Brauchen wir eine neue Ethik für das Anthropozän? Individuelle Verantwortung für kollektive Schäden im Kontext des Klimawandels2

Do we need a new ethics for the Anthropocene? Individual responsibility for collective damage in the context of climate change

Zusammenfassung: Es besteht Konsens darüber, dass der Klimawandel ein genuin ethisches Problem darstellt und insbesondere Fragen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit aufwirft. Unstrittig ist auch, dass Staaten zu den zentralen kollektiven Akteuren gehören, die intergenerationelle Verantwortung für effektiven Klimaschutz tragen. Zu den nach wie vor kontroversen Aspekten in der Klimaethik gehört die Frage, ob und inwiefern Einzelpersonen Verantwortung für ihre mit Emissionen verbundenen Handlungen zugeschrieben werden kann. Das Problem besteht darin, solche Handlungen von Einzelpersonen aufgrund ihrer kausalen Geringfügigkeit überhaupt als moralisch relevante Handlungen zu identifizieren. Die spezifischen Merkmale des Klimawandels könnten zudem den Eindruck erwecken, dass der Verantwortungsbegriff modifiziert oder durch einen Begriff kollektiver Verantwortung ersetzt werden muss, wenn Handlungen von Einzelpersonen im Kontext des Klimawandels moralische Relevanz zukommen soll. In diesem Beitrag möchte ich dagegen einen Vorschlag entwickeln, demzufolge Einzelpersonen Verantwortung zugeschrieben werden kann, ohne jedoch unseren gängigen Verantwortungsbegriffs zu revidieren. Die leitende These ist dabei, dass der kollektive und intergenerationelle Kontext des Klimawandels die Form von mit Emissionen verbundenen Handlungen verändert. Dies beeinflusst auch die moralische Bewertung dieser Handlungen, indem mit Emissionen verbundene Handlungen durch ihre Verknüpfung mit dem globalen CO2-Budget rechtfertigungspflichtig werden.

Schlagwörter: Klimawandel, Individuelle Verantwortung, Kollektives Handeln, Kollektive Verantwortung

Abstract: There is broad consensus that climate change is a genuinely ethical problem and raises questions of intra- and intergenerational justice in particular. It is also undisputed that states are among the central collective agents that bear intergenerational responsibility for effective climate action. One of the still controversial issues in climate ethics is the question whether and to what extent responsibility can be attributed to individuals for their actions associated with emissions. The problem lies in identifying such actions by individuals as morally relevant actions due to their causal insignificance. The specific characteristics of climate change could also give the impression that the concept of responsibility needs to be modified or replaced by a concept of collective responsibility if the actions of individuals in the context of climate change are to have moral relevance. In this article, however, I would like to develop a proposal according to which individuals can be attributed responsibility without revising our current concept of responsibility. The guiding thesis is that the collective and intergenerational context of climate change modifies the form of actions associated with emissions. This also influences the moral evaluation of these actions, as actions associated with emissions become subject to justification through their connection to the global carbon budget.

Keywords: Climate Change, Individual Responsibility, Collective Agency, Collective Responsibility

1. Einleitung

Paul Crutzen hat den Begriff Anthropozän geprägt, um das gegenwärtige Zeitalter als eines zu charakterisieren, das durch den immens gestiegenen Einfluss des Menschen auf die Umwelt gekennzeichnet ist (Crutzen 2002). Die wohl bedeutendste Folge des Anthropozäns stellt der Klimawandel dar. Der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) macht deutlich, dass der Klimawandel eindeutig durch anthropogene Treibhausgasemissionen (im Folgenden THGs) verursacht wird und dessen Auswirkungen überwiegend negative Folgen für Menschen, Tiere und die Umwelt haben (IPCC 2023, 4f.).

Es besteht Konsens darüber, dass der Klimawandel ein genuin ethisches Problem darstellt und insbesondere Fragen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit aufwirft (Bartmann und Halsband 2023; Birnbacher 2022; Gardiner 2011b; Roser und Seidel 2015).3 Zwar wird der Klimawandel als ein mit gewaltigen Herausforderungen verbundenes Problem beschrieben, jedoch nicht als ein zwingend neuartiges ethisches Problem. Zumeist wird dieses Problem als ein collective action problem besonderer Größenordnung angesehen, da die negativen Konsequenzen des Klimawandels eine Folge der Handlungen zahlreicher Einzelpersonen sind (Hormio 2023). Jedoch scheint es kaum möglich, Klimawandelschäden – und damit eine entsprechende Verantwortung – Einzelpersonen zuzuschreiben. Parallel zur Diagnose des Klimawandels als ein kollektiv verursachtes Problem werden auch die Lösungsansätze häufig auf der kollektiven Ebene verortet. Denn genauso wenig wie Einzelpersonen verantwortlich für Klimawandelschäden zu sein scheinen, können Einzelpersonen das Problem im Alleingang lösen. Daher werden neben internationalen Organisationen zumeist Staaten als zentrale kollektive Akteur:innen im Kampf gegen den Klimawandel in den Blick genommen (Wallimann-Helmer 2017).

Wie erwähnt ist ein besonders relevantes Merkmal, das der Klimawandel mit weiteren Problemen globalen und intergenerationellen Maßstabs gemeinsam hat, die Beteiligung zahlreicher Akteur:innen, die – isoliert betrachtet – häufig einen nur geringfügigen oder gar keinen identifizierbaren Anteil an kollektiv verursachten Schäden haben. Deswegen und auch angesichts der zunehmenden Vernetzung von Akteur:innen im Rahmen einer sich intensivierenden Globalisierung ist die Frage nach kollektiver Verantwortung in jüngerer Zeit wieder in den Fokus moraltheoretischer Untersuchung gerückt (Bazargan-Forward und Tollefsen 2020).4

Dale Jamieson ist in seiner Analyse des Problems noch einen Schritt weitergegangen. Durch seine spezifischen Merkmale sei der Klimawandel ein Phänomen, auf das der uns geläufige Begriff moralischer Verantwortung nicht angewandt werden könne und das daher ein völlig neuartiges Problem darstelle (Jamieson 1992, 149):

Today we face the possibility that the global environment may be destroyed, yet no one will be responsible. This is a new problem.5

In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, inwiefern Einzelpersonen Verantwortung für kollektiv verursachte Klimawandelschäden zugeschrieben werden kann und ob dafür ein neuartiger Verantwortungsbegriff nötig ist. Dabei werde ich einen eigenen Vorschlag entwickeln, demzufolge Einzelpersonen Verantwortung zugeschrieben werden kann und der dennoch keine Revision unseres gängigen Verantwortungsbegriffs impliziert. Die leitende These ist dabei, dass der kollektive und intergenerationelle Kontext des Klimawandels die Form von mit Emissionen verbundenen Handlungen verändert.6 Hierdurch wird auch die moralische Bewertung dieser Handlungen beeinflusst, indem mit Emissionen verbundene Handlungen durch ihre Verknüpfung mit dem globalen CO2-Budget rechtfertigungspflichtig werden.7

Dieser Beitrag gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt (2.) beleuchtet das Problem der individuellen Verantwortungszuschreibung im Kontext des Klimawandels. Der zweite Abschnitt (3.) untersucht kritisch in jüngerer Zeit entwickelte Ansätze, die individuelle Verantwortung vermittelt über kollektive moralische Verantwortung rekonstruieren. Wie ich zu zeigen versuche, sind auch diese Ansätze mit einigen Schwierigkeiten behaftet. Vor diesem Hintergrund entwickle ich im dritten Abschnitt (4.) schließlich in Auseinandersetzung mit den vorgestellten Ansätzen einen Vorschlag, wie individuelle Verantwortung im Kontext des Klimawandels konzipiert werden kann, ohne unseren gängigen Verantwortungsbegriff prinzipiell zu revidieren.

