Der intergenerationelle Turnus im irdischen Raum

The intergenerational turn and terrestrial space

Zusammenfassung: Dieser Artikel bietet eine Antwort auf massive ökologische Destabilisierungen, indem er die vielversprechenden Vorschläge, Generationengerechtigkeit zu verstehen als ein abwechselndes An-der-Reihe-Sein mit der Erde verbindet mit den Entwürfen einer geokinetischen Sicht der Erde und der Idee einer zweiten Kopernikanischen Revolution. Die Argumentation erfolgt in vier Schritten. Erstens argumentiere ich, dass die jüngsten Aufforderungen, auf das Anthropozän zu reagieren, indem wir die gelebte menschliche Zeit in die geologische Zeit einbetten, durch die Zeit der Generationen und somit durch die Ethik der aufeinander folgenden menschlichen Generationen ergänzt werden muss. Um dann die intergenerationelle Gerechtigkeit zu konzeptualisieren, gehe ich daraufhin auf den Vorschlag ein, dass sich die menschlichen Generationen mit der Erde abwechseln, also jede Generation eine Art Turnus innehat. Im dritten Abschnitt wird gezeigt, dass die Erde jedoch kein externes, austauschbares Objekt ist, das wir abwechselnd benutzen (wie es z. B. bei einem Fahrrad der Fall wäre). Ebenso ist sie kein Objekt, das wir wahlweise nutzen oder nicht nutzen können, sondern sie ist konstitutiv dafür, dass Generationen überhaupt entstehen und sich abwechseln können. In diesem konstitutiven Sinne wechseln nicht nur ‚wir‘ uns mit der Erde ab, sondern, so könnte man sagen, sie wechselt auch uns ab. Um diesen Gedanken weiter zu spezifizieren, diskutiere ich abschließend die sogenannte ‚zweite Kopernikanische Revolution‘, nach der sich die Erde nicht nur um die Sonne bewegt, sondern auch in ihrem Inneren in Bewegung ist und diese geokinetischen Prozesse die menschlichen Generationen mitkonstituieren. In diesem Sinne fordern uns die Umweltdestabilisierungen auf, die Zeit als immer schon intergenerationell verfasst und den Raum als gegenkopernikanisch zu verstehen.

Schlagwörter: Generationengerechtigkeit; Umweltkrise; geologische Tiefenzeit; Turnus (turn-taking); zweite Kopernikanische Wende; geokinetische Erde

Abstract: This article offers a response to massive environmental destabilization by linking the promising accounts of intergenerational justice as turn-taking with the proposals for a geokinetic view of earth and the idea of a second Copernican revolution. The argument will proceed in four steps. First, I suggest that recent proposals calling on us to respond to the Anthropocene by ‘being geologically human’, that is, by situating lived human time in geological time, should be supplemented by generational time, and thus, by the ethics of human generations following one another. To conceptualize intergenerational justice, I review the proposals for human generations taking turns with the earth. I then suggest that, however, the earth is not an external, exchangeable object of turn-taking (as e.g. a bicycle would be). Rather than being an object that we may choose to use or not, earth is constitutive of generations being able to come about and take turns in the first place. In this constitutive sense, earth also takes turns with us. To further specify this idea, I discuss the so-called ‘second Copernican revolution’, according to which the earth not only moves around the sun, but is internally on the move, its geokinetic processes co-constituting human generations. If the argument goes through, the environmental crises in our very midst should be understood as demanding a reconceptualization of time as always already intergenerational and space as counter-Copernican.

Keywords: intergenerational justice; environmental crisis; geological deep time; turn-taking; second Copernican Revolution; geokinetic earth

Einleitung

Dieser Artikel versucht, eine Antwort auf die gegenwärtigen Destabilisierungen der Umwelt zu geben, indem er die jüngsten Darstellungen der Generationengerechtigkeit als abwechselndes An-der-Reihe-Sein mit der Idee einer zweiten Kopernikanischen Wende und in diesem Sinne mit einer geokinetischen Sicht auf die Erde verbindet. Demnach wechseln sich die Generationen mit der Erde ab, wobei die Erde jedoch kein passiver Gegenstand ist, sondern die Generationen mitkonstituiert.

Die Argumentation wird in vier Schritten erfolgen: (1) Zunächst argumentiere ich, dass die jüngsten Vorschläge, auf das ‚Anthropozän‘ zu reagieren, indem wir die gelebte menschliche Zeit in der geologischen Tiefenzeit verorten, durch eine Zeit der Generationen ergänzt werden muss, weil der geologischen Zeit die normativen und begrifflichen Ressourcen fehlen, um die Sorge um die Zukunft zu entwerfen und zu motivieren. (2) Um Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu konzeptualisieren, trage ich dann meinen (andernorts entwickelten) Vorschlag vor, nach dem Generationen sich mit der Erde abwechseln. Anstatt die Erde unter den verschiedenen Generationen nach dem Modell der zerlegenden Verteilungsgerechtigkeit aufzuteilen, sollten wir uns vorstellen, dass die Generationen sich mit einem quasi-holistischen, regenerativen Gegenstand abwechseln, der sich nicht in Teile zerlegen lässt, ohne ihn zu beeinträchtigen oder gar zu zerstören. Die entscheidende normative Frage der Nachhaltigkeit ist dann, was ein gerechter Turnus mit den Erdsystemen ist. (3) Im dritten Schritt schlage ich vor, dass sich die Erde von den üblichen Gegenständen der Turnus-Teilung (z. B. einem Fahrrad oder einem Ferienhaus) unterscheidet. Die Erde ist kein äußeres, austauschbares Objekt, das wir nutzen können oder nicht, sondern sie ist konstitutiv dafür, dass Generationen überhaupt entstehen und sich abwechseln können. (4) Um dies weiter zu spezifizieren, erörtere ich das, was einige Autor:innen die zweite Kopernikanische Wende genannt haben. Nach dieser neuen Sichtweise bewegt sich die Erde nicht nur um die Sonne, sondern ist in ihrem Inneren in Bewegung, wobei diese geokinetischen Prozesse den Menschen mitkonstituieren. Die Erde dreht sich nicht nur um die Sonne, als befände sie sich in einem undifferenzierten Raum ohne jede Form von Handlungsfähigkeit, sondern zieht uns in ihre innere Bewegung hinein. Gerade die Umweltkrisen in unserer Mitte erfordern eine Neufassung des irdischen Raums als geokinetisch und der Zeit als intergenerationell. Die zweite Kopernikanische Wende braucht aber die intergenerationelle Turnus-Teilung ebenso sehr wie die geologische Verortung des Menschen. Ohne die Normativität und die Zeit der menschlichen Generationen fehlt dieser Wende die richtige Art von profuturaler Motivation und das Verständnis für unser intergenerationelles Sein.

(1) Das Anthropozän und die Tiefenzeit

Im Diskurs über das Anthropozän – die vorgeschlagene geochronologische Epoche, die durch die massiven wenn auch teils unfreiwilligen Auswirkungen einiger Menschen (oder der Menschheit) auf die Natur gekennzeichnet ist (Crutzen und Stoermer 2000; Steffen et al. 2007) – hört man häufig die Behauptung, dass die richtige Antwort auf diese neue Epoche darin besteht, den Menschen in der tiefen geologischen Zeit zu verorten – der Zeit, in der diese Auswirkungen lesbar sein werden. Als Tiefenzeit bezeichnen Wissenschaftler:innen die geologische Zeit der Naturgeschichte, die das gesamte Leben auf der Erde umfasst und miteinander verbindet (Gould 1990). Dabei geht es somit nicht nur um Jahrhunderte oder Jahrtausende, sondern mehr noch um die Zeitskala, die bis zu den Ursprüngen des Universums, der Entstehung der Erde und der Entwicklung allen Lebens zurückreicht, bis hin zum gegenwärtigen Zeitpunkt und darüber hinaus in die Zukunft.

In dieser Zeit, so die häufige Forderung, solle sich der Mensch des Anthropozäns neu verorten. So fordert z. B. David Wood ein neues „geologisches Bewusstsein“, da die Tiefenzeit heute die menschliche Geschichte „beiseitegeschoben“ habe (Wood 2018, 29). Wood erinnert daran, dass für Freud die erste Kopernikanische Wende eine gewaltige „Wunde in der menschlichen Psyche“ darstellte, so wie danach Darwins Evolutionstheorie und die psychoanalytische Entdeckung des Unbewussten (Wood 2018, 29). Wood aber kontrastiert in seinem Buch Deep Time Dark Times: On Being Geologically Human diese drei „Wunden“, die (mit Ausnahme von Darwin) Transformationen innerhalb der menschlichen Geschichte seien, mit dem geologischen Bewusstsein, welches eben diese Geschichte selbst verdränge. Daher verlange das Anthropozän, ein geologisches Bewusstsein zu entwickeln, die menschliche Geschichte in die Naturgeschichte einzutragen und die „Bedeutung der Tiefenzeit wahrzunehmen“ (Wood 2018, 29).

Ähnlich argumentiert der postkoloniale Historiker Dipesh Chakrabarty in seinem jüngsten Buch über den Klimawandel. Nachdem auch er an die massiven Auswirkungen menschlicher Aktivitäten erinnert hat, argumentiert er, dass das Jetzt der menschlichen Geschichte im Anthropozän mit dem langen Jetzt der geologischen und biologischen Zeitläufte ‚verflochten‘ worden sei:

In thinking historically about humans in an age when intensive capitalist globalization has given rise to the threat of global warming and mass extinction, we need to bring together conceptual categories that we have usually treated in the past as separate and virtually unconnected. We need to connect deep and recorded histories and put geological time and the biological time of evolution in conversation with the time of human history and experience (Chakrabarty 2021, 7-8).

