Call for Papers: Handeln in virtuellen Räumen

01.10.2024

Einreichungsfrist: 1. Oktober 2025

Schwerpunktherausgeber:innen:

Dr. Patrizia Breil (SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten, Bochum)

PD Dr. Jörg Noller (DFG-Netzwerk „Philosophie der Digitalität“, München/Augsburg)

 

Wie künstliche Intelligenz (KI) wird auch virtuelle Realität (VR) immer mehr Teil unseres alltäglichen Lebens. Dies zeigt sich im großflächigen Ausbau der Unterhaltungsindustrie bis hin zur Gestaltung ganzer Lebens- und Arbeitsräume als virtueller Handlungsräume, wie sie etwa unter dem nach wie vor klärungsbedürftigen Begriff des Metaversums firmieren. Angesichts dieser ‚Veralltäglichung‘ des Virtuellen markiert die Rede von virtuellen Lebenswelten eine neue Normalität und Entmystifizierung des Virtuellen (Rieger et al. 2021).

Philosophische Fragen rund um virtuelle Realität bewegen sich dabei vor dem Hintergrund des inhaltlich schillernden Begriffs der Virtualität, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen und bis heute nachwirken. Das Virtuelle wird dabei teils in Opposition gerückt zu Begriffen der Realität (Baudrillard 1995), Aktualität (Deleuze 1988 [2023]), oder Materialität im Sinne einer „Neuen Materialität“ (Barad 2012). Es wird erläutert unter Bezugnahme auf Konzepte der Möglichkeit (Lévy 1998), Wirkmächtigkeit (Peirce 1920), Fiktion (Esposito 1998) oder (perfekter) Simulation (Chalmers 2022). Diese Problematik des Virtuellen spiegelt sich letztlich auch in den Metaphern wider, mit denen das Virtuelle angedeutet und umkreist werden soll: Virtualität als zerrinnender, flexibler Sand (Klappert 2020), Virtualität als Meeressäuger in dem mystischen, scheinbar unendlichen Möglichkeitsraum der Weltmeere (Trüper 2019).

Angesichts der Normalität des Virtuellen als Handlungsraum rücken diese begrifflichen Diskussionen vermehrt ins Zentrum handlungstheoretischer Überlegungen. Während das Handeln in virtuellen Räumen u.a. im Kontext der Game Studies von großer Bedeutung ist, z.B. als Handeln in interaktiven Multiplayer-Computerspielen (Börchers 2018, Dreyfus 2008), steht auch das nicht-spielerische soziale und ökonomische Handeln in VR im Zentrum des Interesses (Chalmers 2022; Hindmarsh et al. 2006, Malpas 2000, 2008).

Aus einer praktisch-philosophischen Perspektive auf das Handeln in virtuellen Räumen ergeben sich weitreichende Fragen, u.a. ontologischer, epistemologischer, phänomenologischer, ethischer und ästhetischer Natur. Diese Fragen wollen wir im Rahmen dieser Special Issue prominent hervorheben, da sie für Spannungen und Unsicherheiten in unserem Zusammenleben und -handeln in schon jetzt stark von Virtualität geprägten Lebenswelten sorgen. Wir freuen uns über Beiträge aus folgenden oder angrenzenden Themenkomplexen:

 