2. Individuelle Verantwortung und der fehlende Kausalnexus

Über individuelle moralische Verantwortung im Kontext des Klimawandels gibt es eine umfangreiche Debatte (Fragnière 2016). Dreh- und Angelpunkt dieser Debatte ist der Kausalnexus zwischen Einzelhandlungen und potenziellen Klimawandelschäden (insbesondere für künftige Generationen). Das Kernproblem der Debatte wird auch als „Problem der minimalen Beiträge“ (Birnbacher 2022, 159) bezeichnet. Dieses besteht darin, dass die verschwindend geringen Emissionen unzähliger und über den Globus verteilter Einzelpersonen sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte in der Atmosphäre akkumulieren. In der Folge kann es zu signifikanten Veränderungen im globalen Klimasystem und schließlich – u. a. in Form von steigenden Temperaturen und sich häufenden Extremwetterereignissen – zu überwiegend negativen Auswirkungen auf Menschen, Tiere und die Umwelt kommen. Ein in der Literatur häufig diskutiertes Beispiel für den Kausalnexus ist die sonntägliche Vergnügungsfahrt mit einem emissionsintensiven Spritschlucker: Entgegen der Intuition, dass es sich dabei um umweltschädliches und zu vermeidendes Verhalten handelt, erweist es sich als schwierig, diese Vergnügungsfahrt als schädigende Handlung und damit als moralisch problematisch zu kennzeichnen (Sinnott-Armstrong 2010). Dafür sind die mit der Vergnügungsfahrt verbundenen Emissionen einfach zu gering, sodass es sogar fragwürdig scheint, überhaupt von einem kausalen Beitrag einer solchen Handlung zum Klimawandel zu sprechen.

Sinnott-Armstrongs Beispiel hat zahlreiche Reaktionen provoziert, die grob in drei Argumentationsstrategien unterteilt werden können (Fragnière 2016). Die erste Strategie besteht in der Unterminierung der Prämisse, dass die minimalen Emissionsmengen von Einzelpersonen kausal unwirksam seien (u. a. durch Hinweis auf den sogenannten butterfly effect oder Schwellenwerte). Z. B. wurden Berechnungen angestellt, denen zufolge die Emissionen einer durchschnittlichen US-Amerikaner:in verantwortlich für Schädigungen an – oder gar für den Tod von – ein bis zwei zukünftigen Personen sind (Nolt 2011). Diese Berechnungen beruhen jedoch – wie Nolt selbst auch einräumt – auf kontroversen Prämissen und sind mit nicht unerheblichen empirischen Unsicherheiten behaftet. Darüber hinaus wurde auf ein grundsätzliches Problem dieser Strategie hingewiesen (Leist 2015, 118). So stellt sich die Frage, ob es überhaupt legitim ist, den vermuteten Gesamtschaden mittels Durchschnittswerten auf Einzelpersonen umzulegen. Diese Umlegung wäre dann gerechtfertigt, wenn es sich bei den Emittent:innen um eine strukturierte Gruppe (wie etwa Vereine oder Firmen) handelte. Dies ist aber bereits für Staaten kontrovers und bei der gesamten (vergleichsweise wenig organisierten) Weltbevölkerung äußerst fragwürdig.8 Die zweite Strategie akzeptiert die Prämisse und versucht, moralische Verantwortung auf einer nicht-kausalen Grundlage zu etablieren (z. B. durch Überlegungen zu Fairness). Auf diese Strategie werde ich in Abschnitt 4 zurückkommen. Die dritte Strategie schließlich (die auch Sinnott-Armstrongs eigene ist) akzeptiert die Prämisse ebenfalls und sieht die Pflicht des Individuums darin, sich an Kollektiven bzw. kollektiven Handlungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu beteiligen oder diese zu unterstützen (z. B. durch entsprechendes Wahl- oder Protestverhalten oder die Unterstützung entsprechender Organisationen). Auf diese Strategie der Verantwortungsverschiebung auf die kollektive Ebene werde ich im nächsten Abschnitt eingehen.

Obwohl der Klimawandel eine gewaltige moralische Herausforderung ist, ziehen nur wenige Autor:innen den Schluss, dass der Klimawandel auch eine Herausforderung für unsere moraltheoretischen Begrifflichkeiten sein könnte. In mehreren Schriften hat Dale Jamieson dagegen die These aufgestellt und verteidigt, dass der Klimawandel kein eindeutiger Fall individueller moralischer Verantwortung sei (Jamieson 1992, 2010, 2014). Es sei zwar möglich, den Klimawandel als ein ethisches Problem auszuweisen, allerdings erfordere eine solche Argumentation die Revision unseres Begriffs moralischer Verantwortung selbst, da das Phänomen Klimawandel nicht ohne Weiteres unter ihn falle (Jamieson 2010, 439). Für seine These argumentiert Jamieson, indem er den Klimawandel mit paradigmatischen Fällen moralischer Verantwortung vergleicht und zu zeigen versucht, dass dem Klimawandel wesentliche Aspekte fehlen, durch die bestimmte Handlungen für gewöhnlich an moralischer Relevanz gewinnen. Sein häufig verwendetes Beispiel lautet folgendermaßen (Jamieson 2014, 149):

Jack intentionally steals Jill’s bicycle.

Jacks Diebstahl gilt Jamieson als paradigmatischer Fall für individuelles moralisch verwerfliches Handeln. Der Grund dafür sei, dass im Zentrum moralischer Bewertung vorsätzliche schädigende Handlungen stünden, wie dies im vorgenannten Beispiel der Fall ist: Person A (Jack) fügt Person B (Jill) vorsätzlich einen Schaden zu und sollte daher moralisch zur Verantwortung gezogen werden. Außer einer Verletzung des Nichtschadensprinzips sei für moralische Bewertung zudem die eindeutige Identifikation der beteiligten Akteur:innen sowie die Nachvollziehbarkeit des Kausalnexus der relevanten Handlungen erforderlich. Jamieson weist nun darauf hin, dass der Klimawandel nicht diesem Standardschema moralisch verwerflicher Handlungen entspreche, sondern vielmehr dem folgenden Beispiel ähnele (Jamieson 2014, 150):

Acting independently, Jack and a large number of unacquainted people set in motion a chain of events that causes a large number of future people who will live in another part of the world from ever having bicycles.

In diesem Beispiel seien die für moralische Bewertung erforderlichen Bedingungen entweder nicht erfüllt oder kaum identifizierbar. Auch wenn jemanden angesichts dieses Falls das vage Gefühl beschleiche, dass schädigende Handlungen stattgefunden hätten, sei es dennoch beinahe unmöglich, eine moralische Bewertung vorzunehmen. Denn zum einen sei unklar, wer die beteiligten Akteur:innen sind (von deren Absichten ganz zu schweigen). Zum anderen ließen sich die Kausalketten, die zum Verschwinden der Fahrräder führten, schlicht nicht nachverfolgen. Das Beispiel des Klimawandels nun, so Jamieson, sei analog zum zweiten Fahrrad-Beispiel: Solange der Begriff der moralischen Verantwortung durch die gängigen Merkmale definiert sei – Verletzung des Nichtschadensprinzips, Identifizierbarkeit beteiligter Akteur:innen, Nachvollziehbarkeit des Kausalnexus –, könne der Klimawandel kein Gegenstand individueller moralischer Verantwortung sein.

Jamiesons Argumentation blieb nicht unwidersprochen (Gardiner 2011a, 2017). So räumt Stephen Gardiner zwar ein, dass ein komplexes Zusammenspiel vieler gewichtiger Faktoren – allen voran die intergenerationelle Dimension – den Klimawandel zu einer außergewöhnlichen Herausforderung mache. Dennoch geht er nicht so weit, darin ein neuartiges Problem für moralische Verantwortung zu sehen. Im Gegenteil hält er moralische Verantwortung für den Klimawandel aus begrifflicher Perspektive für kein schwerwiegendes Problem, weil sie sich mit dem in der politischen Theorie etablierten „delegated responsibility model“ (Gardiner 2017, 30) gut beschreiben ließe. Demzufolge übertragen Individuen Verantwortung auf politische Institutionen, die daraufhin in deren Namen gesellschaftliche Probleme angehen, die Einzelpersonen nicht imstande sind allein zu lösen. Angewandt auf den Fall des Klimawandels ergebe sich eine einfache Analyse: Politische Institutionen versagten schlicht dabei, die ihnen übertragene Verantwortung zur Lösung des Problems des Klimawandels wahrzunehmen (Gardiner 2011a, 53). Daher bestünden auch keinerlei Schwierigkeiten, in der potenziellen Schädigung zukünftiger Generationen durch gegenwärtige Generationen einen Sachverhalt von gewichtiger moralischer Tragweite zu sehen (Gardiner 2011a, 48).