Es mag etwas schwächer klingen als bei Wood, aber auch hier gilt es, die Geschichte mit Geologie in Verbindung zu bringen. In ähnlicher Weise argumentiert auch Ted Toadvine, die Tiefenzeit sei weiterhin wichtig, weil sie Geomaterialität zur Geltung bringe (Toadvine 2022). In jüngster Zeit hätten die Umwelt- und Geisteswissenschaften versucht, die Aufmerksamkeit für das Wirken, den Widerstand und die Lebendigkeit der materiellen Elemente zu wecken, ihre Ablagerungen, Versteinerungen, Zerfallserscheinungen, Wirbel und Strömungen. Die Andersartigkeit dieser geologischen Welt und die Abhängigkeit des Lebens von ihnen komme vielleicht am besten durch ihre hartnäckige und widerspenstige Zeitlichkeit zum Ausdruck, durch ihren Verlauf eben in einer Tiefenzeit, die nicht nur sehr lang sei, sondern auch grundsätzlich asynchron zu den Zeitläufen menschlicher Kulturen und persönlicher Biografien. Das aufkommende kulturelle Bewusstsein für diese tiefe geologische Vergangenheit, so Toadvine und andere, spiegele sich in unserem Interesse an den Horizonten der tiefen Zukunft wider, etwa in der Konfrontation mit den geologischen Hinterlassenschaften des Klimawandels und des Atommülls (Toadvine 2024). Auch wenn viele behaupten, dass dieser Bruch der zeitlichen Horizonte die Bemühungen um globale Nachhaltigkeit und die Sorge um die Gerechtigkeit zwischen den Generationen vorantreibt, habe ich, wie wir sehen werden, in dieser Hinsicht meine Zweifel.

Bei Chakrabarty führt der Gedanke der Alterität dessen, was er im Zusammenhang mit der geologischen Zeit „das Planetarische“ nennt, zur Aufstellung zweier „Kalender“: die Tiefenzeit der Erdgeschichte, die sich nicht um die Menschen kümmert, und die Zeit des historischen Geschehens, das übliche Untersuchungsfeld von Historiker:innen seiner Zunft (Chakrabarty 2021, 12-14, 203, 214). Er assoziiert die Alterität des Planetarischen mit einer Zeit vor dem Menschen, von der er, hier dem Spekulativen Materialismus des Quentin Meillassoux (2012) folgend, glaubt, dass weder Historiker:innen noch Phänomenolog:innen sie kennen (Chakrabarty 2021, 87).1 Aber das, was er seit einem vielzitierten Aufsatz „das Klima der Geschichte“ nennt (Chakrabarty 2009), störe heute die Normalität, denn die Tiefenzeit „durchbreche“ erstmals die „Mauer“ oder „Wand“ zwischen diesen beiden Zeitlinien und „verstricke“ und „vermische“ die planetarische mit der menschlichen Geschichte. Durch diesen durch menschliche Aktivitäten mitverursachten Durchbruch entstehe die Notwendigkeit, die Menschheit als „bio-geologischen Akteur“ zu fassen, auch wenn wir uns so nicht selbst verstehen und dieses Wissen gar dem geschichtlichen Verstehen widerstehe (Chakrabarty 2021, 45). Ohne die Tiefenzeit und den Gattungsbegriff des biogeologischen Akteurs, z. B. also nur als Teil und Ergebnis der Geschichte des Kapitalismus, ließe sich die massive Umweltkrise nicht begreifen, wie Chakrabarty meint:

Climate change, refracted through global capital, will no doubt accentuate the logic of inequality that runs through the rule of capital; some people will no doubt gain temporarily at the expense of others. But the whole [environmental] crisis cannot be reduced to a story of capitalism. Unlike in the crises of capitalism, there are no lifeboats here for the rich and the privileged (Chakrabarty 2021, 45).

Wie wir hier bereits sehen können, hat die Verteidigung der Alterität der Erde als das tiefenzeitliche Planetarische, das sich der Geschichtswissenschaft wie auch der Phänomenologie (von Husserl bis Heidegger) entziehen soll, politische Konsequenzen. Trotz seiner anhaltenden postkolonialen Kritik am Eurozentrismus und an der globalen Ungleichheit, die der Kapitalismus mit sich bringt, bedeutet die „Durchbrechung der Mauer“ (Chakrabarty 2021, 4) für Chakrabarty, dass die profuturale Sorge auch eine für die gesamte Menschheit sein muss, nicht nur für die Armen. Und das bringt mich zu einem grundlegenden Problem im Diskurs des Anthropozäns.

Die Forderungen nach einem geologischen Bewusstsein sind unter folgendem Gesichtspunkt verständlich: Natürlich kann die Tiefenzeit das Verständnis für die Abhängigkeit des Menschen von der Umwelt und ihrer eigenen fragilen Geschichtlichkeit wecken und verstärken, wie auch Wood schön zeigt (Wood 2019); auf diese Abhängigkeit werde ich unten näher eingehen. Hinzu kommt Folgendes. Wenn der Singular ‚der Mensch‘ sich als notwendig erweisen sollte, wie Chakrabarty meint, und dieser Mensch nun kollektiv und über längere Zeiträume hinweg ein unbeabsichtigter, unbewusster Akteur auf geologischer Ebene ist, etwa wie ein Meteor, der die Atmosphäre oder die Umlaufbahn des Planeten verändert, dann sollte unser Selbstverständnis dem entsprechen: Wir sollten das Unbewusste und Unbeabsichtigte zum Bewussten und damit zum prinzipiell Veränderbaren und Steuerbaren machen. Das wirft natürlich große Fragen auf, z.B. wie die menschliche Gattung politisch geeint sein könnte ohne Unterdrückung, und zwar über die längeren Zeiträume, die nötig sind, um ihre Handlungen demokratisch zu lenken; wie man ein Gleichgewicht zwischen geologischer Bescheidenheit und menschlicher Verantwortung für die Governance der Erdsysteme denken könnte, usw. Trotz der verständlichen Bemühungen um ein geologisches Bewusstsein möchte ich nun einige Bedenken gegenüber diesen Forderungen nach einem geologischen Bewusstsein äußern, die auch Bedenken gegenüber dem Diskurs über das Anthropozän sind.

Zunächst müssen wir Kausalität und Verantwortung klar trennen. Wenn die menschliche Gattung für eine Reihe von Umwelteffekten kausal verantwortlich gemacht werden kann, die nur kollektiv und kumulativ erfasst werden können, wenn man mithin die menschliche Spezies als einen biogeologischen Akteur betrachtet, wie Chakrabarty argumentiert, dann macht dies nicht alle Menschen gleichermaßen verantwortlich. Wir sollten die Menschheit als geografisch und sozioökonomisch differenziert betrachten, wobei der signifikanteste, aber auch vereinfachende Unterschied sicherlich zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden besteht. Der industrialisierte, entwickelte Norden trägt weitaus mehr Verantwortung für Umweltschäden, ist aber – und das ist Teil der gegenwärtigen Ungerechtigkeit – viel weniger davon betroffen, auch weil er über mehr Ressourcen zur Anpassung verfügt (oft das Ergebnis der kolonial-imperialen Geschichte und dem fortwährenden Extraktivismus). Solche signifikanten Unterschiede gibt es auch innerhalb der Länder, z. B. zwischen Klassen. Derartige Unterschiede werden jedoch leicht durch die Idee des Anthropozäns überdeckt, was im Großen und Ganzen die Motivation ist für Gegenvorschläge wie das Kapitalozän, das Eurozän und ähnliches (Moore 2016; Grove 2017).

Darüber hinaus sollten wir eine einzige Trennlinie zwischen den Arten vermeiden, insbesondere zwischen Menschen und allen anderen Tieren und Pflanzen als eine hierarchische Trennung, die den anthropozentrischen Humanismus gestützt hat (Plumwood 1993; Derrida 2006). Der Hauptpunkt aber, auf den ich mich jetzt konzentrieren will, ist der Folgende: Wir sollten die menschliche Gattung auch als zeitlich differenziert betrachten, nämlich in Form von Generationen. Die letztgenannte Differenzierung wird in diesem Zusammenhang normalerweise nicht untersucht, obwohl es Vorteile hat, die Menschheit als in Generationen verfasst zu verstehen. Trotz ihrer Vorzüge halte ich die Idee der Tiefenzeit für nur begrenzt nützlich, wenn sie nicht enger mit der Generationenzeit verknüpft wird: der Zeit der Vorfahren und Nachkommen. An anderer Stelle (Fritsch 2018, 19-24) habe ich die verschiedenen Generationenbegriffe untersucht und mich für ein “idealisiertes Familienmodell” stark gemacht, das bei Ökonom:innen auch “overlapping generations model” (OGM) genannt wird (Blanchard and Fischer 59; Barro and Sala-i-Martin 2004). Demnach bezieht sich ‚Generation‘ auf die Gesamtheit aller in einem bestimmten Zeitraum Geborenen, dessen Länge durch die durchschnittliche Zeit bestimmt wird, in der Kinder zu Eltern werden, und Eltern zu Großeltern, z. B. 30 Jahre (Birnbacher 1988, 23-24; s.a. Dilthey 1990, 37). Nach dieser Definition bezieht sich ‚zukünftige Menschen‘ sowohl auf überlappende Generationen als auch auf nicht überlappende Individuen (die ‚Ungeborenen‘ zu dieser Zeit).

Die Diskrepanz zwischen der geologischen Zeit und der Zeit der Generationen manifestiert sich unter anderem in den Berichten über die derzeit unzureichenden Maßnahmen bei der Destabilisierung der Umwelt. Befürworter:innen des geologischen Bewusstseins (oder des Anthropozäns, der Tiefenzeit usw.) gehen in ihren politischen Diagnosen dieser Maßnahmen in Bezug auf den Klimawandel typischerweise nicht auf das ein, was Stephen Gardiner als „intergenerationelle Weitergabe des Schwarzen Peters“ oder als „Tyrannei der Gegenwart“ (Gardiner 2011, 143) bezeichnet hat.2 Gardiners Argument für ein im Falle von Generationen verschärftes kollektives Handlungsproblem zeigt, dass in den institutionellen Strukturen der Moderne, die eigennütziges Verhalten in wichtigen Lebensbereichen fördern, die Versuchung sehr groß ist, sich auf ,vorverlagerte‘ Aktivitäten einzulassen, die zwar kurzfristige Vorteile, aber langfristig höhere Kosten mit sich bringen, letztere oft ökologisch (aber auch infrastrukturell, institutionell usw.). Die auffällige Abwesenheit einer spezifisch intergenerationellen Diagnose findet sich, wie wir sehen werden, auch bei Latour und Serres, deren Diagnosen der Untätigkeit oder unzureichender Tätigkeit sich typischerweise auf die Kluft zwischen Wissenschaft und Politik beziehen (z. B. Latour 2015, 45; Serres 1990; auch, aber vielschichtiger in Latour 2017).

