Moralischer Kontraktualismus und das Nichtidentitätsproblem: die Grenzen nicht-komparativer Lösungen2
Moral Contractualism and the Non-identity Problem: The Limits of Non-comparative Solutions
Zusammenfassung: Der moralische Kontraktualismus scheint als Konzeption einer nicht-konsequentialistischen intergenerationellen Ethik sehr vielversprechend. Eine zentrale theoretische Herausforderung stellt jedoch das Nichtidentitätsproblem dar. Spezifisch ist zu klären, ob zukünftige Personen einen Einwand gegen die Prinzipien unseres Handelns haben, wenn unser Handeln negative Folgen für die Lebensqualität zukünftiger Personen hat, die Existenz der konkreten Personen aber von ebendiesem Handeln abhängt und ihr Leben für sie insgesamt lebenswert ist. Eine prominente Antwort besteht darin, die Einwände zukünftiger Personen “nicht-komparativ” zu verstehen. Ihr Einwand bestehe also nicht darin, dass sie durch unser Handeln schlechter gestellt werden, als sie es andernfalls wären, sondern darin, dass sie dadurch in relevanter Form schlecht dastehen. Es ist bislang unklar, wie genau eine solche Position im Rahmen des moralischen Kontraktualismus aussehen könnte, ob sie eine Lösung des Nichtidentitätsproblems darstellt und ob ihre substanziellen Implikationen überzeugen. Dieser Beitrag prüft daher kritisch die Möglichkeiten und Grenzen eines nicht-komparativen kontraktualistischen Ansatzes. Es wird dafür argumentiert, dass nicht-komparative Einwände mit Bezug auf das Wohlergehen der zukünftigen Personen nicht plausibel sind, solange ihr Leben nicht überwiegend schlecht für sie ist. Der hier diskutierte Ansatz kann für den moralischen Kontraktualismus also höchstens eine Teilantwort auf das Nichtidentitätsproblem darstellen.
Schlagwörter: Moralischer Kontraktualismus, Nichtidentitätsproblem, nicht-komparative Schädigung, zukünftige Generationen, intergenerationelle Ethik
Abstract: Moral Contractualism provides a compelling framework for understanding what we owe to each other and seems promising as a non-consequentialist intergenerational moral theory as well. However, the non-identity problem presents a critical challenge. Specifically, the question arises as to whether future individuals can have an objection against the principles allowing an act even if the future individual’s existence is contingent on this act and their lives will be worth living. A prominent response to this challenge is to understand the objections of future individuals in a "non-comparative" way. The idea is that, whereas future persons cannot object that they are made worse off by our actions, they can complain that they are made badly off in some sense. It remains unclear how to best understand such a position within Moral Contractualism, whether it offers a coherent solution to the non-identity problem, and whether its substantial implications are convincing. This paper critically examines the possibilities and limitations of a non-comparative contractualist approach, concluding that non-comparative wellbeing-based objections above the threshold of a life worth living are not plausible. Consequently, a non-comparative response to the nonidentity problem referring to the well-being of future persons can, at best, provide a partial solution for Moral Contractualists.
Keywords: Moral contractualism, non-identity problem, non-comparative harm, future generations, intergenerational ethics
1. Einleitung
Der moralische Kontraktualismus bietet eine attraktive Ethik dessen, was wir einander schulden, und damit einen überzeugenden Gegenentwurf zu konsequentialistischen Sichtweisen wie dem Utilitarismus. Paradigmatisch für diese Theoriefamilie ist der Ansatz von Thomas M. Scanlon (1982; 1998). Die Grundidee ist, dass wir uns in einem Verhältnis gegenseitiger Anerkennung Rechtfertigung für unser Handeln schulden. Wir handeln einer Person gegenüber ungerechtfertigt und damit moralisch falsch, wenn sie die Prinzipien, die unser Handeln erlauben, vernünftigerweise zurückweisen könnte. Es handelt sich hierbei um eine relationale Moraltheorie, die moralischen Pflichten als gerichtete Pflichten versteht, also als Pflichten, die wir anderen Personen schulden und welche mit ihren moralischen Ansprüchen korrespondieren.3
Es spricht viel dafür, dass der moralische Kontraktualismus auch eine überzeugende intergenerationelle Ethik darstellen könnte. Insofern wir unser Verhältnis zu zukünftigen Generationen als intergenerationelle Anerkennung verstehen, lassen sich die Ansprüche zukünftiger Personen grundsätzlich genauso in die moralische Deliberation einbeziehen wie die unserer Zeitgenoss:innen (Scanlon 1998, 187; Kumar 2009, 255f.; Hurley und Weinberg 2015, 724; Gibb 2016, 138; Finneron-Burns 2016, 1152f.; 2024, Kap. 2). Gleichzeitig legt der moralische Kontraktualismus einen besonderen Fokus auf das Verhältnis von Personen zueinander, sodass er die theoretischen Ressourcen bietet, besser zu verstehen, wie sich inter- und intragenerationelle Ansprüche zueinander verhalten.4 Auch in der Risikoethik, die eine zentrale Rolle für die Frage spielt, was wir zukünftigen Generationen schulden, hat sich der moralische Kontraktualismus bereits als theoretische Grundlage etabliert (vgl. z.B. Frick 2015; Kumar 2015; Horton 2017). Da es dem moralischen Kontraktualismus um die Rechtfertigbarkeit allgemeiner Handlungsprinzipien anstelle von Einzelhandlungen geht, können zudem auch kollektive Schädigungen und die Folgen von gesellschaftlichen Praktiken sinnvoll in den Blick genommen werden (vgl. Nefsky 2019, 8, Fn. 33). Umgekehrt lassen sich aus dem Nachdenken über zukünftige Generationen wertvolle Rückschlüsse für die kontraktualistische Theoriebildung ziehen.
Eine zentrale offene Frage für den moralischen Kontraktualismus ist, wie genau die möglichen Einwände zukünftiger Personen gegen die Prinzipien unseres Handelns zu verstehen sind. Auf theoretischer Ebene stellt sich dabei das Nichtidentitätsproblem (insb. Parfit 1984, Kap. 16; frühere Beiträge von Schwartz 1978; Kavka 1982). Spezifisch ist hier zu klären, ob zukünftige Personen einen Einwand gegen unser Handeln haben können, obwohl ihre Existenz von diesem Handeln abhängt und ihr Leben insgesamt für sie lebenswert ist; und wenn ja, wie diese Einwände zu konzeptualisieren sind. Als vielversprechende Antwort gilt ein sogenannter „nicht-komparativer” Ansatz. Diesem zufolge muss der Einwand einer Person nicht darauf beruhen, dass sie durch die infragestehende Handlung schlechter gestellt wird als sie andernfalls wäre. Vielmehr kann eine Handlung auch für sich genommen schlecht für eine Person sein und so einen nicht-komparativen Einwand gegen das Prinzip begründen, das diese Handlung erlaubt (Suikkanen 2014; Wallace 2019; siehe auch Kumar 2018, 253; Scanlon 2021a, 143; für nicht-komparative Antworten auf das Nicht-identitätsproblem außerhalb eines kontraktualistischen Rahmens, vgl. insb. Shiffrin 1999; Harman 2004; 2009).