Auch wenn weitgehend Einigkeit besteht, dass Kollektivakteur:innen wie Staaten in dieser Frage primär in der Verantwortung stehen, so ist in jüngerer Zeit verstärkt in den Fokus gerückt, wie genau kollektive Verantwortung gedacht werden kann und in welchem Verhältnis diese zu individueller Verantwortung steht. Im folgenden Abschnitt werde ich kritisch einige neuere Ansätze untersuchen, die moralische Verantwortung im Kontext des Klimawandels primär auf der kollektiven Ebene verorten.

3. Kollektive Verantwortung für den Klimawandel?

Wie erwähnt legen viele Debattenteilnehmende aufgrund der Schwierigkeit, Einzelpersonen eine individuelle moralische Verantwortung an Klimawandelschäden zuzuschreiben, den Fokus auf kollektive Verantwortung (Birnbacher 2022; Gardiner 2017; Keij und van Meurs 2023; Meyer 2018, Kapitel 5; Roser und Seidel 2015, Kapitel 16; Sardo 2020; Wallimann-Helmer 2017). Dass die moralische Verantwortung für Klimaschutz und Klimawandelschäden primär auf der kollektiven Ebene zu verorten ist, wird in der Literatur häufig vertreten, unabhängig von der Frage, ob Einzelpersonen zusätzlich individuelle Klimaschutzpflichten besitzen (Hormio 2023). Über die Frage, wie die Lasten im Hinblick auf den Klimawandel unter Staaten aufgeteilt werden sollten (z. B. nach dem Verursacherprinzip oder nach dem Nutznießerprinzip), gibt es ebenfalls eine umfangreiche Debatte (Birnbacher 2015; Roser und Seidel 2015, Teil III; Wallimann-Helmer 2017). Diese wird insbesondere im Lichte des die globale Ungerechtigkeit verschärfenden Umstandes geführt, dass die Länder des Globalen Nordens einerseits einen überproportionalen Anteil an der Verursachung des Klimawandels haben, andererseits die Länder des Globalen Südens schon jetzt überproportional von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und es in der Zukunft weiterhin sein werden (Deivanayagam et al. 2023).

In diesem Zusammenhang wird der Klimawandel häufig als besonders vertrackte Form der sogenannten Tragik der Allmende analysiert, bei der ein öffentlich verfügbares Kollektivgut – hier: die Atmosphäre – aufgrund mangelnder Regulierung übernutzt wird (Kallhoff 2015). Gardiner geht in seiner Analyse noch weiter und argumentiert, dass das Problem des Klimawandels sich von konventionellen Formen der Allmende-Tragik durch die intergenerationelle Dimension wesentlich unterscheide, da durch die extreme Langzeitwirkung von THGs die üblicherweise zur Nutzung von Kollektivgütern notwendige Kooperation zwischen den in diesem Fall zeitlich weit voneinander entfernten Nutzer:innen (also den Generationen) erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht werde. Die Lage ähnele dem Gefangenendilemma aus der Spieltheorie: Jede einzelne Generation besitze Anreize, auf Kosten künftiger Generationen weiter ungebremst zu emittieren. Dieses Problem könne jedoch nicht ohne Weiteres mit den für diese Dilemmata üblichen Mitteln – der Schaffung von regulierenden Institutionen – gelöst werden, da künftige und (noch) nicht existierende Generationen schlicht nicht in den Aushandlungsprozess einbezogen werden könnten (Gardiner 2011b, Kapitel 5).

In dieser Debatte werden neben Einzelstaaten zumeist Generationen als Trägerinnen kollektiver Verantwortung ausgemacht.9 Unabhängig von dem im jeweiligen Fall verwendeten Generationenbegriff werden Generationen häufig als Kollektive gedacht und weniger als bloße Aggregate von Einzelpersonen.10 Diese Auffassung schlägt sich u. a. in den Formulierungen verschiedener Prinzipien der intergenerationellen Ethik nieder. Egalitaristische Prinzipien fordern beispielsweise, dass es künftigen Generationen zumindest nicht schlechter als gegenwärtigen Generationen gehen sollte (Barry 2003; Mulgan 2006), wohingegen utilitaristische Prinzipien darauf abzielen, dass gegenwärtige Generationen die intergenerationelle Nutzensummenbilanz vergrößern (Birnbacher 1988; Gesang 2011).

Dieser Ansatz, Generationen im Ganzen als Trägerinnen von Verantwortung und Pflichten zu konzipieren, ist jedoch in jüngerer Zeit in die Kritik geraten. Im Zuge seiner Kritik empfiehlt Simon Caney sogar, den Ausdruck „future generations“ fallen zu lassen und stattdessen von „future people“ zu sprechen, da die Rede von „generations“ mindestens irreführend sei: zum einen suggeriere sie fälschlicherweise, Generationen seien diskrete und daher eindeutig abgrenzbare Gruppierungen, und zum anderen verschleiere sie Verantwortungsunterschiede innerhalb dieser vermeintlich abgrenzbaren Gruppierungen (Caney 2019, 162). Caney verdeutlicht seine Kritik an folgendem Beispiel. Man stelle sich zwei verschiedene politische Maßnahmen vor: Die eine Maßnahme generiert signifikanten Gesamtnutzen für künftige Generationen, erzeugt jedoch große gesellschaftliche Ungleichheiten; die andere Maßnahme generiert etwas weniger Gesamtnutzen für künftige Generationen, erzeugt jedoch eine gerechte Gesellschaft. Für Caney ist es offensichtlich, dass die zweite Maßnahme implementiert werden sollte, da nicht nur die Anhebung des allgemeinen Lebensstandards entscheidend sei, sondern auch die Verteilung des Wohlstands innerhalb einer (künftigen) Gesellschaft (Caney 2019, 161f.).

Caneys Kritik ist symptomatisch für eine Problematik, die erst in jüngerer Zeit verstärkt diskutiert wird, nämlich das Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Verantwortung. Bislang wurden bei der moraltheoretischen Untersuchung von intergenerationellen Pflichten und Verantwortung Kollektivakteur:innen wie etwa Staaten und Generationen häufig als Quasi-Individuen behandelt. Die moralischen Beziehungen zwischen den Generationen werden also nach einem Schema analysiert, das wie Jamiesons Beispiel (Jacks Fahrraddiebstahl) paradigmatisch für die moralischen Beziehungen zwischen Einzelpersonen sind. Dadurch wird es jedoch unmöglich, die moralische Verantwortung von einzelnen Individuen innerhalb einer Generation differenziert zu betrachten, da in diesem Schema lediglich einer Generation im Ganzen moralische Verantwortung zu- oder abgesprochen werden kann. Intragenerationelle Verantwortungsunterschiede und damit zusammenhängende Ungerechtigkeiten geraten somit aus dem Blick.

Ein einflussreicher Ansatz, wie kollektive Verantwortung insbesondere im Kontext des Klimawandels konzipiert werden kann, wurde von Elizabeth Cripps vorgelegt. Cripps definiert kollektive Verantwortung dabei folgendermaßen (Cripps 2013, 69):

A number of individuals who do not yet constitute a collectivity (either formally, with an acknowledged decision-making structure, or informally, with some vaguely defined common interest or goal) can be held collectively morally responsible for serious harm (fundamental interest deprivation) which has been caused by the predictable aggregation of avoidable individual actions.