Das Fehlen einer generationenübergreifenden Komponente in den Diskussionen um das Anthropozän führt meiner Meinung nach dazu, dass sich diese geologischen Diskurse auf die Menschheit als die angemessene Einheit des pro-futuralen Anliegens konzentrieren. Hier meine ich, dass wir trotz seiner Bedeutung für die Anerkennung des Einflusses der Menschheit auf die Biosphäre als Ganzes den Begriff ‚Menschheit‘ als zukunftsorientiertes, kritisch-normatives Konzept ablehnen sollten, wie es in Anthropozän-Diskursen so oft impliziert wird. Wir sollten die Frage nach der Menschheit als kausalem Akteur von der Menschheit als zukünftigem Anliegen trennen, d. h. wir sollten versuchen, die kausale Geschichte von unserer Darstellung der pro-futuralen Verantwortung zu entkoppeln, sowohl was das Subjekt der Verantwortung (die gesamte Menschheit) als auch was das Objekt (die Sorge um den Fortbestand der Menschheit) betrifft. Selbst wenn man also mit Chakrabarty und anderen darin übereinstimmen sollte, dass wir heute die Menschheit als einen biogeologischen Akteur ansehen müssen, muss dies nicht die profuturale, moralisch-politische Perspektive der Gerechtigkeit für die Zukunft bestimmen.

Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass diese kausale Darstellung ungenau und unterdifferenziert ist, aber es ist kaum darauf abgehoben worden, dass dasselbe Narrativ, das eben die Menschheit im Singular ansetzt, häufig auch zur Idee führt, dass es das Wichtigste sei, das Überleben der Menschheit in der Zukunft zu sichern. Das beginnt oft damit, dass man meint, die Verortung des Menschen in geologischer Zeit führe notwendig dazu, die Tiefenzeit zu einem Zeitpunkt in der Zukunft weiterzuspinnen, an dem es die Menschheit nicht mehr geben wird, aber ihre Spuren in den Gesteinsschichten der Erde nachweisbar sein werden (Colebrook 2014, 10ff.). Normalerweise sind ja geologische Epochen retrospektive Kategorien. Wenn wir also schon jetzt vom Anthropozän sprechen, so versetzen wir uns in eine ferne Zukunft, in der der Mensch möglicherweise zum Zeitpunkt der Diagnose – und sicher irgendwann in der Ferne der Tiefenzeit – nicht mehr existieren wird.

Chakrabarty etwa meint, die Gegenwart der planetarischen Krisen lasse sich nur dann fassen, wenn wir eine ,Zukunft ohne uns‘ denken; hierzu bezieht er sich auf Alan Weismans Bestseller The World Without Us (Chakrabarty 2021, 23). Dieser Gedanke vom Ende der Menschheit wird manchmal damit verbunden, dass das Anthropozän signalisiere, die Menschheit werde geeint eben gerade und nur durch ihre Macht, massives Aussterben von Arten zu verursachen, die Vernichtung der eigenen Art explizit miteingeschlossen. Die Menschheit als einheitliche ist damit schon von ihrem Ende her gedacht (Cohen et al. 2016, 8). Von dort scheint es dann für viele Autoren nur noch ein kurzer Schritt, als das wichtigste Ziel für die Zukunft das Überleben der Menschheit auszugeben, wie Hans Jonas schon in den 1970er Jahren, allerdings auf anderer Grundlage aber auch im Angesicht menschengemachter ökologischer Bedrohung, argumentiert hatte (Jonas 1979). Dieser Schritt ist aber offenkundig ein Kurzschluss, und es wäre besser, wie ich versuche zu zeigen, die berechtigte Sorge um die Zukunft in Generationsbegriffen zu denken, wie Jonas es ja auch formuliert.

Denn erstens ist der Begriff der Menschheit nicht nur, wie bereits angedeutet, geographisch und sozial-ökonomisch unterdifferenziert, sondern auch zeitlich und geschichtlich. Dies hat insbesondere die marxistische Kritik am Anthropozän mit dem Gegenvorschlag des Kapitalozäns hervorgehoben und daher die Differenzierung der Menschheit, als Verursacher und auch als Opfer dieser Prozesse, betont (Malm und Hornborg 2014; Malm 2016; Moore 2016). Ich füge dieser Differenzierung nun die zeitliche hinzu.

Zweitens ist das Ziel des menschlichen Überlebens zu niedrig angesetzt. Viele Ungerechtigkeiten könnten zukünftigen Menschen zugefügt werden, die davon nicht erfasst werden. Obwohl ein absolutes Worst-Case-Szenario tatsächlich das menschliche Leben selbst gefährden könnte, sind nicht so sehr die Menschen allgemein, sondern ihre verletzlichsten Mitglieder durch Umweltdestabilisierungen bedroht. Wenn sich zukunftsorientierte Bedenken in erster Linie um die Rettung der Menschheit sorgen, kann das tendenziell bedeuten, dass diejenigen gerettet werden sollen, die von denjenigen, die am ehesten in der Lage sind, sich damit auseinanderzusetzen, als die Würdigsten, die Fortschrittlichsten, die Rationalsten, die Verantwortungsvollsten usw. angesehen werden.3 Wie wir schon gehört haben, hat Chakrabarty in seiner Debatte mit den Befürworter:innen des Kapitalozäns ja tatsächlich argumentiert, dass es beim Klimawandel keine Rettungsboote gäbe: „[u]nlike in the crises of capitalism, there are no lifeboats here for the rich and the privileged“ (Chakrabarty 2021, 45). Gekoppelt mit der überragenden profuturalen Bemühung, die Menschheit zu retten, kann dies zur Rechtfertigung der Bunker und Hochseejachten (die buchstäblichen Rettungsboote) der Superreichen werden. Um dies zu zeigen, zitiere ich Chakrabarty noch einmal:

Humans remain a species in spite of all our differentiation. Suppose all the radical arguments about the rich always having lifeboats and therefore being able to buy their way out of all calamities including a Great Extinction event are true; and imagine a world in which some very largescale species extinction has happened and that the survivors among humans are only those who happened to be privileged and belonged to the richer classes. Would not their survival also constitute a survival of the species (even if the survivors eventually differentiated themselves into, as seems to be the human wont, dominant and subordinate groups)? (2017, 34; s. auch 2021, 137)

Aus diesen Gründen sollte die kritische Antwort auf das Anthropozän – abgesehen von dem offensichtlicheren Desiderat der Berücksichtigung globaler Gerechtigkeit – eine Theorie der intergenerationellen Gerechtigkeit entwickeln, um zu vermeiden, dass das Überleben der Menschheit zum Hauptziel der Antwort auf das Anthropozän ausgegeben wird. So wie die Belange der globalen Gerechtigkeit die Menschen nach geografischen, sozioökonomischen und politischen Gesichtspunkten differenzieren müssen, so sollten auch die zukunftsorientierten Werte und Interessen vom menschlichen Überleben losgelöst und nach Generationen unterschieden werden.

Ein dritter Grund kann schließlich etwa bei indigenen Autor:innen gefunden werden. Die Bedeutung von Vorfahren und Nachkommen haben nämlich auch viele indigene Reaktionen auf den Klimawandel und die Umweltzerstörung betont. Sie haben die typischen Darstellungen des Anthropozäns als dystopische oder postapokalyptische Erzählungen von Klimakrisen angefochten, die die Menschen in schrecklichen Science-Fiction-Szenarien zurücklassen werden. Denn solche Erzählungen neigen dazu, einige Bevölkerungsgruppen aus der Geschichte auszulöschen, wie z.B. indigene Völker, die sich dem Klimawandel stellen müssen, nachdem sie bereits einen durch koloniale Gewalt verursachten Wandel ihrer Gesellschaften durchgemacht haben und in vielen Fällen weiterhin erleben. Dieser Wandel ähnelt in gewisser Weise den befürchteten Folgen des Klimawandels für die Nachkommen der Kolonisatoren (erzwungene Vertreibung vom angestammten Land, Hunger und Armut, Verlust einer bedeutungsstiftenden Verbindung mit einem lokalen Ökosystem und seiner Tierwelt, große Flüchtlingsströme, Verlust von Handlungsfähigkeit und politischer Selbstbestimmung, usw.; s. Whyte 2018). Anstatt eine bevorstehende Krise zu befürchten, betrachten viele indigene Perspektiven auf den Klimawandel die Gegenwart als bereits dystopisch (Scott 2016, 73). Mit anderen Worten: Die Angst um die Zukunft der Menschheit als Ganzes vergisst die Vergangenheit einiger Menschen und verrät damit ein illegitimes Privileg. Im Gegensatz zu dieser Auslöschung einiger Geschichten sind indigene Ansätze zum Klimawandel oft durch dialogische Erzählungen mit Nachkommen und Vorfahren motiviert (z.B. bei Whyte 2018).4

Zum Abschluss dieses Abschnitts lässt sich also sagen, dass der Aufruf zum ‚geologischen Menschseins in der Tiefenzeit‘ die Generationenwechsel berücksichtigen muss: eine sinnvollere, motivierendere und gerechtere Zeit.

(2) Generationen im Turnus

Wie aber lässt sich der Generationswechsel im Kontext der Umweltdestabilisierung sowohl ontologisch als auch normativ am besten fassen? Hierzu gibt es eine sich ausweitende Literatur, die ich hier nicht im Einzelnen Revue passieren lassen kann (vgl. etwa Laslett und Fishkin 1992; Dobson 1999; Tremmel 2009; Gosseries und Meyer 2009; Meyer 2016; Gonzalez-Ricoy und Gosseries 2017; Gardiner 2021; Gosseries 2023). In diesem Abschnitt werde ich eine Theorie der intergenerationellen Gerechtigkeit darstellen, die ich andernorts entwickelt habe (Fritsch 2011b; 2018; 2020b; 2023a), und ihre Beziehung zur globalen Gerechtigkeit auf einen anderen Tag verschieben. Aufgrund der Umweltkrise liegt das Augenmerk hier auf der Frage, wie Generationen die Natur oder die Erde (Klima eingeschlossen) gerecht teilen können und sollen.