Es ist bislang offen, wie genau eine nicht-komparative Position im Rahmen des moralischen Kontraktualismus aussehen könnte, ob sie eine kohärente Antwort auf das Nichtidentitätsproblem darstellt und ob ihre substanziellen Implikationen überzeugen. Dieser Beitrag prüft daher kritisch die Möglichkeiten und Grenzen nicht-komparativer Lösungen für den moralischen Kontraktualismus. Abschnitt (2) stellt zunächst knapp den moralischen Kontraktualismus und das Nichtidentitätsproblem dar. In (3) wird der nicht-komparative Ansatz vorgestellt und in (4) kritisch diskutiert. Es wird dafür argumentiert, dass nicht-komparative Einwände auf Basis des Wohlergehens der zukünftigen Personen nicht plausibel sind, sofern ihr Leben nicht überwiegend schlecht für sie ist. Ein nicht-komparativer Ansatz mit Bezug auf das Wohlergehen zukünftiger Generationen kann daher nur sehr begrenzte Pflichten ihnen gegenüber erklären. Auf dieser Basis schlägt Abschnitt (5) vor, in welche Richtung sich weiterdenken ließe, um eine umfassendere intergenerationelle Ethik im kontraktualistischen Rahmen zu begründen.
2. Der Moralische Kontraktualismus und das Nichtidentitätsproblem
Der moralische Kontraktualismus kann im Detail unterschiedlich ausbuchstabiert werden, als Ausgangspunkt dient hier der Scanlonsche Kontraktualismus (Scanlon 1982; 1998). Dieser sieht das Verhältnis gegenseitiger Anerkennung („mutual recognition“) als Fundament ethischer Forderungen. Hiermit ist eine sehr basale, wechselseitige Anerkennung von Personen als Akteur:innen, die nach Gründen handeln, gemeint (Scanlon 1998, 162; 2008, 139; siehe auch Wallace 2002, 450). In diesem Verhältnis schulden wir einander, aus Respekt vor dem Wert der anderen Person, Rechtfertigung für unser Handeln. Eine Handlung ist moralisch falsch, wenn die Handlungsprinzipien, die diese Handlung erlauben, als Grundlage einer allgemeinen, informierten und freiwilligen Einigung vernünftigerweise zurückweisbar sind (Scanlon 1982, 110; 1998, 153). In der moralischen Deliberation werden also die verschiedenen Standpunkte der betroffenen Personen und ihre jeweiligen Gründe für die Zurückweisung von Handlungsprinzipien und ihrer Alternativen ermessen. Ein Prinzip ist genau dann vernünftigerweise zurückweisbar, wenn ein individueller Einwand gegen dieses Prinzip besteht, welcher stärker ist als der stärkste individuelle Einwand gegen ein alternatives Prinzip. Gewissermaßen kann eine Person also die Prinzipien, die mein Handeln erlauben, zurückweisen, weil sie auf ein alternatives Handlungsprinzip verweisen kann, gegen das keine oder im Vergleich zu ihrem Einwand nur weniger schwerwiegende Einwände bestehen. Handle ich entsprechend des von ihr zurückweisbaren Prinzips, so handle ich dieser Person gegenüber ungerechtfertigt und schulde es ihr, die Handlung zu unterlassen.5
Der moralische Kontraktualismus versteht sich insbesondere als Gegenentwurf zum Utilitarismus und anderen Formen des Konsequentialismus. Dies zeigt sich darin, dass Gründe für die Zurückweisung von Handlungsprinzipien nicht nur auf Wohlergehen, sondern auch auf Fairness und anderen Formen des Respekts gegenüber anderen Personen beruhen können (Scanlon 1998, 229). Zudem lehnt er eine unbegrenzte interpersonelle Aggregation von Ansprüchen ab und betont dagegen, dass Gründe, die für die Zurückweisung von Handlungsprinzipien gelten, die persönlichen Gründe von Individuen sein müssen (Scanlon 1998, 218-220, 229, 241).6 Diese Einschränkung ergibt sich Scanlon zufolge unmittelbar aus der Idee der gegenseitigen Anerkennung und der Rechtfertigung, die wir jeder einzelnen Person in diesem Verhältnis schulden. Die Falschheit einer Handlung liegt darin begründet, dass diese einer Person gegenüber ungerechtfertigt ist und ihr damit Unrecht tut.
Prinzipiell können im moralischen Kontraktualismus alle in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lebenden Personen Ansprüche haben und unser Handeln kann, im Lichte ihrer Gründe zur Zurückweisung unserer Handlungsprinzipien, ihnen gegenüber gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sein (Scanlon 1998, 187; Kumar 2009, 255f.; Hurley und Weinberg 2015, 724; Gibb 2016, 138; Finneron-Burns 2016, 1152f.; 2024, Kap. 2). Da die kontraktualistische Deliberation die hypothetischen Einwände der Betroffenen von allgemeinen Handlungsprinzipien betrachtet, schließt dies Personen, die noch nicht existieren oder deren Identität wir nicht kennen, nicht grundsätzlich aus. Insofern wir zukünftige Personen als Personen anerkennen, schulden wir ihnen Rechtfertigung für unser Handeln, auch dann, wenn wir sie nie persönlich treffen und keine Lebenszeit mit ihnen teilen.
Was die Bestimmung des Inhalts der möglichen Einwände zukünftiger Personen betrifft und damit die Reichweite und Art unserer Pflichten, stellt jedoch das Nichtidentitätsproblem eine zentrale Herausforderung für den moralischen Kontraktualismus dar (insb. Parfit 1984; 2017). Es beruht auf der Annahme, dass wir mit unserem Verhalten direkt oder indirekt beeinflussen, welche und wie viele Personen in Zukunft in Existenz kommen. Schon kleine, vermeintlich triviale Entscheidungen können verändern, wann und von wem ein Kind gezeugt wird, und dies bedeutet im Normalfall, dass eine andere Person zur Welt kommt. Insbesondere die Implementierung weitreichender politischer Maßnahmen oder die allgemeine Befolgung von Handlungsprinzipien haben somit umfassende Auswirkungen darauf, welche Personen in Zukunft existieren werden. In vielen Fällen können wir daher annehmen, dass die verschiedenen Handlungsoptionen auch zu verschiedenen zukünftigen Personen führen würden. Als Grundlage der folgenden Diskussion soll Derek Parfits Nichtidentitätsfall Ressourcenverbrauch (Depletion) dienen:
Ressourcenverbrauch: Wir stehen vor der Entscheidung, bestimmte begrenzte natürliche Ressourcen entweder aufzubrauchen oder nachfolgenden Generationen zu erhalten. Wenn wir uns für Ressourcenverbrauch entscheiden, ginge es der gegenwärtig lebenden Generation ein bisschen besser. Den Personen, die in 200 Jahren leben würden, ginge es jedoch erheblich schlechter, als es den Personen ginge, die in 200 Jahren existieren würden, wenn wir Ressourcenerhalt wählen. In jedem Fall wird das Leben der zukünftigen Personen jedoch insgesamt lebenswert sein (Parfit 1984, 361f., eigene Übersetzung).
Intuitiv würden wohl die meisten annehmen, dass es falsch wäre, die Ressourcen zu verbrauchen. Bei genauer Betrachtung kann dies jedoch in Zweifel gezogen werden. Nehmen wir an, dass die beiden Handlungsalternativen dazu führen würden, dass völlig unterschiedliche Personen in Zukunft existieren werden. Wenn wir die Ressourcen verbrauchen, wird es den in der Zukunft lebenden Personen daher nicht schlechter gehen als es diesen Personen andernfalls ergangen wäre. Wenn wir die Ressourcen bewahren, würden wir vielmehr dafür sorgen, dass andere Personen in Zukunft leben werden, denen es besser gehen würde. Der Einwand einer zukünftigen Person gegen die Prinzipien, die uns Ressourcenverbrauch erlauben, kann daher nicht darin bestehen, dass es ihr dadurch schlechter geht als es ihr gehen würde, wenn wir stattdessen den Ressourcenerhalt wählen. Darüber hinaus wird das Leben der zukünftigen Personen, so die Beschreibung des Falls, insgesamt lebenswert sein. Entsprechend scheinen wir ihnen auch nicht bereits dadurch Unrecht zu tun, sie überhaupt in Existenz zu bringen. Man könnte daraus schließen, dass in Fällen wie Ressourcenverbrauch gar kein Einwand aufseiten der zukünftigen Personen besteht und der Ressourcenverbrauch daher auch nicht moralisch falsch ist. Dies scheint jedoch sehr unplausibel.7 Für eine Lösung des Nichtidentitätsproblems steht der moralische Kontraktualismus daher vor der folgenden Herausforderung: Wie lässt sich begründen, dass eine zukünftige Person einen Einwand gegen ein Prinzip hat, dessen Befolgung Voraussetzung ihrer Existenz ist?