Cripps zentraler Gedanke ist, dass Individuen unter bestimmten Bedingungen für ihre Handlungen kollektiv verantwortlich gemacht werden können, wenn individuelle Handlungen im Zusammenspiel mit anderen Handlungen Schaden anrichten, und zwar auch dann, wenn die einzelne Handlung für den Schaden nicht notwendig ist (z. B. in Fällen von Überdetermination). Damit Individuen kollektiv verantwortlich gemacht werden können, müssen Cripps zufolge drei Bedingungen erfüllt sein (Cripps 2013, 69). Erstens müsse den Individuen bewusst sein – oder zumindest muss dieses Bewusstsein vernünftigerweise vorausgesetzt werden können –, dass ihre Handlungen im Zusammenspiel mit den Handlungen anderer Schaden anrichten. Zweitens müsse ihnen bewusst sein, dass andere tatsächlich ebenfalls diese Handlungen ausführen. Drittens müssten die Handlungen vermeidbar sein in dem Sinne, dass die Individuen über Handlungsalternativen verfügen. Aus der kollektiven Verantwortung für einen Schaden folge dann die kollektive Pflicht, die schädigenden Handlungen einzustellen und die Betroffenen für den bereits entstandenen Schaden zu kompensieren.

Der Klimawandel scheint nun ein besonders geeigneter Anwendungsfall für Cripps’ Modell kollektiver Verantwortung zu sein. Angesichts des wissenschaftlichen Konsenses bezüglich des Zusammenhangs zwischen anthropogenen THGs und potenziellen Klimawandelschäden kann das Bewusstsein, dass sich individuelle Emissionen in globalem Maßstab in der Atmosphäre akkumulieren und in der Summe zum Klimawandel beitragen, nicht vernünftigerweise geleugnet werden. Darüber hinaus ist klar, dass andere Individuen weltweit (insbesondere in Ländern des Globalen Nordens) ebenfalls Emissionen in einer Höhe ausstoßen, die (zumindest gegenwärtig) in der Summe zu hoch sind, um das Paris-Ziel der Begrenzung der globalen Erwärmung auf möglichst 1.5 °C zu erreichen (UNFCCC 2015, Art. 2 (a)). Schließlich sind die emissionsintensiven Handlungen von Individuen (wiederum primär von solchen in Ländern des Globalen Nordens) nicht alternativlos. Aus der kollektiven Verantwortung für den Klimawandel und potenziellen Schäden ließe sich daher die Pflicht zur Einstellung bzw. drastischen Verminderung der schädigenden Handlungen sowie eine Entschädigung der von den Folgen des Klimawandels bereits jetzt schon Betroffenen ableiten.

Eine Schwierigkeit von Cripps’ Ansatz besteht allerdings darin, dass er eine weithin akzeptierte Voraussetzung für moralische Verantwortung verletzt: Nur genuine Akteur:innen können moralische Pflichten und somit auch Verantwortung übernehmen. Ob jedoch Gruppen, insbesondere großen unstrukturierten Gruppen, (moralische) Akteur:innenschaft zugeschrieben werden kann, ist äußerst umstritten (Schlothfeldt 2009, Kapitel 4). Cripps schreibt ausdrücklich zunächst nur der globalen Gruppe emittierender Individuen eine kollektive Verantwortung zu, nicht jedoch den einzelnen Individuen selbst (Cripps 2011, 176). Es ist aber schwer zu sehen, wie diesem losen Aggregat von Individuen, die nichts gemein haben außer der Eigenschaft, Emittierende von THGs zu sein, Akteur:innenschaft und damit eine kollektive Verantwortung zugeschrieben werden kann. Zwar sind viele Autor:innen geneigt, strukturierten Gruppen mit gemeinsamen Zielen und/oder Entscheidungsfindungsprozeduren – z. B. Institutionen, Unternehmen oder Staaten – Akteur:innenschaft und damit die Fähigkeit zur Übernahme von Pflichten und Verantwortung zuzuschreiben.11 Unstrukturierte und zufällige Gruppen wie die Kund:innen eines Supermarkts, die Passagiere eines Flugzeugs oder gar die Weltbevölkerung werden in der Regel jedoch nicht zu den Kollektivakteur:innen gezählt. Da es ohne kollektive Akteur:innenschaft auch keine kollektiven Handlungen gibt, ist es jedoch schwierig, die für sich genommen harmlosen individuellen Handlungen überhaupt als Beiträge zu einer schädigenden Kollektivhandlung einzustufen. In diesem Sinne folgert etwa Garrett Cullity: Solange keine kollektive Akteur:innenschaft vorliege, solange könne die Einzelhandlung auch nicht als moralisch problematisch gekennzeichnet werden (Cullity 2015).

Es gibt jedoch Fälle, in denen auch unstrukturierte Gruppen kollektiv verantwortlich gemacht werden können, wenn z. B. eine zufällige Gruppe von Passant:innen an einem Unfallort die Zusammenarbeit unterlässt, um andere Personen zu retten (Held 1970). In diesen Fällen wird Individuen häufig die Pflicht zugeschrieben, darauf hinzuwirken, die unstrukturierte Gruppe zusammen mit den anderen Individuen in eine Kollektivakteurin zu verwandeln, um die erforderliche kollektive Handlung auszuführen. Tracy Isaacs hat diese Strategie auf den Fall des Klimawandels übertragen (Isaacs 2011, Kapitel 5.3). Sie argumentiert, dass einem Individuum zwar kaum eine Verantwortung für den Klimawandel zugeschrieben werden könne. Einem Individuum könnten aber sehr wohl Vorwürfe gemacht werden, wenn es nichts unternehme, um seinen Beitrag zur Initiierung von kollektiven Handlungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten.

Fraglich bleibt bei Isaacs’ Ansatz jedoch, ob einem Individuum ein solches Versäumnis tatsächlich vorgeworfen werden könnte. Denn kollektive Pflichten unstrukturierter Gruppen stehen bei Isaacs ausdrücklich unter der Bedingung, dass die einzusetzenden Mittel zur Erfüllung der kollektiven Pflichten einem vernünftigen Individuum hinreichend klar sein müssen (Isaacs 2011, 148f.). Für Kleingruppen in Notfallsituationen mag diese Bedingung erfüllbar sein, im Falle der Weltbevölkerung mit Blick auf das Problem des Klimawandels ist das jedoch alles andere als offensichtlich. Wie Anne Schwenkenbecher schon gegen Bill Wringes Argumentation für die Weltbevölkerung als Trägerin globaler Pflichten eingewandt hat, besitzen Kleingruppen und die Weltbevölkerung eklatant unterschiedliche Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Herausbildung kollektiven Handelns (Schwenkenbecher 2013, 324; Wringe 2010). Wenn daher die Bedingungen nicht erfüllt werden können, die erforderlich sind, um kollektive Pflichten zu generieren, dann entfallen auch die individuellen Pflichten, da nach Isaacs’ Modell letztere aus ersteren abgeleitet werden müssen.

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass auch diverse Ansätze, individuelle Verantwortung vermittelt über kollektive Verantwortung zu rekonstruieren, mit Schwierigkeiten behaftet sind. Es scheint, als würde Jamieson mit seiner These recht behalten, dass der Klimawandel ein neuartiges Problem darstellt, das mit unserem gängigen Begriff für individuelle moralische Verantwortung nicht angemessen beschrieben werden kann. Im letzten Abschnitt entwickle ich nun einen Vorschlag, der eine Zuschreibung individueller Verantwortung im Kontext des Klimawandels erlaubt, ohne unseren Verantwortungsbegriff prinzipiell zu revidieren.

4. Individuelle Verantwortung im Kontext des Klimawandels

Wie die beiden vorherigen Abschnitte deutlich gemacht haben, erweist es sich als äußerst problematisch, eine moralische Bewertung von individuellen Handlungen vorzunehmen, die für sich genommen harmlos scheinen, jedoch in aggregierter Form erhebliche Schäden – vor allem für künftige Generationen – verursachen können. Individualistische Ansätze haben Schwierigkeiten, Einzelhandlungen aufgrund des Problems der minimalen Beiträge überhaupt als potenziell schädliche Handlungen zu identifizieren. Kollektivistische Ansätze sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, die für kollektive Verantwortung erforderliche kollektive Akteur:innenschaft plausibel zu machen, da die potenziell verantwortlichen Individuen – letztlich die Weltbevölkerung oder zumindest die Bevölkerung der Länder des Globalen Nordens – eine zu unstrukturierte Gruppe bilden. Daher bleibt es fragwürdig, inwiefern dieser Gruppe kollektive Verantwortung oder auch nur individuelle Pflichten zur Initiierung von kollektivem Handeln sinnvoll zugeschrieben werden könnte.