Ich werde zunächst ein wenig darauf eingehen, warum Generationengerechtigkeit ein wichtiger Hebel ist, um auf die Umweltdestabilisierung zu reagieren. Moralische und politische Antworten auf die Umweltkrisen lassen sich zumindest zum Teil gut in normativen Beziehungen zwischen den Generationen fassen. Ohne den moralischen Wert der Natur vorauszusetzen, wird die Erhaltung der Umwelt um der zukünftigen Generationen willen moralisch gefordert (Gardiner 2011). In der Tat wurde oft vorgeschlagen, dass Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung am besten als Forderungen nach intergenerationeller Gerechtigkeit formuliert werden können (Holland 1999; Habib 2013). Die bekannte Definition der Brundtland-Kommission lautet ja, nachhaltige Entwicklung „meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED, 1987, 53). Dennoch wird in Diskussionen über Nachhaltigkeit einer gründlichen Untersuchung von Theorien der intergenerationellen Gerechtigkeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wie Philosophen immer wieder moniert haben (etwa Gosseries 2008, 62; siehe auch Gosseries 2023).

Die Ethik zwischen den Generationen ist ein entscheidender Hebel in der Umweltkrise, nicht nur wegen der offensichtlichen Ungerechtigkeiten gegenüber zukünftigen Menschen, sondern auch, weil die Sorge um die Nachkommenschaft einen breiten Querschnitt der Weltöffentlichkeit zusammenzubringen verspricht. Während Umweltaktivisten und Ökologen dazu neigen, den nicht-instrumentellen Wert der Natur in den Vordergrund zu rücken, nehmen politische Entscheidungsträger:innen und Wirtschaftswissenschaftler:innen sowie die breite Öffentlichkeit oft einen eher anthropozentrischen und humanistischen Standpunkt ein. Zu diesen Unterschieden kommen kulturelle Differenzen in Bezug auf so grundlegende Fragen wie die Vorstellung davon, was Natur ist, wie der Mensch mit ihr verflochten ist und welchen normativen Status sie hat. Die Sorge um künftige Menschen kann, grosso modo, die daraus resultierenden Meinungsverschiedenheiten über den Schutz der Natur umgehen, sollte jedoch nicht, wie ich gleich argumentieren werde, die notwendige Einbettung der Generationen in natürliche Systeme vernachlässigen.

Theorien der intergenerationellen Gerechtigkeit müssen sich jedoch bekanntermaßen mit „ontologischen Problemen“ auseinandersetzen (Becker 1986, 232), die von der Herausforderung der Nichtexistenz der Künftigen und dem schlechten epistemischen Zugang bis hin zu Interaktionsproblemen (wie etwa mangelnde Reziprozität) und Fragen der ontologischen Verfassung der geschichtlichen Welt, inklusive des Nicht-Identitätsproblems reichen (Page 2006; Roberts und Wasserman 2009; Jamieson 2014; Gosseries und Meyer 2009; siehe hierzu meinen Abriss in Fritsch 2018, 24-38). Deshalb habe ich vorgeschlagen, Gerechtigkeit zwischen den Generationen in Begriffen der asymmetrischen Reziprozität und des Turnuswechsels zu formulieren, die viele der Probleme umgehen oder zumindest abschwächen, insbesondere die oft zugrunde liegende Prämisse, nach der Gerechtigkeit zunächst und zumeist unter Zeitgenossen zu denken ist, Generationengerechtigkeit daher nur ein nachträglicher Gedanke ist (Fritsch 2018).

Ein paradigmatischer Fall für eine solche Sichtweise ist Rawls, der die Gerechtigkeit zwischen den Generationen ausdrücklich als „problem of extension“ bezeichnet, ebenso wie die Beziehungen zu anderen Nationen, zu Menschen mit Behinderung, zu Tieren und zur übrigen Natur (Rawls 1996, 20ff.). Zukünftige Menschen gehören ihm zufolge also nicht zum Kernproblem der Gerechtigkeit, einem Kern, der durch „Vereinfachungen“ für die Theoriebildung gewonnen wird (Rawls 1971, 45-46), auch wenn Rawls einräumt, dass Erkenntnisse aus den „extensions“ den Theoriekern verändern können. Andere Theoretiker:innen der intergenerationellen Gerechtigkeit haben ebenfalls vorgeschlagen, dass diese Gerechtigkeit im Allgemeinen am besten behandelt wird, wenn wir uns auf bestehende, gut ausgearbeitete Theorien der Gerechtigkeit unter Zeitgenossen stützen, die wir modifizieren, um zukünftige Menschen einzubeziehen (Gosseries und Meyer 2009).

Diese Herangehensweise könnte man als eine Art von ontologischem Präsentismus begreifen, der sich Zeitgenossen als einander gegenwärtig vorstellt, während Vorfahren und Nachkommen weit entfernt sind und eine besondere, sekundäre Bemühung erfordern, um sie überhaupt in unseren Gesichtskreis zu bringen. Gegen diesen Präsentismus habe ich mich auf phänomenologische Zeittheorien und indigene Ansichten über die Gaben der Vorfahren und der Natur gestützt, um zu argumentieren, dass im Allgemeinen jede Gegenwart von der Vergangenheit und der Zukunft getragen wird, und dass insbesondere die heutigen Generationen von reziproken Beziehungen mit Vorfahren und Nachkommen leben (Fritsch 2018). Die Zeit kann nicht vom irdischen Raum getrennt werden, so wie die Generationen nicht losgelöst von den natürlichen und sozialen Kontexten gedacht werden können, die, wie mobil sie auch sein mögen, die Generationen aneinanderbinden – und sie natürlich auch voneinander trennen.

Vor diesem Hintergrund habe ich dann – um eine längere Argumentationskette kurz zu fassen – versucht zu zeigen, dass sich Generationen mit der Erde und anderen quasi-holistischen Institutionen (Sprache, Kultur, gesellschaftliche Institutionen) abwechseln. Denn der Fall von Generationen, die sich die Erde teilen, stellt die Verteilungsgerechtigkeit vor besondere Bedingungen, die eine grundsätzliche Abweichung vom gängigen Modell des Aufteilens in Teile nahelegen. Teilen kann man etwas nämlich nicht nur, indem man es aufteilt, sondern auch, indem man sich damit abwechselt. Diese grundlegende Idee, nahezu vollständig vergessen in den Gerechtigkeitstheorien, haben Allen Habib im Hinblick auf die Rawls’sche Tradition (Habib 2013) und ich im Rückgriff auf Aristoteles‘ Politik (und der dortigen Vorstellung der Ämterteilung) für die Generationengerechtigkeit versucht fruchtbar zu machen (Fritsch 2011b; 2018; 2023a). Demnach stellt man sich vor, jede Generation wechselt sich im Turnus mit anderen Generationen in der Nutzung (oder Bewohnung) und Verwaltung des Objekts der Teilung ab, hier den irdischen Ökosystemen.

Denn tatsächlich hat ja eine Generation den gemeinsamen Gegenstand nur für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung, wie bei der Teilung in Turnusse mit etwa einem Amt oder einem Fahrrad (etwa bei einem Bikesharing-Dienst, obwohl es dabei einen Dritten gibt, der das Rad besitzt, was ja im Fall der Erde oder Natur nicht zutrifft). Dabei gehen wir davon aus, dass der Gegenstand von anderen erhalten wurde und wiederum anderen überlassen wird. Der Unterschied, dass Generationen keinen zweiten Turnus bekommen (es sei denn, man glaubt an kollektive Wiedergeburten), muss dabei normativ nicht entscheidend sein, denn gewisse Pflichten ergeben sich aus dem Turnus auch ohne eine Wiederkehr. So sehen wir schon, wie sich die Turnusinhaber:innen als miteinander über den Gegenstand verbunden verstehen müssen, im Gegensatz zur Verteilung als Aufteilung in Teile, etwa beim Schneiden eines Kuchens, wo nach der Teilung keine Verbindung mehr zwischen den Parteien bestehen muss. Im Falle von Generationen und der Erde ist diese Verbindung dazu eine über Tod und Geburt hinweg, damit also anti-präsentistisch.

Ich werde nun einige Vorteile und damit weitere Konturen dieser Turnus-Theorie ausführen. Zunächst einmal dürfen wir davon ausgehen, dass die Turnus-Teilung (im Folgenden: TT) relativ leicht und interkulturell zugänglich ist für allgemeine Intuitionen, die als normative Prinzipien ausgearbeitet werden können. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Turnus-Teilung tief in der menschlichen Sozialisierung und im Sprachspiel verankert ist (Hayashi 2012).

Ein weiterer Vorteil besteht in dieser normativen Ausarbeitung. Wie Allen Habib überzeugend argumentiert hat (2013), erfordert TT im Gegensatz zur üblichen Verteilung keine mereologische Buchführung und somit keine quantitative Metrik, um den Wert von Teilen miteinander zu vergleichen.5 Dies macht TT besonders geeignet, um Dinge zu teilen, die nicht oder nicht gut durch Aufteilung verteilt werden können. Teilt man z. B. ein Fahrrad per Aufteilung, sodass jede Partei einen Teil bekommt (Reifen, Lenkrad, Rahmen, usw.), so ist es für keine Partei mehr als Rad nutzbar. Ganzheitliche oder funktionale Dinge lassen sich also meistens besser abwechselnd als per Aufteilung teilen. Die abwechselnde Nutzung verspricht, die ganzheitliche Natur bestimmter Gegenstände zu respektieren, und so z. B. schwerwiegende Probleme bei der Definition von Nachhaltigkeit zu vermeiden, die sich daraus ergeben, dass man die Natur als ‚Kapital‘ oder eine aufteilbare Ansammlung von ‚Werten‘ betrachtet (Holland 1997; 1999).

Darüber hinaus müssen wir bei TT nicht entscheiden, ob die Natur oder die Erde einen Wert an sich hat, um Pflichten gegenüber der Erde selbst – oder zumindest in Bezug auf sie – zu begründen. TT verbietet Wohlfahrtsabwägungen, weil sie Pflichten nicht nur gegenüber zukünftigen Turnusinhaber:innen, sondern auch gegenüber dem Teilungsgegenstand mit sich bringt. Damit ändert sich die Frage nach dem Inhalt der Gerechtigkeit: Die primäre Frage lautet nicht mehr: Welche Arten von Dingen und wie viele davon schulden wir künftigen Menschen, sondern: Was bedeutet es, mit diesen ganzheitlichen Objekten einen gerechten Turnus mit künftigen Menschen zu pflegen?