Eine Antwortstrategie besteht darin, nicht die Einwände von konkreten Individuen, sondern von abstrakt beschriebenen Personentypen oder Standpunkten zu betrachten (Kumar 2003; 2009; 2018; Finneron-Burns 2016; 2024; vgl. aus nicht-kontraktualistischer Perspektive auch Hare 2007). Es ist jedoch zweifelhaft, ob so Ansprüche der tatsächlichen zukünftigen Personen begründet werden können. Da der moralische Kontraktualismus gerichtete Pflichten auf den persönlichen Einwänden von Individuen gründet, müssen die Gründe der zukünftigen Personen damit zu tun haben, wie sie selbst von diesem Prinzip betroffen sind. Die Typen-Lösung geht jedoch davon aus, dass ein Prinzip auf Basis der Betroffenheit eines abstrakt beschriebenen Persontyps zurückweisbar sein kann, obwohl die konkreten Personen selbst nicht auf diese Weise betroffen sind. Die Bedingung, dass es sich um die persönlichen Einwände von Individuen handeln muss, scheint hier daher verletzt zu sein (eine ausführliche Zurückweisung erfolgt in Martin 2024; siehe auch Huseby 2010; Gibb 2016; Katz 2018; Harney 2023).
Eine Antwort, die ebendiese persönliche Perspektive der konkreten Individuen stark macht, um gerichtete Pflichten und die korrespondierenden Ansprüche uns gegenüber zu begründen, sollte daher sogenannte nicht-komparative Gründe in den Blick nehmen. Der Einwand einer zukünftigen Person muss also auf einen Vergleich mit den Folgen der alternativen Prinzipien für sie selbst (oder ihren Personentyp) verzichten und sich stattdessen darauf beziehen, was die betroffene Person gegen das infragestehende Prinzip für sich genommen einzuwenden hat. Eine solche nicht-komparative kontraktualistische Antwort auf das Nichtidentitätsproblem soll im Folgenden genauer untersucht werden.
3. Die nicht-komparative Antwort
Die Grundidee einer nicht-komparativen Antwort auf das Nichtidentitätsproblem innerhalb des moralischen Kontraktualismus ist, dass Personen einen Einwand gegen Prinzipien haben, wenn und weil die Befolgung dieser Prinzipien schlecht für sie ist, unabhängig davon, ob sie auch schlechter für sie ist als die Befolgung der alternativen Prinzipien. Die Bezeichnung “nicht-komparativ“ hat sich für Antworten dieser Art auf das Nicht- identitätsproblem durchgesetzt und bedeutet, dass die Falschheit der Handlung nicht auf einem kontrafaktischen (oder zeitlichen) Vergleich beruht, also nicht darauf, dass eine Person schlechter gestellt wird als sie andernfalls wäre (oder vorher war). Im kontraktualistischen Kontext ist entscheidend, dass die Einwände gegen ein Prinzip keinen Vergleich mit den alternativen Prinzipien beinhalten, sondern nur darauf beruhen, wie die Befolgung des Handlungsprinzips selbst die Person betrifft. Die Abwägung darüber, welche Einwände gegen die verschiedenen Prinzipien stärker sind und welche Prinzipien daher letztlich gerechtfertigt sind, bleibt hingegen komparativ.8
Für Nichtidentitätsfälle kann eine in diesem Sinne nicht-komparative kontraktualistische Deliberation so aussehen. Wir betrachten zuerst was die Personen, die existieren würden, wenn wir nach den Prinzipien, die Ressourcenverbrauch erlauben, handeln würden, gegen diese einzuwenden hätten. Dann betrachten wir separat davon, was die Personen, die existieren würden, wenn wir nach den alternativen Prinzipien (welche Ressourcenverbrauch verbieten, d.h. Ressourcenerhalt vorschreiben) handeln würden, gegen jene Prinzipien einzuwenden hätten. Wenn die Einwände der zukünftigen Personen, die leben würden, wenn wir Ressourcenverbrauch wählen, einen stärkeren Einwand hätten als wir oder die anderen möglichen zukünftigen Personen gegen Ressourcenerhalt, so wäre der Ressourcenverbrauch moralisch falsch.
Ein nicht-komparatives Verständnis der Einwände zukünftiger Personen in Nichtidentitätsfällen wurde für den moralischen Kontraktualismus mehrfach vorgeschlagen oder angedeutet. Jussi Suikkanen (2014) geht davon aus, dass die Einwände zukünftiger Personen gegen unser Handeln auf dem konkreten Leid beruhen, das diese Personen erleben (z.B. Hitzschlag oder Malariaerkrankung). Diese Einwände seien unabhängig von der Frage, ob eine komparative Schädigung in dem Sinne vorliegt, dass die Person schlechter gestellt wird als sie es andernfalls wäre. Auch Rahul Kumar (2018, 253) deutet an, dass nicht-komparative Urteile eine wichtige Rolle in der Bestimmung der Einwände zukünftiger Personen spielen. Scanlon (2021a, 143) selbst beschreibt die relevante Situation zukünftiger Personen, die einen Einwand begründen könnte, als eine, in der es Personen aufgrund unseres Handelns schlecht geht, auch wenn die Betroffenen andernfalls nicht existiert hätten.
Eine detailliertere Ausarbeitung einer nicht-komparativen Konzeption von Einwänden zukünftiger Personen gibt R. Jay Wallace (2019) in The Moral Nexus.9 Er argumentiert, dass zukünftige Personen einen Einwand gegen ein Handlungsprinzip haben, wenn dadurch ihre nicht-komparativen fundamentalen Interessen verletzt werden, welche notwendig für ein gelingendes Leben sind. Dies gilt auch dann, wenn es der Person durch die Befolgung des Prinzips nicht schlechter geht, als es ihr durch die Befolgung der alternativen Prinzipien ginge:
It is true that the objections of future individuals to our complacent behavior cannot be couched in terms of a comparative conception of harm … But they also have noncomparative interests in obtaining those basic resources and opportunities that we all understand to be necessary for a flourishing human life, including adequate supplies of food and water and shelter, access to a basic education, freedom from constant social insecurity and displacement, and so on (Wallace 2019, 211f.).
Dieser Ansicht zufolge sind basale Interessen, wie der Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser, Unterkunft, grundlegende Bildung, Freiheit vor andauernder Bedrohung oder Vertreibung, so grundlegend für ein gelingendes Leben, dass eine Person bei Verletzung dieser Interessen einen Einwand hat. Und zwar auch dann, wenn sie ohne diese Interessenverletzung gar nicht existieren würde.
Wie bereits beschrieben bedeutet dies nicht, dass jede Verletzung eines nicht-komparativen Interesses moralisch falsch ist. Während der Einwand selbst nicht-komparativ beschrieben wird, bleibt eine Abwägung der individuellen Einwände gegen die alternativen Handlungsprinzipien für die Frage der Rechtfertigung entscheidend. Wenn etwa die einzige Alternative zur Verletzung eines nicht-komparativen Interesses die noch schwerwiegendere Verletzung der Interessen einer anderen Person ist, so wiegt der Einwand dieser Person schwerer und rechtfertigt die Handlung. Wenn jedoch alternative Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, gegen die keine oder nur schwächere Einwände vorliegen, ist die Handlung moralisch falsch (Wallace 2019, 212; Suikkanen 2014).