Aber selbst wenn es gelänge, eine kollektive Akteur:innenschaft der Weltbevölkerung zu etablieren, so wäre das Ziel noch nicht erreicht. Denn in der Debatte über kollektive Verantwortung ist es ein zentraler Streitpunkt, ob kollektive Verantwortung dem Kollektiv selbst zugeschrieben wird (collectivism) oder sich restlos auf die es konstituierenden Individuen verteilen lässt (atomism) (Miller 2020). Wie Seumas Miller treffend bemerkt, stellt sich das kollektivistische Modell paradoxerweise als ein Modell für individuelle Verantwortung heraus, da in diesem Modell ebenfalls eine Art Quasi-Individuum – nämlich das Kollektiv – Träger der kollektiven Verantwortung ist (Miller 2020, 40). Eines der wesentlichen Bedenken, das gegen das kollektivistische Modell gehegt wird, besteht darin, dass die Frage nach individueller Verantwortung eine separate Untersuchung erfordert, da zunächst und primär das Kollektiv zur Rechenschaft gezogen wird. Auch auf dieses Modell könnte also Jamiesons These in modifizierter Form zutreffen: Die Menschheit könnte als Kollektiv verantwortlich für die Folgen des Klimawandels gemacht werden, ohne dass eine einzige Person auch nur den geringsten (kausalen oder moralischen) Anteil daran trüge. Auch dieses Resultat scheint inakzeptabel.

Im Folgenden werde ich einen eigenen Vorschlag entwickeln, der diesen Schwierigkeiten begegnet, sodass weder auf Kausalität als Voraussetzung für moralische Verantwortung verzichtet noch auf den kontroversen Begriff kollektiver Verantwortung zurückgegriffen werden muss, um individuelle Verantwortung im Kontext des Klimawandels zu begründen. Dazu werde ich meinen Vorschlag zunächst darstellen und anschließend mit anderen Ansätzen kontrastieren.

Meine Grundidee knüpft an Derek Parfits Analyse aggregierter Schäden an. Parfit hatte hervorgehoben, dass es Handlungen gibt, die für sich betrachtet harmlos, in der Summe jedoch schädlich sein können (Parfit 1986, 70):

Even if an act harms no one, this act may be wrong because it is one of a set of acts that together harm other people.

Allerdings ist es alles andere als klar, wie genau Parfits Gedanke hier zu verstehen ist.12 Offensichtlich ist, dass die aggregierten THGs zahlreicher Individuen ab einer bestimmten Menge zu Klimaschäden führen werden. Viel weniger offensichtlich ist jedoch, warum ein und dieselbe Handlung (z. B. die sonntägliche Vergnügungsfahrt mit einem Spritschlucker) an moralischer Relevanz gewinnt, nur weil es noch andere Einzelpersonen gibt, die ähnliche Handlungen ausführen. Was genau macht eine Handlung Teil einer Menge von Handlungen, die zusammengenommen schädlich sind, obwohl kein kollektives Handeln im eigentlichen Sinne vorliegt? Es scheint, als hätten wir es mit einer Variante des Sorites-Paradoxons zu tun. In der Summe mögen zahlreiche Sandkörner ein Sandhäufchen bilden, es bleibt jedoch unerklärlich, wie die Zugabe (oder Wegnahme) einzelner Sandkörner einen Unterschied machen könnte (Gesang 2015, 136). In gleicher Weise scheint es schwierig zu erklären, wie einzelne Emissionsmengen problematisch sein können, obwohl sie zu großen Mengen aggregiert zweifellos schädlich sind.

Aus meiner Sicht ist hier der entscheidende Punkt, dass sich die Form von mit Emissionen verbundenen Handlungen dadurch verändert, dass sie durch den Klimawandel nun im Kontext normativ begrenzter Ressourcennutzung ausgeführt werden. Dies bedeutet, dass die Atmosphäre keine natürlich vorgegebene Emissionsgrenze besitzt, aus der sich ein bestimmtes Emissionsverhalten unabhängig von normativen Festlegungen ableiten ließe. Die Atmosphäre des Planeten Venus z. B. weist eine Kohlenstoffdioxidkonzentration von ca. 96 % auf – allerdings herrscht dort auch eine Temperatur von über 460 °C. Unser normatives Interesse, Menschen, Tiere und die Umwelt vor Klimawandelschäden zu schützen, erfordert somit eine Begrenzung der THGs; deshalb kann von unserer Atmosphäre als einer normativ begrenzten Ressource gesprochen werden. Diese Begrenzung der Ressource Atmosphäre lässt sich auch grob quantifizieren. Denn das weithin akzeptierte Paris-Ziel kann in eine Restmenge an verbleibenden THGs umgerechnet werden: das sogenannte CO2-Budget (remaining carbon budget, RCB). Dem CO2-Budget zufolge können noch ca. 500 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalente emittiert werden, um das 1.5 °C-Ziel mit einer 50 %-igen Wahrscheinlichkeit zu erreichen und somit die gravierendsten Folgen des Klimawandels zu verhindern (IPCC 2023, 82). Diese Schätzung mag mit einigen Unsicherheiten behaftet sein. Ausschlaggebend ist jedoch, dass die Atmosphäre zu einer normativ begrenzten Ressource geworden ist.

Vor dem Hintergrund der Atmosphäre als einer normativ begrenzten Ressource verändert sich nun die Form von Handlungen genau dadurch, dass die mit ihnen verbundenen Emissionen mit einem begrenzten Emissionsvolumen – dem CO2-Budget – und damit einer klar benennbaren Größe verknüpft sind. Denn durch die Endlichkeit der Ressource Atmosphäre wird jegliche Emission automatisch zu einem Beitrag auf das Konto des verbleibenden Emissionsvolumens. Jede Emissionsmenge verringert die verbleibende Restmenge (also das CO2-Budget von ca. 500 Gigatonnen), unabhängig davon, wie gering diese auch sein mag. Durch die Verknüpfung von Emissionen mit dem CO2-Budget wird die Form der mit ihnen verbundenen Handlungen daher sowohl um eine kollektive wie auch eine intergenerationelle Dimension erweitert. Die kollektive Dimension besteht darin, dass alle Emissionen in das globale CO2-Budget einfließen und dieses verringern, unabhängig davon, von wem, wo und unter welchen Umständen diese Emissionen produziert werden. Die intergenerationelle Dimension besteht darin, dass die kollektiv in das globale CO2-Budget einfließenden Emissionen eine extreme Langzeitwirkung in der Atmosphäre haben, sodass die Emissionen gegenwärtiger Generationen einen massiven Einfluss auf den Umfang des verbleibenden CO2-Budgets für künftige Generationen ausüben. Die Folge der Verknüpfung von Emissionen mit dem globalen CO2-Budget ist also, dass die Form von mit Emissionen verbundenen Handlungen um eine kollektive und intergenerationelle Dimension erweitert wird, indem eine jede Handlung das CO2-Budget verringert. Durch die Verknüpfung von Emissionen mit dem globalen CO2-Budget kann sich jedoch auch die moralische Bewertung der mit diesen Emissionen verbundenen Handlungen verändern, weil sich durch die Verringerung des CO2-Budgets potenzielle Rechtfertigungspflichten ergeben können.