Ich sehe drei mögliche Antworten, die sich auf drei Grundelemente des Teilens beziehen (und daher auch wohl immer ins Spiel kommen werden, was zu einer gewissen Überdeterminierung führt): entweder auf die vorherigen oder künftigen Turnusinhaber:innen, oder aber auf den Gegenstand. Erstens könnten wir sagen, dass wir den Gegenstand den zukünftigen Menschen schulden in einem mindestens so guten Zustand, wie wir ihn erhalten haben. Es wäre nicht fair, ihn von einer Generation zur nächsten in einem Zustand weiterzugeben, der schlechter ist als der, in dem wir selbst den Gegenstand erhalten haben. In diesem Sinne schulden wir den Vorfahren eine Reziprozität, die oft als ‚indirekt‘ bezeichnet wird und die ich als asymmetrisch weiterentwickelt habe (Fritsch 2017, 2018, 2020a). Die Bedingung ‚mindestens genauso gut‘ ist eine gängige Methode, um Reziprozitätsanforderungen mit normativem Inhalt zu füllen. Wie Marcel Mauss es in seiner klassischen ethnografischen Studie über indigene Gabepraktiken formulierte, ist das, was im Gegenzug geschuldet wird, „etwas von gleichem oder höherem Wert“ (Mauss 2002, 17; siehe auch Kolm 2006; Gosseries 2009).

Anstatt auf die vorherige Generation zu blicken, wie die erste Antwort, könnten wir aber auch, zweitens, nach vorne auf die nächste Generation schauen. Ein gerechter Turnus verlangt dann in erster Linie, das Objekt der Teilung so weiterzugeben, dass es für die nächsten Turnusinhaber:innen gut funktioniert oder relevante Bedürfnisse bedient. Wenn der Gegenstand z. B. destabilisiert wird, sollten wir ihn stabilisieren um derer willen, die nach uns kommen – selbst wenn wir einen Teil der Destabilisierung geerbt haben. Indem wir auf diese Weise in die Zukunft blicken, sollten wir unsere Verantwortung transitiv verstehen: Sie geht von uns (G1) über diejenigen, die nach uns an der Reihe sind (G2), über auf diejenigen, die danach kommen (G3). Denn ein gutes Funktionieren für G2 schließt wohl die Fähigkeit von G2 ein, ihren Verpflichtungen gegenüber G3 und von G3 gegenüber G4 gerecht zu werden, auch wenn die Verpflichtungen von G1 auf G2 konzentriert bleiben. (Wir erahnen hier schon, wie hilfreich die ontologische und normative Differenzierung ‚der Menschheit‘ oder ‚der zukünftigen Menschen‘ ist.) So sollte G1 zum Beispiel nicht in der Lage sein, ihre unzureichende Abhilfe mit der Vorhersage zu entschuldigen, dass die Klimadestabilisierung noch kein signifikantes Problem für G2 sein wird, sondern erst für G4.

Drittens könnten wir sagen, dass der Gegenstand der TT gedeihen muss als die Art von Ding, der er ist. Offensichtlich ist hierbei die Definition des Gegenstandes und seines Florierens von entscheidender Bedeutung. (Muss ein Fahrrad ein oder zwei Räder haben? Gehört eine Gangschaltung zu einem florierendem Rad?) Im Falle von Umweltdestabilisierungen verweist diese Frage auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen normativen Theoretiker:innen und Umweltexperten und Klimawissenschaftler:innen. Bei diesem dritten Kriterium liegt der Fokus nicht auf den sich abwechselnden Turnusinhaber:innen, sondern auf dem Gegenstand. Bei TT hat dieses Objekt einen besonderen Status, da es weder vollständig im Besitz der jetzigen Generation ist noch von ihr ganz angeeignet wird, sondern die Parteien auf unbestimmte Zeit in einer Gemeinschaft zusammenfügt. Jede Generation besitzt hier nur ihren Turnus, nicht aber den Gegenstand, und genau daher stammen die Verantwortlichkeiten.

Natürlich aber hinken die Vergleiche von irdischen Ökosystemen mit Fahrrädern auch in einigen Hinsichten. Der tertium comparationis ist ja neben der temporären Nutzung die Tatsache, dass beide funktional zusammenhängende Gegenstände sind, bei denen eine Aufteilung in den meisten Fällen widersinnig wäre, weil eine Zerlegung in Teile zum Zwecke der Teilung die Nutzbarkeit verhindern würde. Wie in den Theorien zur intergenerationellen Gerechtigkeit oft diskutiert wird, überlappen Generationen sich ja auch und sind einem einzelnen Radfahrer:in nicht gleichzusetzen. Aber der wohl wichtigste Unterschied ist der Folgende: Das Rad muss man nicht benutzen, da es alternative Fortbewegungsmittel gibt. Man muss kein:keine Radfahrer:in sein, aber aufgrund einer langen irdischen Evolutionsgeschichte können wir nicht umhin, Erdlinge zu sein, die konstitutiv bezogen sind auf irdische Ökosysteme, die den jeweiligen Generationen vorhergehen und von keiner einzelnen vollständig angeeignet werden kann. Diesem Umstand widme ich dem dritten Abschnitt.

(3) Die Erde wechselt sich mit den Generationen ab

Das Ziel der Argumentation in den folgenden Abschnitten ist nicht eine weitere Ausführung der normativen Frage, was eine gerechte TT ist, sondern wie TT konzeptuell verstanden werden sollte und weiter motiviert werden kann. Ich meine auch nicht, dass TT der Erde unangemessen ist, weil sie, anders als das Fahrrad, nicht rein instrumentell verstanden werden kann und für uns alternativlos ist – im Gegenteil. Das Aufzeigen des instrumentellen Missverständnisses motiviert TT in Bezug auf Erde noch stärker, d.h. eben nicht nur über die bessere Angemessenheit, weil die Erde wie ein Fahrrad gewisse Bedingungen (s. S. 10) erfüllt. Das Ziel ist also, die Verbindung zwischen Erde und TT enger zu führen. Weil wir konstitutiv generationell und irdisch verfasst sind und sich die Erde in gewissem Sinne mit Generationen abwechselt, ist, so hoffe ich zu zeigen, TT nicht nur ein mögliches Modell der ökologischen Generationengerechtigkeit, sondern wird durch unsere Verfasstheit nahegelegt.

Generationen wechseln sich nicht mit der Erde als äußerem, instrumentellem, austauschbarem Objekt ab. Vielmehr sind wir Teil dieses Gegenstandes des Teilens. Generationen sind konstitutiv eingebettet in Ökosysteme, auch wenn unser Leben dies nicht einfach hinnehmen kann und auch die Trennung von diesem konstituierenden Kontext suchen muss. Die Generationen teilen sich die Erde, aber auch die Erde (denn die menschliche Reproduktion ist ja ein Ergebnis der irdischen Evolutionsgeschichte) teilt in Generationen ein. Es gehört zur Evolution, gewisse Arten wie den Menschen immer neu in Individuen zu gebären, um dadurch Anpassung an Umweltveränderungen zu ermöglichen. Zeitliche Nähe fasst diese Individuen dann in Generationen zusammen. Man könnte also sagen, die Erde (verstanden als Geschichte und Habitat des Lebens) wechselt sich mit den Generationen ab in einer verschränkten Gegenbewegung zur menschlich-intergenerationellen Abwechselung mit ihr. Diese Gegenbewegung gilt es zu bedenken.

Trotz der Vorteile, die das TT-Modell für die Beziehungen zwischen den Generationen verspricht, kann ja ansonsten der Eindruck entstehen, dass die Gerechtigkeit zwischen den Generationen nur für und unter den Menschen gilt. Sicherlich wirkt die der TT innewohnende Beziehung zwischen den Generationen wie oben angerissen dem Präsentismus entgegen, weil sie jede Generation auf Vorfahren und Nachkommenschaft bezieht. Doch besteht die Gefahr, dass das Abwechseln so verstanden wird, dass die Menschen mehr oder weniger gleichgültig dem ‚Objekt‘ Erde und Klima gegenüberstehen. Erde und Klima aber unterscheiden sich von anderen Objekten der TT wie Fahrrädern und Spielplatzschaukeln, indem sie notwendigerweise den Generationen vorausgehen und sie überdauern. Daher können sich Generationen den Gegenstand auch nicht vollständig aneignen und müssen ihn, in welchem Zustand auch immer, weitergeben. Dazu sind Erde und Klima nicht unabhängig von, sondern mit-konstitutiv für das Wesen der Generationen. Dass diese ko-konstitutive Rolle nicht erfasst wird, ist ein Problem, das ich in den meisten Modellen von Stewardship, Treuhandschaft oder auch Michel Serres‘ Pächter-Modell sehe, in dem die Natur als Mietobjekt für ihre derzeitigen menschlichen Nutzer:innen konzipiert wird (Serres 1990, 35).

Meines Erachtens ist also das menschliche Dasein irdisch verfasst, womit die Erde dem Menschen nicht nur äußerlich ist. Mehr noch, die Erde konstituiert die Menschen auch so, dass sie generationell zu verstehen sind, das heißt, sie sind geboren von einer vorhergehenden Generation und gebären i. d. R. eine neue, für die sie durch ihren Tod Platz machen (bzw. genaugenommen im Normalfall erst für die 3. oder 4.). Als konstitutive Erdlinge sind wir intergenerationelle Wesen, die als Generation einen irdischen Überschuss in sich tragen, den wir uns nicht aneignen können und deswegen intergenerationell weitergeben müssen (ein Gebot, welches besser oder schlechter umgesetzt werden kann – ein fairer Turnus bietet eine Idee an, wie man dies genauer verstehen und umsetzen kann). Denn irdische Konstitution bedeutet, dass wir die Erde nie ganz als Objekt vor uns bekommen, da sie immer schon vorausgesetzt ist – sowohl in epistemischer als auch in materieller und evolutionsbiologischer Hinsicht. Insofern motiviert die irdisch-generationelle Verfasstheit einen materiellen, symbolischen, und normativen Zusammenhang der Generationen, der über den äußerlichen Umstand hinausgeht, dass jede Generation nun einmal, jede für sich, die Erde braucht.