Eine nicht-komparative Antwort auf das Nichtidentitätsproblem klingt aus kontraktualistischer Perspektive zunächst sehr vielversprechend. Etwas unklar bleibt, worin genau diese nicht-komparativen Einwände begründet liegen sollen. Eine Lesart der genannten Autoren wäre, dass es sich hierbei um nicht-komparative Einwände auf Basis des Wohlergehens der Personen handelt. Zum einen legen die verwendeten Beispiele dies nahe (Leid, Erkrankungen, verfrühter Tod, schlechte Lebensqualität und grundlegende Güter für ein gelingendes Leben), zum anderen schließen die Vorschläge (teils explizit) an eine ältere Debatte um nicht-komparative Schädigungen an.10 Dort ist die Idee, dass wir einer Person schaden, wenn wir sie in einen intrinsisch schlechten Zustand bringen, unabhängig davon, ob sie durch die Handlung schlechter gestellt wird als sie andernfalls wäre oder vorher war. So könne eine Handlung eine Person schädigen und damit eine Pflichtverletzung darstellen, auch wenn die Person ohne diese Schädigung nicht existiert hätte. Verschiedene Autor:innen bieten dabei verschiedene Beschreibungen dessen an, worin genau ein solcher intrinsisch schlechter Zustand, der ein Schaden ist, besteht. In der Literatur werden oft Schmerz, Verletzung, Krankheit, schwere Behinderung oder ein verfrühter Tod genannt (Shiffrin 1999; Harman 2004; 2009). Andere nehmen an, dass eine Handlung einer Person schadet, wenn ihre Lebensqualität aufgrund der Handlung unterhalb einer gewissen Schwelle des Wohlergehens liegt (z.B. Meyer 2003; Rivera-López 2009; Steinbock 2009).
Eine zentrale Kritik, die gegen nicht-komparative Konzeptionen von Schädigungen vorgebracht wurde, ist, dass diese eine sehr revisionistische Interpretation des Schadensbegriffs darzustellen scheinen, umso mehr, wenn davon ausgegangen wird, dass alle Schädigungen nicht-komparativ zu verstehen sind (vgl. hierzu Hanser 2008; 2011; Boonin 2014, 52ff.; Thomson 2010).11 Ein Vorteil einer nicht-komparativen Sichtweise innerhalb des kontraktualistischen Rahmens ist daher, dass er nicht auf den Begriff der Schädigung abheben muss, um (etwa auf Basis eines Schadensprinzips) die Falschheit von Handlungen zu begründen. Gleichsam ist der moralische Kontraktualismus nicht darauf festgelegt, dass alle Einwände nicht-komparativ zu verstehen sind. Es scheint aus kontraktualistischer Sicht sehr natürlich, komparative sowie nicht-komparative Einwände gegen Handlungsprinzipien gelten zu lassen, solange es sich dabei um die persönlichen Gründe der betroffenen Individuen handelt.12
Eine kritische Diskussion einer nicht-komparativen Lösung des Nichtidentitätsproblems im Rahmen des moralischen Kontraktualismus steht jedoch aus. Im folgenden Abschnitt soll daher die Plausibilität nicht-komparativer Einwände auf Basis des Wohlergehens der zukünftigen Personen diskutiert werden. Hier stellen sich eine Reihe offener Fragen. Einerseits ist bislang unklar, ob ein solches Verständnis der Einwände zukünftiger Personen tatsächlich eine plausible Lösung für das Nichtidentitätsproblem darstellt. Andererseits ist zu prüfen, was die substanziellen Implikationen einer solchen Position sind und ob eine entsprechende Interpretation des moralischen Kontraktualismus angesichts dieser attraktiv für eine intergenerationelle Ethik ist.
4. Nicht-komparative Einwände auf Basis des Wohlergehens zukünftiger Personen
Es scheint erst einmal plausibel davon auszugehen, dass, zumindest unter normalen Umständen, bestimmte Erlebnisse oder Zustände, z.B. Schmerzen oder Verletzung, Vertreibung, Verlust oder früher Tod schlecht für eine Person sind. Und so scheint naheliegend, dass eine Person einen Grund hat, etwas gegen ein Handlungsprinzip einzuwenden, das es uns erlaubt ihr diese zuzufügen. Für die folgende Diskussion werde ich zumindest den ersten Teil dieser Annahme akzeptieren und annehmen, dass bestimmte Erlebnisse der genannten Art intrinsisch schlecht für Personen sind, unabhängig davon, ob diese auch schlechter für sie sind. Es ist allerdings keineswegs offensichtlich, dass dies per se einen Grund darstellt, die Prinzipien zurückzuweisen, die es uns erlauben, diese für sie schlechten Folgen zu verursachen. Da die infragestehende Handlung in Nichtidentitätsfällen Voraussetzung für die Existenz der betroffenen Person ist, scheint nicht nur das nicht-komparativ Schlechte, sondern auch das Gute in ihrem Leben eine wichtige Folge des Handlungsprinzips für sie zu sein. Die Herausforderung für eine nicht-komparative kontraktualistische Sichtweise besteht daher darin, zu zeigen, dass Personen auch dann einen Einwand haben, wenn ihr Leben insgesamt lebenswert ist, das Schlechte also durch das Gute in ihrem Leben aufgewogen wird.
Ich gehe hier davon aus, dass sich sinnvoll davon sprechen lässt, dass es nicht-komparativ Gutes und Schlechtes im Leben einer Person gibt, welches in einem gewissen Verhältnis zueinandersteht, sodass ihr Leben für sie insgesamt überwiegend gut oder schlecht (oder neutral) ist, ohne mich auf eine konkrete Theorie des guten Lebens bzw. des Wohlergehens festzulegen. In einem eher hedonistischen Verständnis könnte es hier vor allem um leidvolles und freudvolles Erleben gehen, gemäß einer Wunschtheorie des guten Lebens ginge es hier um erfüllte und unerfüllte Wünsche. Im Sinne einer Objektive-Listen-Theorie könnten darunter aber auch für objektiv gut oder schlecht gehaltene Güter, Erfahrungen oder Zustände fallen, wie etwa erfüllte Lebensprojekte, wertvolle soziale Beziehungen, Sinn, Exzellenz, usw. Im moralischen Kontraktualismus wird zumeist von einer pluralistischen Konzeption von Wohlergehen ausgegangen, die subjektive und objektive Elemente einschließt (siehe hierzu Scanlon 1998, Kap. 3; Wallace 2019, 160).
Als Schwelle des lebenswerten Lebens (life worth living) gilt normalerweise der Punkt, an dem das, was das Leben gut macht, das, was das Leben schlecht macht, aufwiegt. Die in der Debatte übliche Rede von einem nicht lebenswerten Leben (life not worth living) trägt im Deutschen vor allem auch historisch bedingt problematische Konnotationen mit sich, von denen ich hier Abstand nehmen möchte. Es ist in diesem Kontext wichtig zu betonen, dass es hier stets darum geht, ob das Leben aus Perspektive der Person selbst lebenswert ist, also ihr Leben überwiegend gut oder schlecht (oder neutral) für sie ist. Im Weiteren werde ich daher vom „für die Person lebenswerten Leben“ sprechen, die Formulierung „nicht lebenswert“ jedoch vermeiden und stattdessen von einem „für die Person überwiegend schlechten Leben“ sprechen. Es wird dabei auf die Schwelle verwiesen, ab der das, was das Leben für die Person gut macht, das, was das Leben für die Person schlecht macht, aus ihrer Perspektive nicht mehr aufwiegt.
