseren‘ Gesellschaft? Das zentrale Ideal ist das der kollektiven Bildung hin zu mehr Demokratie. Das anvisierte Ziel der Demokratie und moralisch-gebildeten Menschheit ist vereinfacht oder idealisiert dargestellt; genau wie das Mittel zu diesem Ziel, also die mögliche Bildung in alltäglichen, ökonomischen Interaktionen.

Ich möchte in diesem Abschnitt nun sowohl das idealisierte Ziel (wahre Demokratie und demokratisch gebildete Menschen) als auch das idealisierte Mittel dafür (eine neue ökonomische Praxis als Bildungsinstanz) kritisch vor dem Hintergrund einer ‚realen Utopie‘ analysieren. Sind die von Kuch anvisierten Ziele und Mittel ‚gangbar‘ und ‚wünschenswert‘? Was genau bedeutet das?

Wünschenswert bedeutet ‚gut‘ in einem zu spezifizierenden Sinne. Gut gemessen an gegenwärtigen Überzeugungen scheint zu gering zu sein, um den Begriff der Utopie zu rechtfertigen. Nach einem solchen, rein historischen Verständnis wäre die entworfene ‚bessere Gesellschaft‘ eine Utopie und gut nur für und aus dem Blickwinkel der Mitglieder einer ganz bestimmten Gesellschaft. Für andere Gesellschaften und deren Mitglieder wäre die sogenannte Utopie keineswegs wünschenswert. In diesem Sinne könnte im Kapitalismus die komplette Kontrolle der Natur und eine unendliche Anhäufung von Konsumgütern wünschenswert und (irreal) utopisch sein, aber für andere Menschen könnte es eine Dystopie darstellen. Wenn aber der Bewertungsstandard, der die Utopie von der Dystopie unterscheidet, nicht selbst historisch, sondern ahistorisch vorgegeben ist, dann ist nicht klar, wie dies mit Kuchs historischem Ansatz zusammenpasst – und worauf diese ahistorischen Normen gründen. Hier wiederholt sich im Grunde die problematische Frage des vorherigen Abschnitts auf größerer Skala: Inwiefern kann überhaupt ein Bildungsziel oder eben eine ganze, angebliche Utopie gut sein? Wer entscheidet darüber? Die Philosophen*königin - oder Kuch? Woher haben sie ihr Wissen und ihre Legitimität? Von welchem Standpunkt aus können sie das sehen und wissen, was sonst kein Mensch sehen kann?

‚Gangbar‘ bedeutet prinzipiell möglich, also möglich, wenn man die aktuellen materiellen und sozialen Gegebenheiten voraussetzt. Es bedeutet aber sicher auch intern konsistent und logisch kohärent. Eine intern widersprüchliche Utopie ist eher eine Art Farce, ein witziges, vielleicht anregendes Kunstprodukt, aber kein ‚machbarer‘ Vorschlag für eine bessere Welt. Ich habe bereits implizit einige Fragen der internen Kohärenz der Ideale aufgeworfen: Sind die demokratischen Ideale vom Autor Kuch vorgegeben und damit undemokratisch oder sind sie frei selbst gesetzt, was dann sehr wohl in eine dystopische Situation führen kann? Ist es nicht undemokratisch und somit intern widersprüchlich, demokratische Ideale, ja überhaupt eine ‚Utopie‘ zu oktroyieren?

Für eine reale Utopie müssen auch die anvisierten Mittel der Bildung, nicht nur die Ziele in sich stimmig und gangbar sein. Eine solche Einschränkung ist nötig, um Idealtheorie und reale Utopie von purer Spekulation zu unterscheiden und ihr die Funktion zu bewahren, der Kritik und sozialen Veränderungen förderlich zu sein. Was ist eigentlich das Mittel der Bildung, das Kuch anvisiert? Kuch verteidigt einen ‚liberalen Sozialismus‘, den er gegen eine ‚Eigentümerdemokratie‘ à la Rawls und Alan Thomas (2017) abgrenzt. Es geht Kuch um die „materialistischen Formierungsbedingungen eines Ethos demokratischer Gerechtigkeit“ auf Grundlage von „geteilten Eigentumsstrukturen in der ökonomischen Sphäre“ (Kuch 2023, 21). Im Kern ist das Ziel, dass Arbeiter auch als Eigentümer/Shareholder und Entscheidungsträger an ihrem Unternehmen beteiligt sein sollten. Auch wenn die genaue Abgrenzung zur Eigentümerdemokratie gelegentlich etwas unfair gegen deren Verfechter erscheint, ist es an sich stimmig zu argumentieren, dass eine Teilhabe an unternehmensinternen Entscheidungen und Gewinn Demokratie lehren kann und so, auch ohne sozialistische Rhetorik, eine gewisse Überwindung der freien Marktwirtschaft legitimiert wird. Eine detaillierte Diskussion dieses Vorschlags überlasse ich anderen Beiträgen.