  • Körperlichkeit und Materialität: Was ist ein virtueller Handlungsraum und wie unterscheidet er sich von einem physischen Handlungsraum? Was sind virtuelle Handlungen wie verhalten sie sich zu physischen Handlungen? Welche technischen Bedingungen und Möglichkeiten der interaktiven Einflussnahme müssen gegeben sein, um User:innen in virtuellen Räumen handlungsfähig zu machen? Wie gestalten sich die Übergänge zwischen virtuellen und nicht-virtuellen Handlungsräumen im Sinne von ‚virtuellen Schwellenräumen‘ im Zuge des Virtualisierungsprozesses?
  • Identität und Existenz: Wie existieren wir in virtuellen Handlungsräumen? Wie verhält sich die physische personale Identität zu virtueller personaler Identität, etwa angesichts der Erstellung eines Avatars? Welche Rolle spielt dabei unser (physischer/virtueller) Leib?
  • Politische Dimension und Öffentlichkeit: Wie können wir in virtuellen Handlungsräumen kollektiv handeln und digitale Politik betreiben? Welche Bedeutung spielen die zugrundeliegende Technik und ökonomische Strukturen für die Herausbildung virtueller politischer Handlungsräume? Wie lässt sich im Anschluss an Jürgen Habermas so etwas wie eine virtuelle Öffentlichkeit denken?
  • Ethik: Wie müssen virtuelle Handlungsräume gestaltet werden, um strukturelle Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu vermeiden? Welche Ethik ist virtuellen Handlungsräumen angemessen? Worin bestehen virtuelle moralische, worin virtuelle unmoralische Handlungen?

 

Die Einreichungsfrist für die Beiträge ist der 1. Oktober 2025. Die Veröffentlichung des Schwerpunkts ist für Frühjahr 2026 geplant. Alle Beiträge durchlaufen den üblichen doppelt-blinden Begutachtungsprozess. Die Einreichung erfolgt über die Webseite der „Zeitschrift für Praktische Philosophie“, wo sich auch Informationen zu Umfang und Gestaltung der Manuskripte finden: https://www.praktische-philosophie.org.

Bei Rückfragen kontaktieren Sie die Schwerpunktherausgeber:innen: Patrizia Breil (patrizia.breil@rub.de) und Jörg Noller (joerg.noller@lrz.uni-muenchen.de).

 

Literaturverzeichnis

Barad, Karen (2012): On touching – the inhuman that therefore I am, in: differences 23 (3), S. 206-223.

Baudrillard, Jean (1995): The Virtual Illusion: Or the Automatic Writing of the World, in: Theory, Culture & Society 12 (4), S. 97-107.

Börchers, Fabian (2018): Handeln, in: Daniel Martin Feige, Sebastian Ostritsch, Markus Rautzenberg (Hg.), Philosophie des Computerspiels, Stuttgart, S. 97-122.

Chalmers, David (2022): Reality+. Virtual worlds and the problems of philosophy, New York.

Deleuze, Gilles (1988 [2023]): Die Falte. Leibniz und der Barock. 9. Aufl., Frankfurt am Main.

Dreyfus, Hubert (2008): On the Internet. 2 Aufl., London.

Esposito, Elena (1998): Fiktion und Virtualität, in: Sybille Krämer (Hg.), Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, Frankfurt am Main, S. 269-296.

Hindmarsh, Jon; Heath, Christian; Fraser, Mike (2006): (Im)materiality, Virtual Reality and Interaction: Grounding the ‘Virtual’ in Studies of Technology in Action, in: The Sociological Review 54 (4), S. 795-817.

Klappert, Annina (2020): Sand als metaphorisches Modell für Virtualität, Berlin, Boston.

Levy, Pierre (1998): Becoming Virtual: Reality in the Digital Age, New York, London.

Malpas, Jeff (2008): On the Non-Autonomy of the Virtual, in: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 15 (2), S. 135-139.

Malpas, Jeff (2000): Acting at a Distance and Knowing from Afar: Agency and Knowledge on the Internet, in: Ken Goldberg (Hg.), The Robot in the Garden: Telerobotics and Telepistemology in the Age of the Internet, Cambridge/MA, S. 108-125.

Peirce, Charles Sanders (1920): Virtual, in: James Mark Baldwin (Hg.), Dictionary of Philosophy and Psychology, New York,, S. 763-764.

Rieger, Stefan; Schäfer, Armin; Tuschling, Anna (Hg.) (2021): Virtuelle Lebenswelten. Körper – Räume – Affekte. Berlin/Boston.

 

Trüper, Lena Sophie (2019): „Macht's gut, und danke für den Fisch!“ Meerestiere als Metaphern der Virtualität. Ein historischer Einblick in das visuelle Erbe der Kybernetik, in: ffk Journal (4), S. 231-249.