Wenn das Leben einer Person für sie überwiegend schlecht ist, scheint es plausibel davon auszugehen, dass diese Person einen nicht-komparativen Einwand gegen das Prinzip hat, das dieses Leben verursacht, da es für die Person absolut gesehen schlecht ist.13 In Nichtidentitätsfällen wie Ressourcenverbrauch ist das Leben der zukünftigen Personen jedoch explizit insgesamt lebenswert, also nicht für sie überwiegend schlecht. Wie ließe sich also erklären, dass diese Personen trotzdem einen nicht-komparativen Einwand gegen dieses Prinzip haben?
Zunächst könnte man grundsätzlich bestreiten, dass das Gute im Leben der zukünftigen Personen die schlechten Folgen des Ressourcenverbrauchs ausgleichen kann. Da normalerweise die zu erwartenden positiven Folgen einer Handlung für die betroffene Person relevant für die moralische Bewertung der Handlung scheinen, verlangt dies jedoch eine Begründung. Eine Möglichkeit ist, dafür zu argumentieren, dass die absehbar guten Dinge im Leben einer Person uns keine moralisch relevanten Gründe liefern, solange es sich dabei um bislang bloß mögliche zukünftige Personen handelt. Während bei bereits lebenden Personen womöglich sowohl die für sie schlechten wie auch die für sie guten Folgen eines möglichen Handlungsprinzips relevant dafür sind, ob sie einen Einwand haben, könnte man dies bei bloß möglichen Personen zurückweisen und davon ausgehen, dass bei diesen nur die schlechten Folgen moralisch zählen. Dies scheint gut an eine Asymmetrie anzuschließen, die viele für sehr plausibel halten: während wir, ceteris paribus, moralisch verpflichtet sind, eine mögliche Person mit einem absehbar sehr qualvollen Leben nicht in Existenz zu bringen, scheinen wir keine äquivalente moralische Pflicht zu haben, eine mögliche Person mit einem absehbar sehr glücklichen Leben in Existenz zu bringen.14 Dass es im Leben einer möglichen zukünftigen Person viel Gutes gäbe, gibt uns keinen moralischen Grund, die mögliche Person tatsächlich in Existenz zu bringen.
Wenn allerdings die schlechten Erlebnisse, die eine Person im Laufe ihres Lebens absehbar erleiden wird (wie Schmerzen, Verlust oder Tod), relevant sind, all die guten Erlebnisse jedoch für moralisch irrelevant gehalten werden, folgt eine sehr stark antinatalistische Position. Immer wenn wir die Möglichkeit haben, alternativ auch gar keinen Menschen in Existenz zu bringen, und dagegen keine schwerwiegenderen Einwände anderer Personen bestehen, so wären wir dieser Ansicht zufolge dazu verpflichtet. Das heißt, selbst wenn wir wissen, dass eine Person ein sehr glückliches Leben haben würde, dürften wir sie nicht in Existenz bringen, solange auch irgendetwas Schlechtes in ihrem Leben enthalten ist. Eine solche Position scheint sehr unplausibel.15
Eine mögliche Gegenposition ist, dass das absehbar Schlechte im Leben einer möglichen zukünftigen Person mit dem absehbar Guten in ihrem Leben grundsätzlich abzuwiegen ist, um zu ermessen, ob sie einen Einwand gegen die Prinzipien hat, deren Befolgung zu ihrer Existenz führt. Wenn das Gute im Leben einer Person das Schlechte in ihrem Leben für sie überwiegt, hat sie dementsprechend keinen Einwand gegen die Prinzipien, die es uns erlauben, sie in Existenz zu bringen (Henning 2022, 111ff.; McMahan 2021, 224). Für Nichtidentitätsfälle wie Ressourcenverbrauch impliziert dies jedoch, dass die zukünftigen Personen keinen Einwand gegen die Prinzipien haben, die den Ressourcenverbrauch erlauben und ihre Existenz bedingen, da die guten die schlechten Folgen für sie überwiegen. Unsere Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen auf Basis ihres Wohlergehens wären dann grundsätzlich insoweit begrenzt, dass wir nur die Pflicht haben, dafür zu sorgen, dass das Leben der zukünftigen Personen für sie insgesamt lebenswert sein wird. Dies wäre also keine Lösung des Nichtidentitätsproblems, sondern die Akzeptanz der Folgerung, dass wir in Fällen wie Ressourcenverbrauch nicht falsch handeln, zumindest mit Blick auf das Wohlergehen der zukünftigen Personen.
Die Position, dass das Gute im Leben einer möglichen zukünftigen Person das Schlechte für sie gar nicht ausgleichen kann, ist also unplausibel restriktiv und lässt uns womöglich wenig Spielraum, überhaupt noch erlaubterweise Menschen in Existenz zu bringen. Die Position, dass alles erlaubt ist, sofern das Leben zukünftiger Personen noch insgesamt für sie lebenswert ist, mag wiederum unplausibel schwach erscheinen. Eine Zwischenposition wäre daher sehr attraktiv. Entsprechend könnte man behaupten, dass nur manche oder besonders schwerwiegende schlechte Folgen für das Wohlergehen von Personen nicht durch gute Folgen aufwiegbar sind.
Auf Wallace aufbauend könnte man etwa davon ausgehen, dass die Erfüllung von besonders grundlegenden Interessen, wie etwa an Trinkwasser, Nahrung, Unterkunft, usw. plausible Kandidaten hierfür sind. Wallace geht davon aus, dass die Erfüllung dieser basalen Interessen notwendig für ein gelingendes Leben (flourishing life) und insoweit gewissermaßen nicht verhandelbar ist. Es ist unklar, wo genau hier die Grenzen eines gelingenden und eines lebenswerten Lebens liegen sollen, wobei ein gelingendes Leben offensichtlich etwas Anspruchsvolleres verlangt. Obwohl die Verletzung der für ein gelingendes Leben notwendigen Interessen durch das Gute im Leben der Person aus Perspektive ihres Wohlergehens insgesamt aufgewogen wird, bleibt ihr Einwand Wallace zufolge bestehen. Es scheint sich hierbei um eine deontologisch-moralische Grundannahme zu handeln: Nicht nur kann eine schwere Interessenverletzung nicht durch Vorteile für andere Personen überwogen werden, sondern auch nicht durch Vorteile für die Person selbst.16
Aus Sicht des moralischen Kontraktualismus ist dies jedoch schwer haltbar. Zunächst ist fraglich, ob sich hierfür eine Begründung finden lässt, die nicht auf eine problematische Form der Zirkularität hinausläuft. Der moralische Kontraktualismus ist ohnehin schon dem Vorwurf einer gewissen explanatorischen Zirkularität ausgesetzt und es ist nicht klar, inwiefern dies den moralischen Kontraktualismus grundsätzlich unterminiert (siehe hierzu etwa Scanlon 1998, 139–41, 213–18; Hooker 2003; Southwood 2010, Kap. 3). Diese Frage kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht grundsätzlich geklärt werden. Eine Sorge wäre jedoch, dass hier eine auch für Kontraktualist:innen inakzeptable Form der Zirkularität vorliegt, indem vorab die substanzielle moralische Annahme getroffen wird, dass Menschen einen Anspruch auf gewisse Güter oder ein Mindestmaß an Wohlergehen haben. Somit droht der Kontraktualismus auf folgende Begründung moralischer Falschheit hinauszulaufen: wir tun den zukünftigen Personen moralisch Unrecht, weil sie gegen die Prinzipien, die unsere Handlung erlauben, einwenden können, dass die Handlung ihre moralischen Ansprüche verletzt. Da die kontraktualistische Deliberation jedoch dazu dient, überhaupt erst auszumachen, was die moralischen Ansprüche der betroffenen Personen sind, können diese nicht bereits vorausgesetzt werden und in die Deliberation als Grund zur Zurückweisung von Prinzipien eingehen.17 Um diesem Einwand zu begegnen, sollte plausibilisiert werden, dass diese Ansprüche nicht einfach völlig unabhängig und vorab angenommen werden, sondern in irgendeiner Form auf das Ideal der gegenseitigen Anerkennung zurückgeführt werden können.