Für meinen Beitrag ist es ausreichend Folgendes anzunehmen: Kuch hat Recht und die Wirtschaft ist ein wichtiger Bereich, in dem demokratische Bildung stattfinden sollte. Er hat auch Recht anzunehmen, dass dies am Besten in Form von Teilhabe von Arbeitern an Entscheidungen und Gewinn geschieht.

Auch wenn wir das so annehmen, kann man dennoch die ‚Gangbarkeit‘ bzw. interne Konsistenz einer solchen Bildung in Frage stellen. Zum Einen ist da der alte marxistische Einwand der Ideologie oder des falschen Bewusstseins. Die Marktwirtschaft untergräbt die Fähigkeiten, die für eine Kritik bzw. Verbesserung des sozialen Zusammenlebens nötig wären. Das schreibt Kuch in ähnlichen Worten selbst. Aber woher können dann die intellektuellen Ressourcen zur demokratischen Selbst-Transformation der Menschen kommen? Wie kann eine Utopie ‚gangbar‘, also realisierbar sein, wenn die derzeitige Gesellschaft systematisch die subjektive Motivation zu einer solchen Veränderung zerstört? (Und inwiefern ist die Forderung einer solchen Veränderung utopisch, demokratisch und gut, wenn keiner oder kaum jemand sie sich wünscht?)

Hinzu kommt, dass die Marktwirtschaft, sowohl in der Produktion als auch in der Konsumption, de facto global ist und nach historisch entstandenen Strukturen der Ungleichheit und Übervorteilung funktioniert. Man kann nicht leugnen, dass systematische Asymmetrien zu Gunsten der ehemaligen Kolonialmächte auf Kosten der Arbeiter ehemaligen Kolonien bestehen. W.E.B. Du Bois ging sogar so weit, bereits 1935 von einer Zwei-Klassen-Arbeiterschaft zu sprechen, auf der die Weltwirtschaft basiere: Nicht-westliche/nicht-weiße Arbeiter werden von liberalen Rechtsnormen ausgeschlossen und extrem ausgebeutet. Sie ermöglichen so den relativen Wohlstand weißer Arbeiter – und somit das Funktionieren westlicher liberaler Gesellschaften (Du Bois 2012, siehe auch Robinson 1983). Bedeutet dies nicht, dass wir Theoretikerinnen wie Bhambra (2021, 83-84) beipflichten müssen und systematische Reparationen von Europa an ehemalige Kolonien moralisch, ethisch, ökonomisch und nun eben auch bildungstechnisch nötig sind? Wie können europäische Arbeitnehmer einen konsistenten Gerechtigkeitssinn und demokratische Überzeugungen ausbilden, wenn sie in ihren Köpfen ständig einen Orwellschen ‚doublethink’ praktizieren müssen? Wenn sie immer zwischen ‚uns‘ und ‚den Anderen‘ unterscheiden müssen und nur auf ihre eigene Gruppe die Standards der Gerechtigkeit anwenden sollen? Es ist anzunehmen, dass der von Kuch anvisierte Gerechtigkeitssinn keine Clan-Solidarität sein soll, sondern eine ethische Haltung mit universellen Standards und Forderungen. Eine solche kann man sicher nicht dadurch einüben, dass man die Universalität seiner ethischen Ansprüche täglich ignoriert. Auch wenn es verständlich ist, dass Kuch keine Arbeiterräte vorsieht, die globale Fragen entscheiden, wäre zumindest eine außenpolitische und wirtschaftliche Orientierung hin zur Gerechtigkeit für alle für die Konsistenz seiner Theorie systematisch notwendig.