Diese Rechtfertigungspflichten können durch risikoethische Erwägungen motiviert werden. Denn selbst wenn auch kein direkter Kausalnexus zwischen einer geringfügigen Emissionsmenge und einem konkreten Klimawandelschaden identifiziert werden könnte, so steigt durch die Verringerung des verbleibenden CO2-Budgets jedoch das Risiko zukünftiger Klimawandelschäden. Dieses Risiko steigt auch unabhängig davon, wie geringfügig diese Verringerung ausfallen mag. Denn da das CO2-Budget einen Schwellenwert definiert, jenseits dessen Emissionen zunehmend zu gravierenden Klimawandelschäden führen, tragen automatisch die Emissionen diesseits des CO2-Budgets dazu bei, dass wir diesem Schwellenwert stets näherkommen und damit das Schadensrisiko erhöhen. Die Erhöhung eines Schadensrisikos unterliegt jedoch der Rechtfertigungspflicht. Sven Ove Hansson hat ein risikoethisches Prinzip entwickelt, das sich auch auf den Klimawandel anwenden lässt (Hansson 2007, 31):

[E]veryone has a prima facie moral right not to be exposed to risk of negative impact, such as damage to her health and her property, through the actions of others.

Als prima facie-Recht kann es begründetermaßen außer Kraft gesetzt werden, wenn bestimmte Interessen oder Nutzen das Risiko rechtfertigen. Als Beispiel führt Hansson den Straßenverkehr an, der zwar Risiken mit sich bringe, aber für das Transportwesen genügend Nutzen generiere, um diese Risiken gerechtfertigt in Kauf zu nehmen. Dieser Abwägungsprozess trifft auch auf andere moralisch relevante Handlungen zu. Dies ändert jedoch nichts daran, dass solche Handlungen einer prinzipiellen Rechtfertigungspflicht unterliegen. Durch die normativ begrenzte Ressource Atmosphäre werden Emissionen automatisch mit einem verbleibenden Emissionsvolumen verknüpft – dem CO2-Budget – wodurch mit Emissionen verbundene Handlungen zur Erhöhung des Risikos von Klimawandelschäden beitragen und folglich einer gesonderten Rechtfertigungspflicht unterliegen.

Meinem Vorschlag zufolge verschieben sich daher die Rechtfertigungspflichten. Nicht die Reduzierung des Ausstoßes von THGs muss begründet werden, sondern deren Beitrag zum verbleibenden CO2-Budget. Der Einwand liegt nahe, dass Individuen dadurch überzogene oder gar unvernünftige Rechtfertigungspflichten aufgebürdet würden. Müssen sich Individuen für ihre Atmung rechtfertigen, da dabei Kohlendioxid ausgestoßen wird? Dies wäre in der Tat eine groteske Forderung. Forderungen dieser Art können jedoch mit dem Hinweis auf das weithin anerkannte Prinzip ought implies can zurückgewiesen werden. Allgemein unterliegen Handlungen, zu denen es vernünftigerweise keine Alternative gibt, auch keiner Rechtfertigungspflicht. Dazu können alle mit Emissionen verbundenen Handlungen gerechnet werden, die für basale menschliche Bedürfnisse (z. B. kochen oder heizen) notwendig sind.13 Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, dass es eine moralische Pflicht zur Wahl zumutbarer Alternativen gibt. Für die moralische Bewertung einer Handlung kommt es also wesentlich auch darauf an, über welche Handlungsspielräume eine Person verfügt. Wenn es z. B. zu einer Flugreise eine emissionsärmere Alternative gibt – wie z. B. eine Zugverbindung – dann unterliegt die Flugreise einer Rechtfertigungspflicht. Rechtfertigungen – oder die Entbindung von Rechtfertigungspflichten – mag es in solchen Fällen geben (z. B. zeitsensible Notfälle und dergleichen). Und in vielen Fällen wird es auch nicht ganz einfach sein, Handlungsspielräume und damit zusammenhängende zumutbare Handlungsoptionen genau zu bestimmen. Dennoch bleibt mein Hauptpunkt davon unberührt: Entscheidend ist, dass mit Emissionen verbundene Handlungen aufgrund ihrer Verknüpfung mit einem normativ begrenzten Emissionsvolumen um eine kollektive und intergenerationelle Dimension erweitert und dadurch überhaupt für das Individuum rechtfertigungspflichtig werden. Dieser Umstand allein trägt dazu bei, dass sich auch für Individuen Treibhausgasminderungspflichten ergeben, insofern bei mehreren zumutbaren Handlungsoptionen emissionsärmere Alternativen zu bevorzugen sind.

Der hier skizzierte Vorschlag besitzt einige Vorzüge gegenüber alternativen Ansätzen, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Ich werde meinen Vorschlag zunächst mit Ansätzen zu kollektiver Verantwortung kontrastieren (vgl. Abschnitt 3) und danach mit Ansätzen zu individueller Verantwortung vergleichen (vgl. auch Abschnitt 2).

Wie Gardiner betont, stellt der intergenerationelle Kontext des Klimawandels eine besonders herausfordernde Form der Tragik der Allmende dar, weil zukünftige Generationen nicht in den Kooperationsprozess für die gemeinschaftliche Nutzung der Atmosphäre einbezogen werden können. Der intergenerationelle Kontext des Klimawandels stellt dabei generell eine Schwierigkeit für die Etablierung von moralischen Beziehungen zwischen den Generationen dar (Bartmann und Halsband 2023, Kapitel 2). Dieser Schwierigkeit begegnet mein Ansatz durch die Verknüpfung von Handlungen mit dem CO2-Budget, da durch diese Verknüpfung mit Emissionen verbundene Handlungen automatisch um eine kollektive und intergenerationelle Dimension erweitert werden. Auf diese Weise lassen sich Rechtfertigungspflichten für die Handlungen von Individuen generieren und auch eine entsprechende individuelle Verantwortung zuschreiben.

Indem Individuen auf diese Weise direkt Verantwortung für ihre Handlungen zugeschrieben werden kann, vermeidet mein Vorschlag auch das Problem der Akteur:innenschaft von Kollektiven, mit dem die Ansätze von Cripps und Isaacs konfrontiert sind. Diesen Ansätzen zufolge hängt die Zuschreibung individueller Verantwortung von der Zuschreibung kollektiver Verantwortung ab. Die Zuschreibung kollektiver Verantwortung hängt wiederum von der umstrittenen Akteur:innenschaft von Kollektiven ab. Mein Vorschlag kommt ohne diese umstrittene Prämisse aus und vermag es dennoch, die kollektive Dimension von mit Emissionen verbundenen Handlungen durch die Verknüpfung mit dem CO2-Budget zu berücksichtigen.

Schließlich kann mein Vorschlag auch der von Caney geäußerten Kritik begegnen. Caney moniert, wie gesehen, dass durch die Behandlung von Generationen als Quasi-Individuen intragenerationelle Verantwortungsunterschiede und Ungerechtigkeiten aus dem Blick geraten würden. Da meinem Vorschlag zufolge zumutbare Handlungsalternativen entscheidend für die moralische Bewertung sind, kann individuelle Verantwortung jedoch differenziert betrachtet werden. Denn je nachdem, über welche Handlungsspielräume eine Person verfügt, ergeben sich unterschiedliche zumutbare Handlungsalternativen und damit auch eine jeweils unterschiedliche Handlungsverantwortung. Wie ich bereits eingeräumt habe, mag eine diesbezügliche Bewertung mit Schwierigkeiten und Unsicherheiten behaftet sein. Dennoch scheint es ein entscheidender Vorzug dieses Ansatzes gegenüber anderen zu sein, dass individuelle Verantwortung prinzipiell differenziert betrachtet werden kann und intragenerationelle Verantwortungsunterschiede und Ungerechtigkeiten in die moralische Bewertung einfließen können.