Unabhängig von der Frage der Zirkularität stellt sich jedoch ein weiteres grundlegendes Problem für moralische Kontraktualist:innen. Nicht-komparative wohlergehensbasierte Einwände scheinen insofern in Spannung mit dem kontraktualistischen Projekt zu stehen, dass die Perspektive der Person, um die es geht, übergangen wird. Der moralische Kontraktualismus verweist explizit nicht auf starr definierte Pflichten, sondern beansprucht, die Perspektive der betroffenen Personen ernst zu nehmen und im Lichte ihrer persönlichen Gründe zu erwägen, ob ein Handlungsprinzip ihnen gegenüber rechtfertigbar ist oder nicht. Dies ist es, was wir ihr in unserem Verhältnis der gegenseitigen Anerkennung schulden. Wenn jedoch aus Perspektive des betroffenen Individuums tatsächlich die positiven Folgen eines Handlungsprinzips die negativen Folgen für ihr Wohlergehen überwiegen, so sollte der moralische Kontraktualismus akzeptieren, dass diese Person, zumindest auf Basis ihres Wohlergehens, keinen Einwand gegen dieses Prinzip hat.
Zudem werfen auch die substanziellen Implikationen einer solchen nicht-komparativen kontraktualistischen Sichtweise Fragen auf. Zunächst kann, ganz offensichtlich, nur in solchen Fällen die Falschheit der Handlung erklärt werden, in denen die nicht-komparativen Interessen der zukünftigen Personen verletzt sind (also nur solche Versionen des Falles Ressourcenverbrauch, in denen dies gegeben ist). Zumindest die moralisch drängendsten Fälle scheinen damit abgedeckt zu sein. Im Weiteren hängt die Attraktivität des Vorschlags jedoch zentral davon ab, welche schlechten Folgen für das Leben einer Person als nicht aufwiegbar gelten sollen bzw. für wie anspruchsvoll die relevante Wohlergehensschwelle gehalten wird.
Fälle des Ressourcenverbrauchs, Klimaschutzes oder nuklearer Risiken scheinen intuitiv einen vergleichbar hohen Standard dessen zu nahezulegen, welche Lebensbedingungen zukünftigen Menschen zustehen. Es scheint intuitiv nicht nur moralisch unakzeptabel, die fundamentalsten Interessen des Überlebens zu verletzen. Auch eine Version des Falles Ressourcenverbrauch, in dem es den zukünftigen Menschen noch insgesamt etwas besser geht, als dass ihr Leben für sie gerade so lebenswert ist, scheint moralisch problematisch. Die Interessen, die notwendig für ein gelingendes Leben sind, bzw. die Schwelle des guten Lebens, die zukünftige Personen beanspruchen können, muss entsprechend deutlich über der Schwelle des für sie lebenswerten Lebens liegen, um umfangreichere Pflichten zu generieren. Wallaces Vorschläge, dass auch Bildung und soziale Sicherheit zu den relevanten nicht-komparativen Interessen gehören, deuten sicherlich darauf hin, dass auch er hier anspruchsvollere Pflichten vor Augen hat.
Je anspruchsvoller die Konzeption der basalen Interessen, desto kontraintuitivere Implikationen ergeben sich jedoch in anderen Fällen. Wir können uns etwa Eltern vorstellen, die in Armut oder in Kriegszeiten leben, oder Eltern, die wissen, dass sie nur ein Kind mit einer Behinderung bekommen können. Bei einer anspruchsvolleren Konzeption nicht-komparativer Interessen sind die Interessen der Kinder in diesen Fällen womöglich nicht erfüllt. Die Eltern würden ihren Kindern also zunächst Unrecht tun, wenn sie sie in Existenz bringen, selbst wenn sie davon ausgehen können, dass das Leben ihres Kindes aus seiner eigenen Perspektive nicht überwiegend schlecht oder sogar sehr glücklich wäre. Dies scheint unplausibel.
Um die Intuition aufzufangen, dass die Eltern ihren Kindern in diesen Fällen kein Unrecht tun, müsste man darauf verweisen, dass die entgegengesetzten Einwände der Eltern oder anderer Personen die Einwände der Kinder überwiegen. Hier sind möglicherweise die Wünsche der Eltern, Kinder zu bekommen, ihre reproduktive Autonomie, die gesamtgesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Folgen usw. zu nennen und diese können durchaus moralisch relevant sein. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die nicht-komparativen Einwände auf Basis der fundamentalen Interessen, die notwendig für ein gelingendes Leben sind, in dieser Sichtweise für so stark gehalten werden, dass nicht einmal überwiegend positive Folgen für die betroffene Person selbst diese rechtfertigen können. Es scheint daher fragwürdig, ob die Wünsche der Eltern, ein eigenes Kind zu bekommen, oder volkswirtschaftliche Überlegungen hier ernstlich das fundamentalste Kindeswohl moralisch überwiegen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass selbst wenn die zuvor diskutierten, theoretischen Schwierigkeiten ausgeräumt werden könnten, auch die substanziellen Implikationen einer solchen nicht-komparativen Position als unbefriedigend erscheinen. Es spricht daher viel dafür anzunehmen, dass nicht-komparative Einwände auf Basis des Wohlergehens einer zukünftigen Person nur dann überzeugen können, wenn ihr Leben für sie überwiegend schlecht wäre.
5. Wie kann es für den moralischen Kontraktualismus weitergehen?
Die Einwände zukünftiger Personen gegen die Prinzipien, die unser Handeln erlauben, beruhen in den hier diskutierten Nichtidentitätsfällen also plausiblerweise nicht auf ihren persönlichen Gründen des Wohlergehens. Dies heißt jedoch nicht unbedingt, dass gar keine Einwände bestehen und nichts an der infragestehenden Handlung moralisch falsch ist. Verschiedene Strategien sind denkbar und diese verdienen jeweils eine eigenständige Ausarbeitung und kritische Diskussion, welche in diesem Beitrag nicht geleistet werden können. Es sollen hier jedoch ein paar Möglichkeiten eröffnet werden, in welche Richtung es sich für moralische Kontraktualist:innen lohnen könnte weiterzudenken.
Erstens könnten die hier angestellten Überlegungen zum Anlass genommen werden, über andere nicht-komparative Gründe als die des Wohlergehens der zukünftigen Personen nachzudenken. Vielversprechend scheinen hier insbesondere Gründe der Fairness zu sein, die im moralischen Kontraktualismus als Grundlage von Einwänden explizit genannt werden. Auf Basis von Fairness kann Scanlon (1998, insb. 209-213) zufolge ein Prinzip auch dann zurückgewiesen werden, wenn das Wohlergehen der Person durch das Prinzip nicht negativ oder sogar positiv beeinflusst wird. Dies könnte also ein interessanter Ansatz sein, wenn sich zeigen ließe, dass gewisse Prinzipien zukünftigen Generationen gegenüber unfair sind.18 Denkbar sind hier auch Einwände gegen ausbeuterisches, diskriminierendes, degradierendes oder auf andere Weise respektloses Verhalten, das dem Status zukünftiger Personen als Gleichwertige innerhalb des Anerkennungsverhältnisses nicht angemessen ist.19 Auch hier stellt das Nicht- identitätsproblem eine Herausforderung dar (Boonin 2014, 123–48), doch könnte sich eine tiefergehende Diskussion aus Perspektive des moralischen Kontraktualismus lohnen.