In der Umweltphilosophie gibt es verschiedene Ausführungen, diese konstitutive Rolle der Erde für das Dasein des Menschen (und auch zuweilen für das generationelle Wesen) zu denken. Aber ich denke, ich muss hier nicht für eine bestimmte Ausführung en détail argumentieren, denn mein Augenmerk liegt auf den Konsequenzen für das TT-Modell der Generationengerechtigkeit im Kontext der Anthropozän-Diskurse. Das evolutionsbiologische Argument habe ich bereits angerissen, welches sich vertiefen lässt durch anti-adaptionistische Argumente für die Interdependenz zwischen (menschlichen und nichtmenschlichen) Organismen und ihrer Umwelt (siehe etwa Lewontin 1982; Habib 2019). Darüber hinaus könnte man etwa den Ökofeminismus in Anschlag bringen, der versucht, die hierarchischen Dualismen der westlichen patriarchalische Kultur zu überwinden, insbesondere die hierarchische Entgegensetzung des Männlich-Rationalen und des Weiblich-Natürlichen, die die Instrumentalisierung der Frau und der Natur rechtfertigt. Die vorherrschende westliche Kultur hat die Abhängigkeit von der gesamten Sphäre der Reproduktion (d. h. der Gebürtigkeit des Menschen durch die Natur und die Mutter und damit das generationelle Wesen) systematisch abgewertet, verdrängt und geleugnet. Stattdessen gilt es, dem Ökofeminismus folgend, in Überwindung dieser Dualismen die binäre Gegenüberstellung der Natur und der Kultur eingeschlossen, die Natürlichkeit des Menschen neu und konstruktiv zu denken (Irigaray 1974; Plumwood 1993, 2002).

Wir können uns hier auch auf die Ökophänomenologie beziehen, wie ich es andernorts ausführlich getan habe (Fritsch 2018; 2024b). Hier wird die Erde nicht von außen als ein Planet unter anderen gesehen, sondern als der immer schon vorausgesetzte, transzendentale Boden der menschlichen Erfahrung und Lebenswelt (so schon bei Husserl 1940; siehe auch Himanka 2005).6 Das alte Anliegen der Phänomenologie, das dualistische Erbe des westlichen Denkens zu überwinden, ist ja schon lange von Umweltdenker:innen aufgegriffen worden, von denen viele unsere Entfremdung von der Natur auf die begriffliche Trennung von Geist und Körper, von Wert und Tatsache, und von Erfahrung und Welt zurückführen (Zimmermann 1990; Brown und Toadvine 2003; McWhorter und Stenstad 2009; Toadvine 2009). Husserls Konzept der Intentionalität, Heideggers In-der-Welt-Sein, Merleau-Pontys Auffassung des lebendigen Leibes und auch Arendts Natalität bieten fruchtbare Alternativen zu solchen Dualismen. Erde drückt bei Heidegger z.B. die phänomenologische Erfahrung der Materialität aus, welche die Entstehung von Bedeutung stützt und schützt, während sie sich gleichzeitig entzieht und so nie ganz gewusst oder gar beherrscht werden kann. Diese Beschreibung von Erde erfasst das dynamische Wechselspiel zwischen der Öffnung einer Welt von referenziellen Bedeutungen und der Erdung dieser Welt in einer hartnäckigen Dinglichkeit. Verbunden mit Gebürtigkeit und Sterblichkeit nennt die Erdhaftigkeit des menschlichen Daseins damit einen Entzug, der auch als den Überschuss der Generationentransfers (und damit der Verbindung zwischen den Generationen) gesehen werden kann, also als das, was eine Generation von einer vorherigen und auch einer folgenden Generation (Scheffler 2013, 2018, Corvino 2023) erhält, aber sich nicht vollständig aneignen kann (Fritsch 2018, 58-62, 128-149; zur Phänomenologie und Generationengerechtigkeit, s.a. Fritsch et al. 2024).

Jede Generation muss sich also etwas von den Ökosystemen der Erde sowie von ererbten Lebenswelten aneignen, aber es bleibt bei dieser Aneignung immer ein Rest, ein unverdaulicher Überschuss, der anzeigt, dass die Aneigner:innen Teil eines größeren Zusammenhangs sind, der sowohl irdisch also auch zeitlich und generationell verfasst ist. Wenn wir die traditionellen Dualismen nicht von vornherein ansetzen, könnten wir sagen, in der Reproduktion des Leben sind Generationen mit der Erde auf eine Weise vermischt, die die Generationen nicht nur äußerlich miteinander verbindet (in dem Sinne, dass eine jede wieder die Erde zum Leben braucht), sondern auch innerlich in der Konstitution des Menschen und seiner körperlich-biologischen Fähigkeit zur Reproduktion des menschlichen Daseins, aber auch seiner geschichtlich-politischen Schaffung und Neuschaffung der Lebenswelt und deren Welt von Bedeutsamkeiten, der Sprache und Tradition, dem Hintergrundwissen und notwendigen Infrastrukturen.

Der überschüssige Rest der Aneignung von Erde und Vorfahren kann nur zurückgelassen werden, für neue Anfänge und andere Generationen (wie aber schon angedeutet, kann dieses Überlassen besser oder schlechter geschehen und fordert daher weitere normative Ausarbeitung). Der Überschuss markiert die unumstößliche Zugehörigkeit des Lebens, auch des menschlichen Lebens, zur Erde. Diese Zugehörigkeit zeigt sich auch im (Stoff-)Wechsel von Einatmen und Ausatmen, Trinken und Urinieren, Essen und Ausscheiden, Geborenwerden und Sterben. Wir können zum Beispiel nicht verhindern, dass wir CO2 in die Atmosphäre ausatmen, womit wir ja zum Kohlenstoffkreislauf gehören. Unweigerlich hinterlassen wir der Erde und den Menschen auch unsere körperlichen Überreste, die die Erde in ihrem Kohlenstoff- und Wasserkreislauf wiederverarbeitet (Afeissa 2019), die aber auch die überlebenden Generationen vor eine Aufgabe stellt, etwa der Bestattung und damit der kulturellen Aneignung und Bedeutungsaufladung (Bestattung und Trauer werden ja oft als kulturgründend und spezifisch menschlich angesehen; s. etwa Ariès 1985; Assman et al. 2005; Ruin 2018).

Auf dieser Grundlage der Stoffwechsel und des kulturell-irdischen Austausches lässt sich meines Erachtens argumentieren, dass Chakrabartys Trennung zwischen der historischen menschlichen Zeit und der planetarischen Tiefenzeit zu binär und dualistisch ist. Die durch das Anthropozän „durchbrochene Mauer“ (Chakrabarty 2021, 45; eigene Übersetzung) muss mit einer vorherigen und konstitutiven Verflechtung der beiden Zeiten konfrontiert werden. Der Mauerdurchbruch hat bereits stattgefunden. Tatsächlich hat er immer schon stattgefunden, da ein solcher Bruch sowohl für das Leben als auch für die Wissenschaften konstitutiv ist, die die Geschichte des Lebens und der Erde denken (Toadvine 2022). Diese konstitutiven Wechsel verankern also die Turnusse der Generationen in der Erde. Der normativ gehaltvolle Überschuss ‚in‘ den Menschen verbindet sowohl Generationen miteinander als auch Generationen mit der Erde. Vielleicht könnte man in diesem Sinne auch sagen, dass sich nicht nur Generationen mit der Erde abwechseln, sondern ebenso die Erde die Generationen abwechselt und sie in ihren jeweiligen Turnus einschreibt. Im letzten Abschnitt versuche ich, diesen Gedanken etwas näher zu beleuchten.

(4) Die gegenkopernikanische Revolution

In diesem letzten Abschnitt möchte ich nun zeigen, dass dieser zweite Wechsel – die Erde, die die Generationen auswechselt und in ihren Turnus einschreibt – mit dem Gedanken der zweiten Kopernikanischen Wende präzisiert werden kann, die Latour und andere als „gegenkopernikanische Revolution“ (Latour 2015, 83) bezeichnet haben. Die zweite Kopernikanische Revolution (KR2) kann uns helfen, zu verstehen (s.u.), dass wir nicht auf sondern in der Erde leben. Darüber hinaus kann sie deutlich machen, wie auf langen Zeitskalen die eigene ,innere‘ Bewegtheit der Erde die Wechsel der Generationen möglich macht. Gleichzeitig kann auch bei KR2 der Mangel an einer intergenerationellen Perspektive und damit an einer profuturalen Motivation aufgezeigt werden.

Was ist nun mit der KR2 gemeint und warum ist sie heute notwendig? Nach Ansicht von Serres und Latour hat die erste Kopernikanische Revolution eingesehen, dass die Erde sich um die Sonne dreht, hat dabei aber auch die Erde von anderen Arten der Bewegung und des Handelns befreit. Angesichts der aktuellen Umweltdestabilisierungen sei es jedoch ratsam, der Erde eine interne Bewegung und eine gewisse nicht-intentionale Handlungsfähigkeit zurückzugeben. Kopernikus und nach ihm Galilei und Newton (in der zweiten Phase der KR1) verliehen der Erde nur Bewegung, indem sie aus ihr eine weitere Billardkugel in einem unendlichen, undifferenzierten Raum machten, der von mechanischer Kausalität bestimmt wird. Als solche sei KR1 untrennbar mit der wissenschaftlichen Revolution und ihrem modernistischen Dualismus zwischen einer „deanimierten“ Natur und einer „überanimierten“ Kultur oder Menschheit verbunden (Latour 2015, 92, 114-5).

Diese allzu exzeptionalistische Verteilung von Handlungsmacht passt Latour zufolge nicht mehr zur „Erde des Anthropozäns“ (Latour 2015, 82) – nicht mehr, aber natürlich offenbart die Gegenwart eine andere Vergangenheit, sobald wir nach den langfristigen Bedingungen der aktuellen Destabilisierung fragen (Nail 2021, 7-9). KR2 muss dem folgend diese modernistische Verteilung aufheben, um die massiven Mobilisierungen dessen zu erfassen, was Latour das Neue Klimaregime nennt (Latour 2015, 83). In diesem Sinne ist KR2 hier nicht nur als eine Revolution zu verstehen, die auf der Ebene des Wissens stattfindet, sondern auch als reales Ereignis im Erdsystem. Klimawandel, Kipppunkte, Rückkopplungsschleifen, Versauerung der Ozeane, das sechste Artensterben, aber auch Massenbewegungen von Pflanzen und Tieren, die durch die Destabilisierung von Lebensräumen ausgelöst werden, zeigen uns dabei, dass das Erdsystem innerlich in Bewegung ist (Latour 2015, 99; Nail 2021).