Generell besteht die Frage, ob es Sinn macht, Bildung (zur Demokratie) isoliert von realen Oppressionszusammenhängen und strukturellen, epistemischen, materiellen Ungleichheiten zu betrachten. Die eine Ungleichheit, die Kuch beachtet, ist die zwischen Kapital und Arbeit und versucht, diese systematisch zu reduzieren. Aber es ist Teil seines idealtheoretisch inspirierten Ansatzes, andere Ungleichheiten und Oppressionenslinien auszuklammern, unter anderem den Rassismus, (Post-)Kolonialismus und das Patriachat. Mills schreibt in seiner berühmten Kritik an Idealtheorien, dass sie notwendig „zu Oppression schweigen“, auf Grund einer „reliance on idealization to the exclusion, or at least marginalization, of the actual“ (Mills 2005, 168). Oppression wird mit der Wirklichkeit zusammen aus der Idealtheorie ausgeklammert. Aber sind nicht auch andere Oppressionsstrukturen und strukturelle Ungleichheiten neben der Kapital-Arbeits-Beziehung wichtige Fakten, mit denen eine Theorie der Gerechtigkeit und Demokratie umgehen muss? Bedingt es nicht die Weise, wie Menschen wahrnehmen, wer in einem (formal demokratischen) Diskurs gehört wird, wessen Bedürfnisse wichtig erscheinen? Sind diese Oppressionzusammenhänge nicht wichtig, sowohl um eine „gangbare“ Umsetzung der Demokratisierung als auch um eine „wünschenswerte“, bessere Gesellschaft zu formulieren?

Ich möchte sogar noch weitergehen und in Bezug auf Hegel Folgendes suggerieren: Das Verständnis der Bildung, auf das sich Kuch, aber auch McDowell, Pinkard und Pippin gerne beziehen, neigt systematisch zur Oppressions-Blindheit und Abstraktion von Machtverhältnissen. Ein von dieser Tradition inspiriertes Bildungsverständnis ist aus diesem Grund gerade nicht ‚gangbar‘ und kann daher auch nicht konsistent real-utopisch sein.

Kuch hat gewiss gute Gründe zu schreiben, dass für Hegel Bildung die „zunehmende Verallgemeinerung des partikularen, natürlichen Willens hin zu einem allgemeinen, rationalen und freien Willen” (Kuch 2023, 102) bedeutet. Wenn Hegel fordert, seinen individuellen Willen zu verallgemeinern, bedeutet das nicht im heutigen Kontext, dass schwarze Amerikaner ihre besonderen Probleme und ihre Geschichte vergessen sollen und sich auf das Allgemeinwohl der Amerikanischen Nation, die Gesetze und die Verfassung besinnen sollen? Eine Verfassung, die sie systematisch ausgeschlossen hat und die von Weißen während Zeiten der Sklaverei ohne ihre Beteiligung geschrieben wurde? Kann das wirklich der wahre, rationale, „allgemeine“ Wille der schwarzen Amerikaner sein? Ich interpretiere Hegel daher bewusst anders: Für ‚meinen‘ Hegel ist das Allgemeinwohl nichts anderes als das organische, kollektiv koordinierte Zusammenspiel aller Berufs- und Interessengruppen, mit Hilfe dessen sich die Gesellschaft materiell reproduziert und jede Gruppe sich selbst verwirklicht. Jeder soll seine eigenen Interessen so vertreten, dass er dem Ziel einer harmonischen, organischen Unterstützung aller durch alle zuarbeitet (Baumann 2018). Kuch lehnt eine solche Interpretation ab. Er ist insofern in einer Linie mit Pippin, Pinkard, und McDowell. In deren Texten klingt es manchmal so, als ob jemand, der sich systematisch ausgeschlossen fühlt, sich nur mit dem falschen Aspekt von sich selbst identifiziere. Pippin schreibt zum Beispiel, Individuen müssten “als Gewohnheit verstanden und verinnerlicht” haben, dass, was als “Opfer der Individualität oder die Herrschaft großer Gemeinschaften über Individuen” erscheinen mag, in Wirklichkeit Teil ihrer Freiheit sei (Pippin 2019, 271). Individuen sollten „accept the purpose of the world as their own,” also den Zweck der Welt als ihren eigenen annehmen und Gutes tun wollen, was gleichbedeutend sei mit “what the state of the world requires“ (Pippin 2019, 309). Kurz gesagt: Wir müssen uns als Teil der Allgemeinheit wahrnehmen und das wollen, was für die Gemeinschaft und die Welt gut und nötig ist. Dies scheint zu implizieren: Jemand, der sich ausgeschlossen, diskriminiert oder nicht repräsentiert fühlt, sollte sich mit seinem allgemeinen, rationalen Menschensein identifizieren. Wenn er dies täte, würde er sich so sofort gut repräsentiert fühlen, er wäre froh, wenn es der Nation gut geht, und er wäre frei, da er die Gesetze, die ihn kontrollieren, selbst will. Eine solche Neu-Identifizierung wäre dann auch ein erfolgreicher Bildungsprozess. Die zunächst ausgeschlossene Person of Color ist plötzlich kein POC mit eigenen, besonderen Interessen mehr, sondern einfach ein rationaler Mensch, der als solcher das Wohlergehen der Menschheit will. Er ist nun gebildet, freier und zufriedener und das Problem scheint gelöst. Ich formuliere das bewusst zugespitzt; aber die grundliegende Stoßrichtung ist meines Erachtens sehr wohl bei Pippin angelegt.