Zweitens könnte das Einbeziehen von Risiko und Unsicherheit einen entscheidenden Beitrag für eine plausible Antwort auf das Nichtidentitätsproblem für den moralischen Kontraktualismus leisten. Die in der Debatte diskutierten Nichtidentitätsfälle, so auch Ressourcenverbrauch, nehmen an, dass wir mit Sicherheit wissen, dass die zukünftigen Personen in beiden Fällen ein aus ihrer Perspektive lebenswertes Leben haben werden. Dies ist offensichtlich eine unrealistische epistemische Annahme, wenn wir uns fragen, welche Maßnahmen der Klima-, Ressourcen- oder Energiepolitik entfernteren zukünftigen Generationen gegenüber moralisch gerechtfertigt sind. So argumentiert etwa Henning (2022, insb. 118-135) dafür, dass viele absehbar schlechte Folgen eines Prinzips realistischerweise mit einem erhöhten Risiko einhergehen, dass die zukünftige Person ein für sie überwiegend schlechtes Leben haben wird. Hier stellen sich eine Reihe von Fragen, die diskutiert werden sollten.20 Dennoch scheint es lohnend, näher zu untersuchen, ob unter Risiko und Unsicherheit Einwände bestehen, die unter der Annahme epistemischer Sicherheit unplausibel erscheinen.
Drittens ist zu betonen, dass der moralische Kontraktualismus nur einen Teil der Moral abzudecken beansprucht: den Bereich dessen, was wir einander qua Personen schulden. Dies schließt nicht aus, dass uns beispielsweise der intrinsische Wert der Natur, Tiere oder Ökosysteme unabhängig davon, ob und wie sie Personen betreffen, eigenständige moralische Gründe geben. Diese sind nur nicht Teil der kontraktualistischen Deliberation darüber, was wir anderen Personen schulden (Scanlon 1998, 218ff.) Für Kontraktualist:innen besteht also weiterhin die Möglichkeit, einen Pluralismus zu akzeptieren und anzunehmen, dass die moralische Falschheit der Handlung in Nichtidentitätsfällen nicht interpersonal zu begründen sondern in einem anderen Bereich der Moral verortet ist (Scanlon 2021a, 142f.). Insbesondere in Fällen, die mit der Klimakrise, natürlichen Ressourcen und ökologischen Folgen zu tun haben, könnten unpersönliche Gründe herangezogen werden, die auf dem intrinsischen Wert der Natur beruhen, oder allgemeiner mit dem unpersönlichen Wert der alternativen Weltzustände zu tun haben. Auch hiermit sind jedoch theoretische Kosten verbunden, die kritisch geprüft werden sollten.
6. Schlussfolgerung
Der moralische Kontraktualismus scheint in vielerlei Hinsicht sehr vielversprechend für eine intergenerationelle Ethik. Das Nichtidentitätsproblem stellt jedoch eine Herausforderung dafür dar, wie die Einwände zukünftiger Personen in Fällen, in denen ihre Existenz von der infragestehenden Handlung abhängt und ihr Leben insgesamt für sie lebenswert ist, zu verstehen sind. Dieser Beitrag hat die sogenannte nicht-komparative Strategie kritisch diskutiert und gezeigt, dass nicht-komparative Einwände auf Basis des Wohlergehens der zukünftigen Personen eine Reihe tiefgehender Schwierigkeiten aufwerfen.
Wird angenommen, dass die nicht-komparativ guten Folgen eines Prinzips die nicht-komparativ schlechten Folgen für eine Person grundsätzlich nicht aufwiegen können, führt dies zu einem unplausiblen Antinatalismus. Die Annahme, dass das Zufügen ganz bestimmter Übel, wie etwa die Verletzung fundamentaler Interessen, nicht durch gute Folgen für die betroffene Person aufzuwiegen ist, scheint jedoch ebenso wenig haltbar. Dies übergeht auf für den moralischen Kontraktualismus unhaltbare Weise die Perspektive des betroffenen Individuums. Zudem scheinen auch die substanziellen Implikationen nur begrenzt überzeugend. Bei einer anspruchsvollen Konzeption der nicht-komparativen Interessen oder der relevanten Wohlergehensschwelle droht erneut ein unplausibler Antinatalismus. Bei einer stärker begrenzten Konzeption ist hingegen nicht viel gewonnen und relevante Fälle wie Ressourcenverbrauch nicht mehr abgedeckt.
Diese Überlegungen sprechen dafür, dass ein nicht-komparatives Verständnis der Einwände zukünftiger Personen auf Basis ihres Wohlergehens für den moralischen Kontraktualismus keine attraktive Lösung des Nichtidentitätsproblems darstellt. Plausiblerweise besteht ein nicht-komparativer Einwand auf Basis des Wohlergehens einer zukünftigen Person genau dann, wenn das Gute das Schlechte in ihrem Leben aus ihrer Perspektive nicht aufwiegt. Ansonsten sollten wir den Blick auf andere Gründe der Rechtfertigbarkeit richten, etwa auf Fairness oder Ausbeutung, oder auf unpersönliche Gründe, welche im Rahmen einer pluralistischen Sichtweise die kontraktualistische Deliberation ergänzen könnten.