Im Folgenden wende ich mich nun dem Vergleich mit alternativen Ansätzen zu individueller Verantwortung zu. Ein grundsätzlicher Vorzug meines Vorschlags besteht darin, dass er eine Antwort auf das Kernproblem individueller Verantwortung geben kann – das Problem der minimalen Beiträge (vgl. Abschnitt 2). Denn der Zusammenhang von Handlungen mit dem CO2-Budget erlaubt es, an Kausalität als Voraussetzung für moralische Verantwortlichkeit festzuhalten. Ohne die Verknüpfung mit dem CO2-Budget ist die Frage vollkommen berechtigt, ob die marginale Emissionsmenge einer Einzelperson als kausaler Faktor für Veränderungen des Klimasystems in Frage kommt. Hier stimme ich mit Bernward Gesang überein, der unter Berufung auf empirische Evidenzen darauf hinweist, dass solche geringen Mengen keine Rolle spielen (Gesang 2015, 137). Gesang zieht aus diesem Umstand jedoch andere Konsequenzen. Er argumentiert aus utilitaristischer Perspektive dafür, durch finanzielle Spenden einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten, da durch Spenden effektiv Nutzen generiert würde. Die Reduktion der eigenen Emissionen sei nicht erforderlich, da dies keinen Nutzen bringe und Emissionen von Einzelpersonen auch kaum als schädliches Verhalten angesehen werden könne. Eine solche Reduktion wäre nur dann geboten, wenn das eigene Verhalten einen nennenswerten Einfluss auf andere Personen hätte. Dies hänge wiederum von der sozialen Stellung ab, wenn man z. B. eine einflussreiche Person des öffentlichen Lebens wäre (Gesang 2015, 140f.).

Gesangs Position ist jedoch voraussetzungsreich. Zum einen müssen kontroverse utilitaristische Prämissen akzeptiert werden, zum anderen zwingt sie zur Aufgabe der individuellen Verantwortung für das eigene Emissionsverhalten. Wer insbesondere an letzterer festhalten möchte, kann Gesangs Position nicht ohne Weiteres teilen. Denn individuelle Verantwortung hängt Gesang zufolge von der sozialen Stellung und der öffentlichen Wahrnehmung der eigenen Person ab. Eine sehr reiche Person, die jedoch keine Person des öffentlichen Lebens ist und regelmäßig den Privatjet für Inlandsflüge benutzt, hätte in dieser Lesart keine individuelle Verantwortung für Treibhausgasminderungen. Dies scheint intuitiv unplausibel. Meinem Vorschlag zufolge sollten sich Treibhausgasminderungspflichten hingegen nach den (finanziellen) Handlungsspielräumen von Personen richten, nicht nach deren Stellung in der Gesellschaft, sodass – im Gegensatz zu den Konsequenzen von Gesangs Position – auch eine sehr reiche Person erhebliche Rechtfertigungspflichten für die Inlandsflüge mit dem Privatjet auferlegt bekäme.

Anton Leist nimmt demgegenüber in der Debatte eine strikt anti-konsequentialistische Position ein (Leist 2015). Unter anderem kritisiert er, dass ein zu enger Fokus auf die Handlungsfolgen den kollektiven Kontext von Handlungen vernachlässige (Leist 2015, 117). Darüber hinaus möchte er an Kausalität als Voraussetzung für moralische Verantwortung festhalten, denn wenn unsere „individuellen Emissionen keinerlei Wirkung auf andere [haben], so können sie auch nicht moralisch falsch sein“ (Leist 2015, 117). Um dem kollektiven Handlungskontext gerecht zu werden, nimmt Leist in Bezug auf öffentliche Güter wie der Atmosphäre von vornherein eine Kooperationsperspektive ein. Durch die gemeinschaftliche Nutzung solcher Güter werden alle Kooperationsmitglieder darauf verpflichtet, je nach ihrer jeweiligen Nutzung und ihrem jeweiligen Vermögen zum Erhalt dieser Güter beizutragen. Leist wendet diese Kooperationsperspektive im nächsten Schritt auf den Klimawandel an (Leist 2015, 125):

Alle Emittierenden haben die Pflicht, sich an Reduktionen zu beteiligen, erstens nach Maßgabe der Effektivität des kollektiv erzielten Verhaltens, und zweitens entsprechend Nutzen und Fähigkeit. Die Effektivitätsbedingung ist so zu verstehen, dass unterhalb einer kritischen Schwelle des Kooperierens die Einzelpflichten wegfallen, weil sie zu befolgen keine Wirkung haben wird.

Diese Position scheint mir jedoch zwei Schwierigkeiten zu haben. Zum einen bindet dieser Ansatz individuelle Klimapflichten an die Kooperationsbereitschaft anderer. Wie Leist selbst einräumt, wird die Schwelle des Kooperierens aber gegenwärtig nicht überschritten, weil es an effektiven internationalen Verträgen fehle. Es scheint aber nicht unproblematisch, dass durch bloße mangelnde Kooperationsbereitschaft eine moralisch fragwürdige in eine moralisch zulässige Handlung verwandelt werden kann. Aber selbst wenn es effektive internationale Verträge gäbe, bleibt unklar, wie Leists Position dadurch individuelle Emissionsminderungspflichten generieren würde. Denn die Emissionen von Einzelpersonen sind so gering, dass sie keine Wirkung in Leists Sinne haben. An der Wirkung von Handlungen auf andere als Voraussetzung für moralische Verantwortung will Leist jedoch gerade festhalten. Solange nicht näher bestimmt wird, was es genau heißt, dass Handlungen Wirkung auf andere haben, solange ist unklar, ob Personen für solche Handlungen Verantwortung zugeschrieben werden kann.

Mein Vorschlag der Verknüpfung von Handlungen mit dem globalen CO2-Budget bietet nun eine solche nähere Bestimmung und erlaubt es, an individueller Verantwortung festzuhalten. Denn wenn auch eine konkrete Emissionsmenge einer Einzelperson keine direkte kausale Veränderung im Klimasystem bewirken mag, so stellt sie dennoch einen kausalen Beitrag zur Verringerung der verbleibenden Emissionsmenge dar. Wie ich argumentiert habe, können sich durch diese Verringerung Rechtfertigungspflichten ergeben, da sie das Risiko zukünftiger Klimawandelschäden erhöhen.

Schließlich besitzt mein Vorschlag einen Vorzug gegenüber einem weiteren prominenten Ansatz individueller Verantwortung im Kontext des Klimawandels, der mit meinem Vorschlag eine gewisse Ähnlichkeit hat. Dabei handelt es sich um den sogenannten fair share-Ansatz, der u. a. von Christian Baatz vertreten wird (Baatz 2014). Die Ähnlichkeit besteht darin, dass der fair share-Ansatz ebenfalls von der Atmosphäre als einer normativ begrenzten Ressource ausgeht. Das so generierte CO2-Budget wird dann im Hinblick auf bestimmte Gerechtigkeitserwägungen in faire Anteile für Einzelpersonen umgerechnet, wobei der Emissionsegalitarismus (gleiche pro Kopf Emissionsrechte für alle Erdenbürger:innen) die beliebteste Variante des fair share-Ansatzes darstellt. Die Hauptschwierigkeit bzw. die Hauptaufgabe des fair share-Ansatzes besteht darin, genau zu bestimmen, was ein gerechter Anteil im jeweiligen Fall bedeutet, da zahlreiche Faktoren die Höhe dieses Anteils beeinflussen. Dazu zählen z. B. die jeweiligen Bedürfnisse von Personen, deren (finanzielle) Ressourcen und weitere Aspekte der Lebensumstände, die erheblich voneinander abweichen können und auf die unterschiedliche Personen unterschiedlich großen Einfluss haben.

Über den fair share-Ansatz wird eine breite Debatte geführt, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Ich möchte lediglich auf einen Aspekt dieses Ansatzes hinweisen, den ich für nicht unproblematisch halte, selbst wenn es gelänge, für jeden Einzelfall die genaue Höhe des fairen Anteils festzulegen und zu begründen. Denn wie Baatz selbst einräumt, liefert der fair share-Ansatz keine unmittelbare Antwort auf die in Abschnitt 2 skizzierte Herausforderung von Sinnott-Armstrong (Baatz 2014, 4). Ob die sonntägliche Vergnügungsfahrt mit dem Spritschlucker moralisch fragwürdig ist, hängt nach Baatz schlicht davon ab, ob die damit verbundenen Emissionen im Rahmen des zugeteilten fairen Anteils bleiben. Überziehe ich mit einer solchen Fahrt mein privates CO2-Budget, dann ist meine Handlung unmoralisch, habe ich jedoch noch genügend Emissionsrechte übrig, so kann ich mir bedenkenlos eine solche Fahrt erlauben. Diese Konsequenz des fair share-Ansatzes scheint mir nicht plausibel (insbesondere dann nicht, wenn es sehr reichen Personen möglich wäre, ihr privates CO2-Budget durch Zertifikate-Handel erheblich zu vergrößern). Aus einer pragmatischen Perspektive mag diese Konsequenz akzeptabel sein: Wenn alle sich auf ihren fairen Anteil beschränken und das globale CO2-Budget nicht überzogen wird, dann würden Klimawandelschäden weitgehend ausbleiben und sonntägliche Vergnügungsfahrten hätten global gesehen keine moralische Relevanz.