Dies kann natürlich nicht Kuchs Meinung sein, denn sein Bildungsbegriff ist viel konkreter und bezieht Mitbestimmung und materielle Vorteile mit ein. Für Kuch verallgemeinert Bildung die Individuen in dem Sinne, dass sie lernen, ihre Bedürfnisse so zu formulieren, dass sie sozial befriedigt werden können; und insofern sie lernen auf andere und ihre Bedürfnisse einzugehen und eigene Bedürfnisse auch mal zurückzustellen. Ich sympathisiere durchaus mit dem Grundgedanken. Er muss aber mit einem Bewusstsein von Oppression begleitet werden, damit nicht immer dieselben, nämlich die Schwächsten, gebeten werden, ihre Bedürfnisse zurückzustellen oder so umzuformulieren, dass sie keinen damit stören. Außerdem sollte Kuchs Theorie, aus logischen und systematischen Gründen, um Vorschläge zu konkreten Maßnahmen zur materiellen Teilhabe aller Menschen ergänzt werden.

Literatur


  1. „Der Gerechtigkeitssinn kann nicht einfach der Ausgangspunkt sein, sondern muss durch die richtige Art von Institutionen hervorgebracht werden“ (Kuch 2023, 163).↩︎

  2. Kuch hat, Hegel folgend, vor allem ökonomische Institutionen für diese Aufgabe im Blick. Hier sind insbesondere die hegelschen „Korporationen“ relevant; das sind Zusammenschlüsse von Berufsgruppen, in denen sich Mitglieder gegenseitig unterstützen und ihre Interessen gemeinsam (im Parlament) vertreten. In solchen Institutionen üben die Mitglieder Solidarität, Debattieren, Anerkennen die Bedürfnisse und Beiträge anderer und kämpfen gemeinsam für das Wohl der Gruppe. Auch wenn Hegel die mittelalterlichen Zünfte im Sinn hat, waren Praktiken solcher Art tatsächlich zum Beispiel auch innerhalb der englischen und deutschen Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert verbreitet, mit gemeinsamen Schulen, Waisen- und Witwenversorgung, Krankenpflege etc. (siehe z.B. Mount 2010). Kuch spricht von einer Ethos-formierenden Macht der Institutionen, die den Alltag und die „nächste Realität“ (Kuch 2023, 186) der Individuen darstellen und so ihre Einstellungen und Persönlichkeiten formen.↩︎

  3. Pippin versucht diese Konsequenz in seinem Metaphysik-Buch (Pippin 2019) dadurch zu umgehen, dass er a priori Prinzipien einführt, die festlegen, wie man Schlussfolgerungen konsistent zieht (siehe Baumann 2019). Ob Pippin dies gelingt, kann ich hier nicht erörtern.↩︎