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Ich danke den Teilnehmer:innen des Kolloquiums von Kirsten Meyer an der Humboldt-Universität zu Berlin und des PhD-Seminars an der Universität Stockholm sowie den anonymen Gutachter:innen für ihre konstruktiven Kommentare.↩︎
Ich danke den Teilnehmer:innen des Kolloquiums von Kirsten Meyer an der Humboldt-Universität zu Berlin und des PhD-Seminars an der Universität Stockholm sowie den anonymen Gutachter:innen für ihre konstruktiven Kommentare.↩︎
Der moralische Kontraktualismus ist kantisch inspiriert, auch wenn Scanlon (1998, 5; 2011) sich von einigen kantischen Annahmen abgrenzt und eher in der Tradition Rousseaus verortet.↩︎
Utilitaristische und andere konsequentialistische Sichtweisen implizieren im Sinne des „Longtermism“ womöglich, dass die Belange zukünftiger Personen aufgrund ihrer absehbar viel größeren Anzahl die unserer Zeitgenoss:innen überwiegen und es unsere moralische Priorität sein sollte, das langfristige Fortbestehen der Menschheit sicherzustellen (insb. Greaves und MacAskill 2021; MacAskill 2022). Dies halten viele für unplausibel und der moralische Kontraktualismus könnte hier eine attraktive Gegenposition begründen (vgl. Henning 2022, 105–8).↩︎
Hierbei geht es stets um hypothetische Einwände, also Einwände, die eine Person vernünftigerweise vorbringen könnte. Es ist unerheblich, ob jemand tatsächlich Einwand erhebt.↩︎
Es ist umstritten, inwieweit der moralische Kontraktualismus Aggregation zumindest in gewissen Fällen, z.B. in Fällen, in denen wir die größere statt einer kleineren Anzahl von Menschen retten sollten, zulassen sollte und kann. In seinem umstrittenen „Tie-Breaking Argument“ argumentiert Scanlon (1998, 229–41) dafür, dass diese Annahme ohne interpersonelle Aggregation möglich ist (kritisch hierzu Otsuka 2000; Norcross 2002; Parfit 2003). Zuletzt zeigte Scanlon (2021b) sich offen, die strikte Beschränkung auf individuelle Gründe in dieser Hinsicht ein wenig zu lockern.↩︎
Einige akzeptieren diese Folgerung und nehmen an, dass wir keine Pflichten gegenüber zukünftigen Personen in Nichtidentitätsfällen haben und daher, sofern keine anderen Pflichtverletzungen vorliegen, moralisch nichts gegen die infragestehende Handlung spricht (Heyd 2009; Boonin 2014). Die meisten halten dies jedoch für sehr kontraintuitiv und das Nichtidentitätsproblem dementsprechend für ein Problem, dessen scheinbare Implikationen wir nicht akzeptieren sollten.↩︎
Auch Sichtweisen, die auf der Annahme einer Wohlergehensschwelle beruhen und daher insofern als komparativ bezeichnet werden könnten, als sie einen Vergleich des Wohlergehens der Person relativ zu dieser Schwelle beinhalten, zählen hier als „nicht-komparativ“, weil sie keinen Vergleich mit den alternativen Prinzipien vornehmen. Eine solche Position diskutiere ich in Abschnitt (4).↩︎
Wallace (2019, 19) argumentiert für ein relationales Verständnis der Moral und geht davon aus, dass dies durch verschiedene konkretere Theorien ausgefüllt werden könnte, von denen er den Scanlonschen Kontraktualismus für die vielversprechendste hält. Wie Scanlon geht Wallace davon aus, dass die moralische Erlaubtheit einer Handlung davon abhängt, ob betroffene Personen Einwände gegen die Prinzipien, die diese Handlung erlauben, vorbringen könnten. Insofern ist Wallace dem Nichtidentitätsproblem auf dieselbe Weise ausgesetzt wie Scanlon und seine Position hier unmittelbar einschlägig.↩︎
Wallace (2019, 212 und 269, Fn. 34) etwa betont, dass seine Position keine Neuerfindung ist, und verweist explizit auf Shiffrins (1999) und Harmans (2004) Konzeption nicht-komparativer Schädigung. Die Rede von Interessen lässt hier jedoch einen gewissen Interpretationsspielraum. Wallace (2019, insb. 160f., 165) geht davon aus, dass zusätzlich zu Interessen im engeren Sinne des individuellen Wohlergehens auch beispielsweise Interessen an fairer Behandlung oder Autonomie Einwände begründen können. Er lässt offen, wie er die fundamentalen nicht-komparativen Interessen zukünftiger Personen in diesem Zusammenhang versteht. In diesem Aufsatz soll losgelöst von der exegetischen Frage die Plausibilität von nicht-komparativen wohlergehensbasierten Einwänden und entsprechend von nicht-komparativen Interessen im Sinne des individuellen Wohlergehens diskutiert werden.↩︎
Zumindest normalsprachlich scheinen Schädigungen einen kontrafaktischen oder zeitlichen Vergleich zu implizieren, d.h. dass die geschädigte Person durch die Schädigung schlechter gestellt wurde als sie ansonsten wäre oder vorher war.↩︎
Eine pluralistische Sichtweise auf Schädigungen ist auch denkbar, sollte aber eine Erklärung dafür bieten, was die dann sehr verschiedenen Phänomene sinnvoll zusammenhält und abgrenzt (für eine hybride Sichtweise vgl. etwa Unruh 2023).↩︎
Der Einwand einer Person mit einem für sie überwiegend schlechten Leben dagegen, in Existenz gebracht zu werden, könnte gleichwohl auch komparativ verstanden werden, wenn man davon ausgeht, dass ihre Existenz schlechter für sie ist als ihre Nicht-Existenz. Für diejenigen, die die Vergleichbarkeit von Existenz und Nicht-Existenz für unplausibel halten, ist eine nicht-komparative Konzeption des Einwandes eine attraktive Alternative.↩︎
Die sog. „procreation asymmetry“ geht auf Jan Narveson (1967) zurück, die Namensgebung stammt von Jeff McMahan (1981).↩︎
Es gibt durchaus Autor:innen, die für einen ethischen Antinatalismus argumentieren, am prominentesten David Benatar (1981). Andere betonen, dass die Wünsche der Eltern ein Kind zu bekommen oder etwa volkswirtschaftliche Überlegungen Einwände begründen, die den Einwand des Kindes überwiegen können (Horton 2021, 488, Fn. 10; Henning 2022, 137–45). Hierauf komme ich später in diesem Abschnitt noch einmal zu sprechen.↩︎
Vgl. hierzu auch Shiffrins Annahme, dass nicht-komparative Schäden nur durch das Verhindern größerer Schäden, nicht jedoch durch reine Vorteile („pure benefits“) für die Person, gerechtfertigt werden können. Shiffrin zählt zu den nicht durch reine Vorteile aufzuwiegenden Schäden jedoch auch bereits Schmerzen oder das Risiko einer Verletzung, was erneut zu antinatalistischen Implikationen zu führen scheint und auch sonst einigen Gegenbeispielen ausgesetzt ist (Hanser 2008; Boonin 2014, 93ff.).↩︎
Scanlon (1998, insb. 214) räumt ein, dass sein Verständnis der vernünftigen Rechtfertigbarkeit von Prinzipien auf Basis von Gründen nicht frei von moralischem Gehalt ist. Annahmen darüber, welche Gründe moralisch zählen und wie diese zu gewichten sind, enthalten moralische Urteile. Dies ist Scanlon zufolge jedoch keine problematische Art der Zirkularität. Inakzeptabel sei es hingegen, wenn genau die Ansprüche, die durch ein Prinzip begründet werden sollen, bereits vorausgesetzt werden. So schreibt Scanlon (1998, 214): „While it would be objectionably circular to make ‘reasonable rejection’ turn on presumed entitlements of the very sort that the principle in question is supposed to establish, it is misleading to suggest that when we are assessing the ‘reasonable rejectability’ of a principle we must, or even can, set aside assumptions about other rights and entitlements altogether. Even in those cases that come closest to being decided on the basis of a principle’s implications for the welfare of individuals in various positions, many other moral claims must be presupposed in order to provide a context in which that principle can be understood.” Scanlons Ausführungen über akzeptable und inakzeptable Arten der Zirkularität sind nicht besonders klar und können hier nicht ausführlich diskutiert werden. Mir scheint jedoch, dass die hier genannte Art der Zirkularität in Scanlons eigenem Verständnis problematisch sein könnte, weil genau die Ansprüche, die zu begründen sind, vorausgesetzt werden – und nicht etwa allgemeine Annahmen darüber, dass Wohlergehen überhaupt moralisch zählt, wie Gründe zu gewichten sind, oder das Fix-Halten anderer Ansprüche, um die Gründe einer Person gegen ein spezifisches Prinzip zu erwägen.↩︎
Aus Perspektive eines Rawlsschen Kontraktualismus argumentiert Jeffrey Reiman (2007) dafür, dass Handlungen in Nichtidentitätsfällen unfair gegenüber den zukünftigen Personen sind.↩︎
Einige argumentieren etwa dafür, dass in Fällen wie Ressourcenverbrauch eine Form der Ausbeutung besteht, die die Handlung moralisch falsch macht (Rendall 2011; Liberto 2014; vgl. auch Kavka 1982, 106–9).↩︎
Insbesondere ist zu klären, ob es plausibel ist, dass Risiken nicht durch Chancen ausgeglichen werden können, und ob abermals unplausible antinatalistische Implikationen drohen. Henning (2022, 137–45) akzeptiert einen gewissen Antinatalismus. Er geht davon aus, dass es die Interessen der Eltern und anderer Personen sowie unpersönliche Gründe sind, die das in-Existenz-Bringen von Kindern rechtfertigen.↩︎