Michel Serres bringt diese Reaktionen der Erde mit einer Wiederholung von Galileis Eppur si muove! in Verbindung. Diesmal versteht er dessen berühmten Spruch als „die Erde ist bewegt“ – und zwar bewegt im Sinne einer emotionalen Reaktion: Die Erdsysteme zeigen aufgrund ihrer fragilen und komplexen Interaktion eine gewisse Empfindsamkeit (Serres 1990, 101; Latour 2015, 81). In einem Sinne, der nicht mit einem Anthropomorphismus verwechselt werden sollte (siehe Latours Erläuterung zu Serres, Latour 2015, 88), macht KR2 dieser Lesart folgend die Deanimierung von KR1 rückgängig, indem sie uns (aber nur in einem bestimmten Sinne und nicht in anderen) in eine Zeit vor KR1 zurückversetzt: denn vormoderne Ansichten über die nicht-menschliche Natur räumen ihr typischerweise eine gewisse Handlungsfähigkeit ein. KR2 entdecke – so hält Latour fest – Handlungsfähigkeit in der nicht-menschlichen Natur wieder, aber als immer geteilte, distribuierte Handlungsfähigkeit (Latour 2015, 85), d. h. ohne Autonomie im Sinne von Kants noumenalem Selbst-Anfang. Hier entlehne ich nun den Gedanken der irdischen Bewegtheit und nicht-intentionalen Handlungsfähigkeit, um auszuführen, dass sich die Erde mit den Generationen abwechselt.

KR1 erforderte bekanntlich, dass Galilei sein Teleskop auf den Mond (und den dahinter postulierten unendlichen Raum) richtete, um nach weiteren Beweisen für das heliozentrische Weltbild zu suchen. KR2 hingegen lässt es Latour zufolge als sinnvoll erscheinen, die Erde zu untersuchen, indem man „auf die Erde zurückkommt“ (Latour 2015, 116) oder lernt, nach dem hybristischen Höhenflug der Moderne, erneut auf ihr zu „landen“ (Latour 2017).7 In einigen jüngeren Schriften verwenden Latour und seine Mitarbeiter – Wissenschaftler, Landschaftsarchitekten und Künstler – die wissenschaftliche Sprache des dünnen „Biofilms,“ einer „kritischen Zone“ der Erde, in der allein Leben möglich ist (Arenes et al. 2018, 120). An anderer Stelle (Fritsch 2018, 205ff.) habe ich – und auch hier folge ich diesem Gedanken – vorgeschlagen, dass es angemessener sei, zu sagen, wir lebten in statt auf der Erde. Die Vorstellung einer kritischen Zone konkretisiert dies. Wir sollten unser Verständnis vom Leben auf der Erde demnach so umdrehen, wie man einen Handschuh umstülpt, wobei das Aussen nach Innen kommt (Arenes et al. 2018, 127): Wir leben nicht auf der Erdoberfläche, wie bei Kant (vgl. Oliver 2014), sondern in einer dünnen Schicht, in denen die Bewegungen der Ökosysteme unser Leben ermöglichen. Eben diese Bewegungen konstituieren, per Evolutionsgeschichte und den irdischen Voraussetzungen des Lebens, das menschliche Dasein. Es geht also darum, diese Voraussetzungen als nicht den Menschen äußerlich zu verstehen, darüber hinaus als nicht statisch oder passiv, sondern selbst-bewegt, darin aber abhängig von anderen Bewegungen. Dies zeigt die Fragilität und Endlichkeit der Ökosysteme wie auch die unsere. Beide Seiten, die irdische und die menschlich-generationelle, sind also durch Handlungsbewegungen gekennzeichnet, die ineinander verschränkt sind. Als mit-bewegt und mit-getragen ist uns keine totalisierende Perspektive auf die Erde als Ganze vergönnt.

KR1 bietet uns dagegen die planetarische Sicht auf die Erde, als ob sie aus dem Weltraum betrachtet würde, wie auf den berühmten Fotos der Apollo-Mission (siehe Oliver 2015). Die Weltraumsicht auf die Erde macht aber Lebensformen unsichtbar und suggeriert, dass wahres Wissen über die Erde aus einer äußeren, objektiven Sicht gewonnen werden muss, anstatt aus dem Inneren des Lebens. Wie Hans Jonas (teilweise im Anschluss an Heidegger) jedoch gezeigt hat, gilt: „life can be known only by life“ (Jonas 1966, 91; siehe hierzu Thompson 2010, 128ff., inbes. 163). Die statische, planetarische Sichtweise macht die Strömungen und Verbindungen zwischen den Schichten und Organismen innerhalb der kritischen Zone unsichtbar. Im Gegensatz dazu stellt die neue Sichtweise, die Latour und andere vorschlagen, die Erde als konkret, dynamisch, vernetzt, komplex, heterogen und reaktiv dar (Arenes et al. 2018, 121). In dieser Sichtweise befindet sich die untere Atmosphäre, die kritische Zone, die für das Leben von zentraler Bedeutung ist, auf der Innenseite von ineinander verschachtelten konzentrischen Kreisen, mit dem Erdmantel und dem Erdkern auf der Außenseite und dem Mutterboden, dem Saprolit und der Kruste dazwischen.

Das Umstülpen von Innen und Außen bei Latour und seinen Mitautor:innen8 wendet sich gegen den Blick von außen auf die Erde als einem Planeten unter anderen und gegen den dazugehörigen Blick in den Weltraum als ‚unseren Raum’. Wie die Autor:innen am Rande trocken anmerken: “If we pollute the atmosphere or mess it up, there is no other horizon to which we could escape, contrary to the impression given by the traditional planetary view” (Arenes et al. 2018, 127). Diesen Traum vom Verlassen der Erde suggeriere aber die planetarische Sichtweise. Genauso wie die planetarischen Landkarten der Erde, die mit KR1 einhergingen, die Suche nach neuen Räumen, die man erobern und dem eigenen Territorium angliedern kann, ermutigt haben, so führt dieselbe Sichtweise auch heute dazu, die Grenze in den Weltraum auszudehnen und Exoplaneten zu suchen für den Fall, dass grenzenloses Wachstum die Erde degradiert oder zu klein werden lässt. Im Gegensatz dazu verortet uns die geo-kinetische Sicht der Erde als mobiler Biofilm, dessen dynamische Interaktionen das Leben erhalten, im irdischen Inneren ohne Fluchtmöglichkeit.

Wenn wir also sagen, dass sich die menschlichen Generationen mit der Erde abwechseln, und wir dies mit der geokinetischen Sicht verbinden, sollten wir uns nicht vorstellen, dass die derzeit Lebenden den folgenden Turnusinhaber:innen ein Objekt – den Planeten – ‚übergeben‘, das sich zu Beginn in ihren Händen befindet, wie das Promotionsmaterial der Vereinten Nationen, der NASA, und vieler Umweltverbände es oft darstellen. Vielmehr zwingt die Erde uns als Teil des Biofilms, das zurückzulassen, was wir, einzeln und als Generation, niemals in unseren Händen halten könnten. Obwohl die umgestülpte Erde von Latour und Mitautor:innen also die verschränkten Abwechslungsbewegungen präzisieren hilft – die Generationen teilen sich die Erde im Turnus, die ihrerseits die Generationen in Turnusse einschreibt – fehlt Latours Konzept nicht nur die Perspektive auf Generationen und ihre Zeitlichkeiten, sondern auch auf den irdisch-generationellen Überschuss, der die Generationen verbindet und profuturale Sorge mitmotiviert. Wir schulden den Künftigen die Erde, weil wir von ihr sind und in ihrem Inneren leben, verstanden als durch interne, querverbundene Kreisläufe und Bewegungen gebildete kritische Zone. In Generationengerechtigkeit eingeschrieben kann diese Zone nun so verstanden werden, dass sie den Überschuss konkretisiert, von dem ich meinte, wir müssten ihn den Nachfolgenden hinterlassen, könnten dies aber natürlich in besserer oder in schlechterer Weise tun. Das Modell der Turnus-Teilung ist ein Vorschlag, eine bessere Weise zu finden.

Hier habe ich nun versucht, den Vorschlag so zu verbessern, dass dem Missverständnis vorgebeugt wird, Generationen würden sich mit einem mehr oder weniger gleichgültigen und passiven Objekt abwechseln, indem die Erde eine gewisse Konterkraft, eine aktive und reaktive Handlungsfähigkeit zurückerhält – für die wir allerdings nicht das Gaia-Konzept einer sich selbst schöpfenden causa sui (Latour und Lenton 2019, 677) übernehmen müssen (s. Schrijvers 2022). Hierfür ist es wie gesehen wichtig, die Erde und ihre Kreisläufe den Generationen gegenüber nicht als extern zu verstehen, sondern letztere im Inneren zu verorten, und damit auch die fragile Abhängigkeit in den Blick zu bekommen. Dies leistet KR2 für das Modell des intergenerationellen Turnus, denn richtig verstanden kann KR2 die vielleicht seltsam anmutende Idee mit motivieren, die Erde schreibe Generationen in den Turnus ein und würde sich auch so in gewisser Weise mit ihnen abwechseln. Die gegenkopernikanische Wende wendet auch die Generationen hin und her.

Allerdings leistet KR2 das nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn, um es abschließend kurz zu fassen, die Erde dieser gegenkopernikanischen Wende wird immer noch zu sehr im Dualismus von Innen und Außen gefasst. Das, was ich den Überschuss der generationellen und irdischen Gaben genannt habe, wird aber besser verstanden jenseits dieser binären Dichotomie. Der Überschuss entsteht gerade im Außen der inneren Aneignung, der Produktion und Reproduktion des Lebensprozesses und der Lebenswelt, oder auch im internen Raum des Stoffwechsels mit dem Außen. Dieses In- und Gegeneinander habe ich eben versucht, mit der Verschränkung der generationellen und irdischen Turnusteilungen zu fassen. Die Bewegtheit der Erde konstituiert uns mit (wobei KR2 aber nicht die intergenerationelle Konstitution bedenkt), und damit ist Erde uneinholbar vor und in uns, womit die Motivation durch den Überschuss mitbegründet wird. Wir könnten versuchen, diese Verschränkung im Mediopassiv zu denken, wie z. B. das Verhältnis von Mensch und Erde/Welt in der Ökophänomenologie im Anschluss an Heidegger ausgearbeitet worden ist (Scott 1988, 1990; s. besonders Llewellyn 1991), und wie Hartmut Rosa dies für seine Resonanztheorie reklamiert (Reckwitz und Rosa 2023, 141–158). Mit Mediopassiv ist eine Form der Beteiligung gemeint, in der nicht ein Partner aktiv und der andere passiv ist, auch nicht halb aktiv und halb passiv, sondern zugleich ganz aktiv und ganz passiv. Es gilt also gerade nicht, dass sich entweder die Erde mit den Generationen abwechselt oder die Generationen mit der Erde. Da das Deutsche nur aktive und passive Verbformen kennt und Zwischenformen oft nur mit einem unbestimmten Subjekt oder mit reflexiven Konstruktionen andeuten kann (etwa in „es gibt“ oder „es begab sich“), könnten wir eher sagen: Erde und Generationen wechseln sich ab und teilen sich in Turnusse ein.