Aus moralischer Perspektive scheinen jedoch bestimmte Handlungen auch dann fragwürdig zu sein, wenn sie im Rahmen eines fairen Anteils unternommen werden. Wie bereits oben ausgeführt scheint es geboten, eine Zugfahrt einem entsprechenden Inlandsflug vorzuziehen, selbst wenn durch den Inlandsflug das eigene CO2-Budget nicht überzogen würde. Der Grund hierfür ist, dass es für die moralische Bewertung von Handlungen wesentlich darauf ankommt, über welche Alternativen und Ressourcen die handelnde Person verfügt. Diese Intuition lässt sich durch meinen Vorschlag einfangen. Danach hängt die moralische Bewertung von mit Emissionen verbundenen Handlungen nicht davon ab, ob diese einen vorab definierten Schwellenwert überschreiten würden, sondern davon, ob es zumutbare Alternativen gibt. Wenn es solche zumutbaren Alternativen gibt, dann sind emissionsintensivere Handlungen rechtfertigungspflichtig.

5. Fazit

In diesem Beitrag habe ich untersucht, ob im Kontext des Klimawandels Einzelpersonen individuelle Verantwortung für mit Emissionen verbundene Handlungen zugeschrieben werden kann und ob dafür eine Revision unseres gängigen Verantwortungsbegriffs erforderlich ist. In einem ersten Schritt habe ich die Herausforderungen dargestellt, die sich bei dem Versuch ergeben, Einzelpersonen individuelle Verantwortung zuzuschreiben. Das Haupthindernis besteht in dem fehlenden Kausalnexus zwischen den Handlungen von Einzelpersonen und konkreten Klimawandelschäden. Dadurch wird es nahezu unmöglich, Handlungen von Einzelpersonen überhaupt als schädliche Handlungen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt wurden dann diverse jüngere Ansätze beleuchtet, individuelle Verantwortung auf dem Umweg über kollektive Verantwortung von Staaten und Generationen zu etablieren. Das Hauptproblem für diese Ansätze besteht zum einen darin, hinreichend zu plausibilisieren, dass es sich bei den infrage kommenden Kollektiven um genuine (moralische) Akteur:innen handelt, und zum anderen darin, den intergenerationellen Kontext moralischer Beziehungen angemessen zu berücksichtigen. In einem dritten Schritt habe ich einen eigenen Vorschlag entwickelt, der die kollektive und intergenerationelle Dimension von Handlungen berücksichtigt, ohne auf die kontroversen Prämissen kollektiver Verantwortung zurückzugreifen. Der kollektive und intergenerationelle Kontext wurde dabei durch die Verknüpfung von Handlungen mit dem globalen CO2-Budget hergestellt. Selbst geringfügige Emissionen von Einzelpersonen leisten daher einen kausalen Beitrag zur Verringerung der normativ begrenzten Ressource Atmosphäre, auch wenn die konkrete Emissionsmenge keinen direkten kausalen Beitrag zu einem konkreten zukünftigen Klimawandelschaden darstellen mag. Durch diese Rekontextualisierung ändert sich die Form von Handlungen, indem diese durch ihre Verknüpfung mit dem globalen CO2-Budget um eine kollektive und intergenerationelle Dimension erweitert wird. Indem mit Emissionen verbundene Handlungen im Zusammenhang eines normativ begrenzten Emissionsvolumens gesehen werden, können Rechtfertigungspflichten generiert werden, da diese Handlungen das Risiko zukünftiger Klimawandelschäden erhöhen. Dies erlaubt eine Zuschreibung individueller Verantwortung, da mit Emissionen verbundene Handlungen rechtfertigungspflichtig werden, solange Einzelpersonen zumutbare Handlungsalternativen zur Verfügung stehen.

Literatur


  1. Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts ,,PRACC – Praktische Herausforderungen des Klimawandels: Intergenerationelle Gerechtigkeit und Freiheit. Ethische, rechtliche und Biodiversitätsanalysen“ (FKZ: 01GP2206A). Ich danke den Herausgebern des Schwerpunkts Niklas Ellerich-Groppe und Dominik Koesling sowie zwei anonymen Gutachter:innen für ihre hilfreichen Anmerkungen.↩︎

  2. Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts ,,PRACC – Praktische Herausforderungen des Klimawandels: Intergenerationelle Gerechtigkeit und Freiheit. Ethische, rechtliche und Biodiversitätsanalysen“ (FKZ: 01GP2206A). Ich danke den Herausgebern des Schwerpunkts Niklas Ellerich-Groppe und Dominik Koesling sowie zwei anonymen Gutachter:innen für ihre hilfreichen Anmerkungen.↩︎

  3. Für einen Überblick über die ethischen Aspekte des Klimawandels vgl. den von Dieter Birnbacher verantworteten Zeitschriftenschwerpunkt „Der Klimawandel und seine Folgen – eine Herausforderung für die Angewandte Ethik“ im Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik (Birnbacher 2012).↩︎

  4. Für einen Überblick über kollektive Verantwortung in globalen Zusammenhängen, der nicht nur den Klimawandel, sondern auch andere Aspekte wie z. B. Weltarmut einschließt vgl. den von Henning Hahn und Jens Schnitker verantworteten Zeitschriftenschwerpunkt „Kollektive Verantwortung in der globalen Ethik“ in der Zeitschrift für Praktische Philosophie (Hahn und Schnitker 2017).↩︎

  5. Vgl. auch Jamiesons jüngere Neuformulierung des Problems: „One consequence of conjoining commonsense morality and anthropogenic climate change is that together we may produce a world that is morally worse yet no one may have done anything that is morally wrong“ (Jamieson 2014, 171).↩︎

  6. Wenn nicht anders angegeben, dann sind mit „Handlungen“ stets „mit Emissionen verbundene Handlungen“ gemeint.↩︎

  7. Es geht daher nur um die Frage, inwiefern Individuen überhaupt Verantwortung im Kontext des Klimawandels zugeschrieben werden kann. Konkrete praktische Fragen, z. B. welche Pflichten daraus möglicherweise folgen und ob unter bestimmten Bedingungen Klimaaktivismus in Form von zivilem Ungehorsam gerechtfertigt ist, kann ich im Rahmen dieses Beitrags nicht behandeln. Für den erstgenannten Aspekt vgl. Cripps (2013), für den zweiten vgl. Kiesewetter (2022).↩︎

  8. Zur Relevanz des Unterschieds zwischen strukturierten und unstrukturierten Gruppen in Bezug auf kollektive Verantwortung vgl. auch Abschnitt 3.↩︎

  9. Man denke nur an die Buchtitel der einschlägigen Monografien von Dieter Birnbacher und Kirsten Meyer – Verantwortung für künftige Generationen und Was schulden wir künftigen Generationen? (Birnbacher 1988; Meyer 2018).↩︎

  10. Zu den verschiedenen in der Literatur verwendeten Generationenbegriffen vgl. Tremmel (2009, Kapitel 3).↩︎

  11. Viele berufen sich dabei auf die grundlegenden Arbeiten von French (1979) und List und Pettit (2011).↩︎

  12. Vgl. Jamieson (2014, 172): „It is a challenge to precisely formulate and interpret this claim.“↩︎

  13. Die mit solchen Handlungen verbundenen Emissionen werden häufig als „subsistence emissions“ bezeichnet (Shue 2014).↩︎