Paradigmatisch einstehen kann für diese verschränkte und mediopassive Komplikation und Implikation des Innen und Außen der menschliche Leib, der von den irdischen Kreisläufen im Stoffwechsel getragen wird. So wie unsere Leichen notwendigerweise von der Erde wieder aufgenommen und von anderen Organismen zu neuem Leben verarbeitet werden, wird die Generation nach uns entscheiden müssen, was mit unserem toten Körper und insgesamt mit unserem Erbe geschehen soll. Mein Leichnam – ob eingeäschert oder verbrannt oder wie auch immer – wird von den irdischen Elementen beansprucht werden. In diesem Sinne ist der Mensch sowohl beerdigt (der Erde zugehörig, damit einer größeren Zeit und einem größeren Raum) als auch beerdigend (von Anfang an gekennzeichnet durch Überleben und Überlebt-Werden, und das heißt durch die intergenerationelle Verantwortung für die Rückgabe anderer wie auch der eigenen Überreste an die Erde und an zukünftige Generationen).

Nach meinem Verständnis fordert uns die Einsicht in die geerdete Verfassung (beerdigt-beerdigend, auch dies nun im Mediopassiv) auf, diese Verantwortung zu entfalten und zu entwickeln. Das ist, kurz gesagt, der Grund, warum KR2 den Turnus der Generationen ebenso braucht wie das ‚geologische Bewusstsein‘ und ihre Tiefenzeit. Ohne die Normativität und die geschichtliche Zeit der überlappenden Generationen innerhalb der kritischen Zone wird es KR2 an profuturaler Motivation und einem guten Verständnis unseres generationellen Seins fehlen. Dazu bedarf es des Konzeptes der Erde in uns und des daher stammenden Überschusses. Wenn man im Französischen mit terre à terre eine bescheidene Bodenständigkeit meint, und mit tour à tour das abwechselnde An-der-Reihe-Sein, dann lässt sich der irdisch-generationelle Zustand des Menschen vielleicht am besten so ausdrücken: tour-à-terre, terre-à-tour.

(5) Ausblick

Abschließend biete ich einen kurzen Ausblick über mögliche Anschlüsse, Weiterentwicklungen und Anwendungen des irdischen TT-Modells an.

Eine wichtige philosophische Problematik, die im obigen Argument angesprochen wird, besteht in der hier vorausgesetzten, möglichen Neubetrachtung des Gegensatzes von Tatsachen und Werthaftigkeit. Obwohl das nicht immer betont wird, müssen Gerechtigkeitstheorien ja sowohl normativen als auch ontologischen Anforderungen gerecht werden. Ich glaube, dass TT dieser doppelten Herausforderung in besonders auffälliger Weise gerecht wird. Nach der hier vorgelegten Auffassung entzündet sich die normative Verpflichtung durch den generationell-irdischen Überschuss, der mit dem menschlichen Dasein ‚faktisch‘ gegeben ist. Ich habe diese Art und Weise, Ontologie und Ethik jenseits des naturalistischen Fehlschlusses miteinander zu verknüpfen, andernorts näher beleuchtet, insbesondere in der Auseinandersetzung mit Heidegger, Levinas, und Derrida (Fritsch 2011a; 2018; 2021; 2024b; siehe auch Taylor 2003).

Über diese metaethischen Fragen hinaus kann das hier vorgelegte Konzept in Richtung der angewandten Ethik verfolgt werden, insbesondere im Hinblick auf die oben schon angerissene Frage, was ein gerechter Turnus mit der Erde von einer Generation fordert. Auch hier habe ich an anderer Stelle einige Überlegungen begonnen, die etwa versuchen, den fairen Turnus mit den sog. planetarischen Grenzen (siehe etwa Rockström et al. 2009; Steffen et al. 2015) inhaltlich anzureichern und somit auf diesem Wege naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit normativen Modellen zu verbinden (Fritsch 2023a; siehe auch Habib 2013).

Zur Motivation, sich auf solche Modelle einzulassen, zähle ich eine anti-hybristische Bescheidenheit im menschlichen Selbstverständnis, die man weiter untersuchen und ausbauen sollte. Besonders in Verbindung mit der Betonung der irdischen Verfasstheit des Menschen stellt TT eine solche Demut in den Vordergrund. Die TT-Zeit erfasst die Einsicht, dass ein durch die Erde und Generationen konstituierter Lebenskontext (die kritische Zone des Biofilms, Traditionen, Institutionen usw.) den Individuen und Generationen vorausgeht, den sie sich zu eigen machen müssen, der ihnen aber in Zeit und Raum ständig in Richtung Zukunft und Erde entgleitet. Eben als konstitutiver Kontext können die Generationen sich ihn nicht vollkommen aneignen, und sollten es auch nicht versuchen. TT wird dieser Bedeutung gerecht, indem sie nahelegt, dass eine Generation ‚ihren‘ Turnus besitzt, aber nicht die Sache, mit der sie sich abwechselt. Handlungsfähigkeit und Kontrolle über diese Sache sind also immer bezogen auf Verantwortung für folgende Turnusinhaber und auf soziale-generationelle und irdische Abhängigkeiten. Für diese Demut könnte man das alte Wort Humilität reaktivieren, welches ja vom lateinischen humilis stammt: ‚niedrig, bescheiden‘, wörtlich ‚auf dem Boden‘, das, was dem Boden und der Erde nahe ist, von humus, ‚(fruchtbare) Erde‘. In der Geschichte hat humilis auch so viel bedeutet wie ‚von niedriger Geburt oder niedrigem Rang‘, womit meist Diener und die Klasse der Bauern gemeint waren, die die Erde bearbeiten – eine Erdverbundenheit, die es neu zu bewerten gilt, auch im Hinblick auf (Land)Arbeiter:innen, die die Nahrung und den Wohlstand für eine nutznießerische Klasse bereitstellen, deren Selbsteinschätzung als höher nur allzu leicht meint, auch über der irdischen Verfasstheit zu stehen.

Dieser Hinweis auf die Überwindung der Klassenunterscheide im irdisch-menschlichen Selbstverständnis bringt mich zum letzten Ausblick, diesmal in Bezug auf Gleichheit unter den Menschen und damit auch der Demokratie. Oft wird gesagt, dass Demokratien intrinsisch kurzfristig orientiert sind und deswegen intergenerationelle Probleme wie den Klimawandel nicht gut handhaben können. Daher müssten Experten und andere Eliten mehr Entscheidungsmacht bekommen oder eine Art Ökodiktatur eingerichtet werden (s. die Übersicht zu diesem Thema in Fritsch 2023b). TT kann hier eventuell helfen, denn der Turnus-Gedanke spielt ja auch intragenerationell, im demokratischen Ethos, eine große Rolle, in dem Sinne, dass laut Aristoteles politische Gleichheit fordert, dem Anderen einen fairen Turnus im Regieren einzurichten (Aristoteles 2012). Als Antwort auf die Behauptung, dass Demokratien von Natur aus kurzfristig orientiert sind, plädiert TT für ein neues Verständnis von Demokratie als Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen. Wenn der Wechsel zwischen Herrschern und Beherrschten eine normative Idee ist, die dem Konzept der Demokratie innewohnt, dann verpflichtet eine solche Abwechslung die Demokraten zu einem fairen Umgang mit künftigen Generationen (Fritsch 2023a). Wenn der Turnus unter Generationen als eingebettet in den irdischen Turnus verstanden wird, dann könnten wir z.B. den Klimawiderstand von jüngeren Generationen nicht mehr nur anthropozentrisch-politisch als Interessenvertretung verstehen, sondern z. T. als Weiterführung der Gegenkraft der Erde in den Bereich des Politischen hinein.

Literatur


  1. S. auch zu Husserl, Chakrabarty 2021, 179ff.; eine Verteidigung Husserls und Merleau-Pontys findet sich in Toadvine 2022, auch in Toadvine 2024.↩︎

  2. Chakrabarty erwähnt Gardiners Arbeit nur am Rande (2021, 10n37). Gardiner operiert übrigens mit einem von meinem abweichenden Generationen-Begriff, dennoch hat seine Analyse auch Anwendung auf OGM.↩︎

  3. Genau diese Tendenzen finden wir m. E. etwa bei der sog. Longtermism-Bewegung und ihrer prominenten (oft sehr reichen) Unterstützung (Torres 2021). Hier ist allerdings nicht der Ort, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit philosophischen Argumenten der Longtermist:innen und ihrer konsequentialistischen Grundlagen im sog. Effective Altruism (Ord 2021; MacAskill 2022) zu beginnen (s. Adams et al. 2023).↩︎

  4. Siehe hierzu auch Fritsch 2024a.↩︎

  5. Eine solche Buchführung kann jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden, z. B. beim intragenerationellen Teilen und bei nicht erneuerbaren Ressourcen.↩︎

  6. S. hierzu auch Derrida (1962, 79), der argumentiert, die ‚transzendentale Erde‘ bei Husserl würde Geometrie (als objektive Wissenschaft der irdischen Dinge) ermöglichen aber damit die Geo-Logie (als objektive Wissenschaft der Erde selbst) unmöglich machen. Toadvine (2022) zeigt, dass Husserls Schlussfolgerung, die so verstandene Erde bewege sich nicht, in Merleau-Pontys Deutung von Husserls Text überwunden wird.↩︎

  7. Dieses letzte Buch von Latour trägt im Original den schönen Titel Où atterrir? Comment s’orienter en politique. (Paris: La Découverte, 2017) wobei „atterrir“, also „landen“, den Stamm „terre“ (Erde) in sich trägt.↩︎

  8. Wie ja auch die Ökophänomenologie, obwohl bei Latour ohne Rückgriff auf sie. Latour subsumiert irrtümlicherweise die Phänomenologie unter die modernen Subjekt-Objekt Dualismen; siehe dazu Kochan 2010; Schrijvers 2022.↩︎